Nachgefragt: „Kein Coming-Out“
■ Eine lesbische Pfarrerin ist skeptisch
Die evangelische Kirche hat letzte Woche eine „Orientierungshilfe“ für den Umgang mit Homosexuellen in der Evangelischen Kirche vorgestellt (taz vom 18.3.). Danach darf der Pfarrer den Freund zwar lieben, aber eine Lebensgemeinschaft im Pfarrhaus gilt weiterhin als undenkbar. Dort und auf der Kanzel soll der schwule Pfarrer oder die lesbische Pfarrerin außerdem das heterosexuelle Ideal von der Mutter-Vater-Kind-Familie hochhalten. Um das sicherzustellen, sollen Pfarrstellen an homosexuelle SeelsorgerInnen nur mit dem Einverständnis aller Gemeindemitglieder vergeben werden.
Über die neue Moral der Evangelischen Kirche sprach die taz mit einer lesbischen Pfarrerin aus Bremen.
taz: Welche Stimmung herrscht unter homosexuellen KollegInnen in der Kirche?
Pfarrerin: Die meisten verschweigen ihre Homosexualität aus Angst vor der Gemeinde, Gemeindegliedern und der Kirchenleitung. Sie treffen sich geheim und stärken sich den Rücken. Es ist schon Sorge und Angst da.
Wovor?
Seitens der Gemeinde beispielsweise, daß Mitglieder sagen, ,zu der kommen wir nicht mehr in den Gottesdienst'. Oder: ,Die könnte Mädchen verführen.' Oder: ,Was will die uns denn sagen, sie lebt doch das genaue Gegenteil von dem, was in der Bibel steht.'
Ist die Bibelauslegung nicht umstritten?
Doch. Im Alten und im Neuen Testament steht, homosexuelle Praxis ist Sünde. Klar ist aber, daß es jedenfalls im neuen Testament um Knabenliebe geht. Allerdings wissen wir nicht, ob das nun wirklich so gemeint war. Wir wissen nur, daß das Neue Testament sehr von den griechischen Philosophen beeinflußt wurde. Deshab könnte man das so deuten.
In ihrer „Orientierungshilfe“ deutet die Kirche das ja eher nicht so.
So steht es ja auch in der Bibel. Da komme ich nicht drumherum, deshalb ist Homosexualität etwas, was Gott nicht gewollt hat. Gott hat die Ehe gewollt. Aber die alttestamentliche Ehe war zum Beispiel eine Vielehe. Wenn da von Ehe die Rede ist, dann meinten die bestimmt nicht dieses Ehemodell, was wir heute haben.
Die Orientierungshilfe ist nach Auskunft der Kirche ein Versuch, Brücken zwischen den zwei extremen Positionen zu bauen. Die eine will die strenge Bibelauslegung, die andere fordert, die Schrift kontextuell zu sehen. Wenn man allerdings das ganze Papier liest, dann merkt man richtig, wo beide Positionen vorkommen, wenn man sich offensichtlich nicht einig geworden ist.
Sind die Lebensbedingungen für Lesben und Schwule in der Kirche dadurch nicht auch freizügiger geworden?
Da muß man unterscheiden, ob man von Kirchenmitgliedern der von Angestellten spricht. Für Angestellte ist das Pfarramt weiterhin generell nicht geöffnet. Das wird nur in Ausnahmen genehmigt, wenn alle Gremien damit einverstanden sind. Wenn jemand sich neu in einer Gemeinde bewerben will, dann nüßte diese Person also gleich sagen, ,hallo, ich bin lesbisch oder ich bin schwul', und alle müssen dazu ja sagen. Für eine Anfangssituation beispielsweise ist das ja so gut wie unvorstellbar. Bei Bewerbungen innerhalb Bremens kennt man aber natürlich die Positionen der einzelnen Gemeinden etwas.
Die Kirchengemeinden in Bremen unterscheiden sich ja von denen in anderen Bundesländern.
Ja, hier hat jede Gemeinde die absolute Hoheit, da gibt es keine Kirchenleitung, die noch intervenieren könnte. Aber trotzdem gibt es ja die Schwierigkeit, daß man nicht in die Köpfe aller hineinschauen kann. Bei der Einstellung soll aber Einmütigkeit bestehen, das heißt, es darf gar keine Gegenstimme geben.
Ändert diese Schrift also überhaupt etwas?
Ich fürchte, daß Leute nun resignieren, die homosexuell leben oder einfach nur wollen, daß das eine gleichrangige Lebensform ist. Außerdem gibt es Besorgnis, daß es ein Rückschritt sein könnte, weil ja viele Leute gerade aus dem evangelikalen Bereich sagen, das könnte kirchentrennend sein. Wie sich das auf die gesamtbremisch-kirchliche Diskussion auswirkt, da habe ich Vorbehalte.
Das große Coming-Out von PfarrerInnen dürfen wir also nicht erwarten?
Auf keinen Fall.
Fragen: Eva Rhode
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