: Kein Lohn ohne Angst
taz-Debatte zum Schlossplatz (Teil 4): Die Schlossdebatte ist gar keine. Statt über Form und Funktion wird über Substitute gestritten: Hotels, Museen und öffentliches Forum. Das alles passt in ein Schloss, aber warum nicht auch in einen Neubau?
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Beim letzten Architektentag in Berlin spielte sich ein denkwürdiges Ereignis auf dem Schlossplatz ab. Eberhard Diepgen, der Regierende Bürgermeister, hielt eine Rede vor der versammelten Architektenschaft der Republik und sprach sich vollmundig für den Wiederaufbau des 1950 gesprengten Stadtschlosses aus. Und niemand widersprach ihm. Stumm nahmen die Baumeister der modernen Architektur das Plädoyer für die Rekonstruktion hin: Ein Debakel für die Architekten und die neuere Architektur angesichts des prominenten Standorts und der notwendigen baulichen Initiative, konstatierte im Nachhinein die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Bis dato hat sich daran nichts geändert. Eine Schlossdebatte über Architektur, Stadtraum und die Nutzung des Gebäudes exisiert in Wirklichkeit nicht, wird sie doch über Substitute ausgetragen. Während Diepgen den Weltschmerz über den Verlust des Schlosses mit der nostalgischen Forderung nach dem Wiederaufbau verknüpfte und die Erwartung hegt, ein privater Schlossherr und Investor könne dem Land die Anstrengungen finanzieller Last abnehmen, sind die „authentischen“ Schloss-Wünsche der grünen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer nur die Kehrseite derselben Medaille.
Statt privater und damit kommerzieller Restauration einer Fassadenhaut mit Hotels und Kongresszentrum in einem umgebauten Innern dynamisiert der Vollmer-Vorstoß zwar die berechtigte Melancholie über Stadt- und Baukunst in der Mitte von Stadt und Staat. Legitimiert jedoch wird der ebenfalls restaurative Anspruch mit der Forderung nach öffentlicher, kultureller und repräsentativer Nutzung. Dass Haus und Funktion zusammenpassen, setzt Voller instinktiv voraus, begründet dies aber nicht: so, als sei jeder Altbau umnutzbar, wie etwa die Kreuzberger Wohnungen auch für Computerfirmen taugen.
Selbst die Pose des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, der Schlossbau bilde die ideale Verkörperung zur Einrichtung eines ethnologischen Europamuseums – quasi als Symbol der Versöhnung nationaler Geschichte mit internationaler Perspektive – weicht einer Schlossdebatte aus. Denn Lehmanns Absicht impliziert, das Schloss sei Attribut der Museumsinsel, als müsse Berlin den Louvre nachspielen – nur europäischer.
Ein Schloss als Hotel, als politisches öffentliches Forum oder als Museum samt internationalen Einrichtungen; alles geht, demonstriert aber die Beliebigkeit der Vorschläge. Das Plädoyer für die Form hat zumindest eine Einsicht gesteigert: nämlich dass private „Investorenbekundungsverfahren“ wie Diepgen sie auslobte, zu einer Entstaatlichung des zentralen städtischen Raumes geführt hätten und die Entscheidung für eine öffentliche Nutzung sich durchsetzen wird.
Auffällig an der so genannten Schlossdebatte ist zugleich, dass der Aspekt moderner Architektur am Schlossplatz dem Palast der Republik zugestanden wird. Bei einer „architektonischen Collage“ aus Alt und Neu, urteilte etwa Vollmer, könnte diese aus dem rekonstruierten Schloss und der Ostfassade des Palastes bestehen. Der asbestverseuchte Palast der Republik darf den Part des denkmalwerten modernen Rudiments spielen. Mehr nicht.
Werden die Zuordnungen für die Moderne derart begrenzt ausgelegt, liegt der gesamten Debatte ein Tabu zu Grunde – an das sich unsere Architekten halten, indem sie nichts sagen. Eine Schlossdebatte hingegen benötigt jeden nur denkbaren Tabubruch. Der in Richtung Rekonstruktion ist bereits geschehen. Der in Richtung moderner Bebauung steht noch aus. Warum aber scheuen die Baumeister des Potsdamer Platzes und des Regierungsviertels dieses Risiko?
Am Reichstagsgebäude hat der Architekt das Risiko gewagt, der Demokratie als Bauherr und der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ein bauliches Bild der Moderne für einen Ort zu geben, der lange Zeit mit Vorstellungen kaiserlicher Pickelhauben überformt werden sollte. Sir Norman Foster hat sich dem mit seiner Glaskuppel entzogen. Heute bildet jenes Risiko – wie der Lohn der Angst – ein Wahrzeichen der Berliner Republik. Für das Zentrum des Landes steht ein solches Wagnis moderner Form und Funktion noch aus.
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