Kein Auskommen mit dem Einkommen: "Es ist ein Leben ohne Spaß"

Der Erzieher Ruben Umbehr ist fest angestellt. 37 Stunden in der Woche arbeitet der Erzieher in einem Frankfurter Kindergarten. Aber das Geld reicht nicht, deshalb muss er auch noch Pizza backen.

Erzieher sein ist ein anspruchsvoller und verantwortungsvoller Beruf - aber ohne Pizzabacken reichts nicht. Bild: ap

In dieser Bude gibt es keinen Stuhl, hier kann man nur bestellen. Das Neonlicht brennt, die Tür steht offen. Fahrer schnappen sich Kartons mit heißen Pizzen, werfen einen Blick auf den Stadtplan und verteilen dann mit ihren Motorrollern das Abendessen in der Stadt. Es ist 20 Uhr, es muss schnell gehen. "Wo ist die Berger Straße 140?", fragte einer. Ruben Umbehr dreht sich um: "Gegenüber vom Saturn." Er muss nicht überlegen, er hat selbst vier Jahre lang ausgefahren. Heute steht er an dem langen Metalltisch vor Behältern mit Salami, Pilzen, Ananas und Chili. Er trägt eine rote Schürze und Trainingsjacke wie die anderen Bäcker und legt einen Hefeteigfladen in die Form.

Dreimal in der Woche jobbt Ruben Umbehr bei Joeys Pizzaservice. Er braucht Geld, denn in seinem Hauptberuf verdient er zu wenig. Umbehr ist 28 und ausgebildeter Erzieher. Seit einem Jahr ist er in einem Kindergarten in Frankfurt am Main fest angestellt. Er arbeitet 37 Stunden in der Woche und bekommt im Monat 1.775 Euro brutto - nach Tarif.

Der Pizzajob hat ihn schon während Ausbildung und Anerkennungsjahr über Wasser gehalten. Sonntags kommt er tagsüber her, in der Woche an zwei Abenden - mal für drei, mal für fünf Stunden. Es riecht nach Zwiebeln, es zieht. Draußen rauscht der Verkehr vierspurig vorbei. Das Radio läuft, das Telefon bimmelt. Umbehr hebt ab, tippt die Telefonnummer in den Computer. "Classic? Mit Zwiebeln oder ohne? Dauert ungefähr 35 Minuten." Vor der Theke warten Selbstabholer auf ihr Essen. "Lass die Musik laufen! Ist ACDC. Ich glaub, s hackt!", brüllt Ruben dem Kollegen am Ofen zu, während er den Teigrand formt. Hier wird gefrotzelt, hier darf er sogar "Scheißdreck" sagen, wenn ihm was runterfällt. "Das ist für mich entspannend."

Umbehr ist seit 12 Stunden auf den Beinen. Er hatte Spätdienst im Kindergarten. Spätdienst beginnt um 9 Uhr. Ein paar Kinder frühstücken noch, Ruben übernimmt die Aufsicht. Dann trifft er sich mit seiner Gruppe zum Plenum: 23 Kinder sitzen im Kreis auf dem Boden. Die meisten sind fünf Jahre alt, manche erst vier. Umbehr und seine beiden Kolleginnen sitzen im Schneidersitz und improvisieren. "Okay", sagt er, "wir machen eine Erzählrunde." Juri ist aus dem Urlaub zurück, hat dort "getobt, Kinderdisco gemacht und hin und wieder gebastelt", Lukas hat "Zwergnase auf dem Weg gesehen" und Arian "einen Clown auf der Autostraße, der seine Stinkesocken essen wollte". Fünfjährige haben Fantasie, und sie können sehr albern werden. "Ihr flunkert doch", sagt Ruben irgendwann. Er hat Humor, und er mag Kinder: "Sie verstellen sich nicht. Und ihnen wird nie langweilig."

Später auf dem Hof haben alle sofort eine Beschäftigung gefunden. Zwei Mädchen graben im Kräuterbeet nach Ameisen, drei Jungen zerkleinern Steine, einige buddeln im Sand, andere fahren Roller. Umbehr hat sich einen Schal umgebunden, aber ihm ist kalt. "Ich bin immer erkältet, aber selten krank." 75 Kinder besuchen die Einrichtung, es gibt nur drei Gruppen. Wenn Erzieher krank werden, dann mehrere auf einmal. Dann wird es schwer, seine 26 Kinder zählende Gruppe zu trennen. Dann wird es stressig. 26 Kinder in einem Raum, das ist laut, das ist anstrengend.

Karol findet eine Feder und will wissen, von welchem Vogel sie ist. Arian ist gestolpert und braucht Trost, Leyla sucht ihre rote Zange, Karol hat jetzt Durst. Ruben antwortet, Ruben tröstet, Ruben hilft suchen. Er schenkt Wasser ein, er erklärt die Welt. Und er trägt Verantwortung: "Hey, Lukas, spuck die Perle aus. Ich will dich nicht erst auf den Kopf stellen müssen." Wieder im Gruppenraum liest er über Dinosaurier vor. Ruben Umbehr spricht in vollständigen Sätzen, klar und ruhig. Reden, reden, bloß nie fluchen! "Aufräumen!" zu brüllen würde hier nichts nützen.

Nach dem Mittagessen hat er 30 Minuten Pause, zu kurz für ein Nickerchen. Umbehr surft im Personalraum auf YouTube. Jack Johnson singt "If I Had Eyes". Das ist entspannend: "Ein gutes Zwischending zwischen Rammstein und Mozart". Bei Ian Garbarek, dem Jazzsaxofonisten, den er als Nächstes hochlädt, war er im Konzert, die Karte 50 Euro.

1.170 Euro verdient er netto. "Von dem Gehalt kannst du als Single leben, aber es ist ein Leben ohne Spaß." 320 Euro zahlt er für das WG-Zimmer an der Stadtgrenze. Seit einem Jahr hat er Riesterrente. Demnächst will er 100 Euro im Monat für später zurücklegen, denn es beunruhigt ihn zunehmend, wie wenig Geld seinen Eltern im Alter bleibt. Auch Kollegen von ihm haben schon nebenbei verdient, vor allem im Anerkennungsjahr sitzen sie an der Supermarktkasse, jobben als DJ oder Babysitter. Seine Chefin hat Verständnis, solange die Arbeit nicht leidet.

Frankfurt ist teuer. Am Wochenende geht Ruben mit seinen Freunden aus, etwas essen und danach einen trinken. "Dafür gebe ich am meisten aus." Mit zwei Freunden war er im Sommer 14 Tage in Frankreich. Das hat richtig gekostet: Haus in der Bretagne, Mietauto von Paris.

Die Freunde kennt er seit 10, manche seit 20 Jahren. Sie sind Facility-Manager, Webdesigner oder Administrator geworden. Sie sitzen an Rechnern und verdienen fast doppelt so viel wie er. Ruben hat nicht einmal Internet, auch kein Festnetz, weil er ohnehin nie zu Hause ist. Er wollte einen Beruf, für den er morgens gerne aufsteht. "Ich will mit Menschen arbeiten." Seine Freunde schätzen inzwischen guten Wein, beim Käse greifen sie zu den teuren Sorten. Sie wissen, dass er wenig verdient, aber er will sich nicht dauernd aushalten lassen.

Über Käsepreise müssen die wenigsten Eltern, deren Kinder er betreut, nachdenken. Viele Väter tragen Anzug und Schlips, wenn sie morgens den Nachwuchs abgeben, sie verdienen ihr Geld in Banken, sind Unternehmensberater oder Juristen. Die Eltern im Frankfurter Nordend kennen die Resultate der Pisa-Studie. Sie lesen zu Hause vor, bringen ihre Kinder nachmittags zum Schwimmen und Singen, zu Yoga oder Kampfsport, und viele schicken sie später auf Privatschulen. Sie wollen mehr als Betreuung, auf Elternabenden verlangen sie Vorschulbildung.

Ruben Umbehr, der in der Woche genau eine Stunde Vorbereitungszeit hat, setzt andere Prioritäten. "Es ist wichtiger, dass Kinder teilen und Rücksicht nehmen lernen, bevor sie in die Schule kommen." Er achtet darauf, dass sie nicht schon vor dem Tischspruch essen und sich beim Aufräumen nicht verdrücken. Er redet mit ihnen über Respekt. Umbehr ist das Kind von 68ern, sein Vater ist Künstler, die Mutter hatte als Lehrerin zeitweilig Berufsverbot. Er gehört zu einer Minderheit - zu den drei Prozent Männern, die für so wenig Geld im Kindergarten arbeiten.

Aufsicht im Bewegungsraum ist die Herausforderung des Spätdienstes. Der riesige Raum hat drei Fensterfronten, ist fast leer und nicht schallgedämmt. 30 Kinder stürmen nach dem Imbiss um 14.30 Uhr herein. Sie toben auf dem Mattenberg, turnen, kreischen, stampfen, streiten, lachen, schreien und lassen Holzleitern auf den Boden knallen. Auch Umbehr muss seine Stimme heben, wenn er gehört werden will. "Franz, musst du Pippi?" Als seine Festanstellung unterschrieben war, ist er zur Chefin gegangen: "Sorry, ich bin auch nur ein Mensch. Wenn ich das so weitermache, kann ich mit 30 in Rente gehen." Jetzt ist er nur noch zweimal in der Woche dran.

Die ersten Eltern, die ihre Kinder abholen, grüßen kurz von fern, ziehen die Tür schnell wieder zu. Immer häufiger schallt das "Bist abgeholt!" durch den Raum, das sich die Kinder zurufen, wenn sie Eltern erblicken. Ruben sitzt auf dem Fensterbrett. Die Luft ist stickig. Weniger Kinder bedeutet mehr Ruhe, und mit ihr kommt Müdigkeit. Manche Eltern, die kurz vor 16.30 kommen, wollen noch ein bisschen reden.

Umbehr will jetzt nicht mehr plaudern, er will los. Um 16.32 Uhr schließt er die Kindergartentür zu. Nach Hause fahren lohnt sich nicht, heute muss er um 19 Uhr beim Pizzaservice sein. Nach Teamsitzungen bleiben ihm oft nur 30 Minuten, um dorthin zu kommen. Mit einer Kollegin geht er noch Kaffee trinken. Sie braucht seinen Rat - dienstlich.

Die erste Pause vom Pizzabacken hat Ruben Umbehr gegen 21.00 Uhr. Er steht im Nieselregen, schnappt frische Luft auf der Straße. Die Fahrer verteilen Gummibärchen. Die Unterhaltungen zwischen Bäckern und Fahrern werden länger, die Diskussionen hitziger. Eine Fuhre steht noch da. "Hey, schön, dass ihr euch für Politik interessiert, aber das Essen wird kalt!"

Ruben faltet im Nebenraum Kartons auf Vorrat. "Ich bin am Überlegen, ob ich noch studieren soll." Das würde die Chancen erhöhen, einmal eine Kita zu leiten, und eine Leiterin bekommt im Schnitt immerhin 2.900 Euro - so viel wie ein Baudenkmalpfleger als Einsteiger. Irgendwann hätte Ruben Umbehr auch gern Familie und eigene Kinder. Manchmal fährt er sich beim Erzählen mit der Hand von der Stirn über eine Gesichtshälfte. Dann sieht er müde aus.

Gegen 22.00 fegt er das Mehl vom Boden. Heute hat er nur drei Stunden hier gearbeitet. Dafür bekommt er 21 Euro - aber mehr als 400 darf er im Monat ohnehin nicht dazuverdienen.

Die Namen der Kinder wurden geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.