Kavka und Giglinger über Musikfernsehen: „Das war ganz schön Punkrock“

Markus Kavka und Elmar Giglinger haben ein Buch über ihre Zeit bei Viva und MTV geschrieben. Ein Gespräch über Stars, Drogen und sehr viel Spaß.

Markus Kavka und Elmar Giglinger sitzen auf Bänken im Festsaal Kreuzberg

Markus Kavka (links) und Elmar Giglinger vor ihrer Buchpremiere im Festsaal Kreuzberg am 26. Oktober Foto: Christoph Soeder/dpa

taz: Heutzutage muss der Bild-Chefredakteur zum Drogentest. Herr Giglinger, Sie erzählen in Ihrem Buch „MTViva liebt dich!“, dass Sie bei Viva Zwei ein Machtwort sprechen mussten: keine Drogen vor 18 Uhr. Was war da los?

Elmar Giglinger: Vor allem in den späten 1990ern bei Viva Zwei wurden alle Grenzen gesprengt. Ein Drogen-Screening hätten wahrscheinlich 70 Prozent der Mitarbeiter nicht überstanden.

Markus Kavka: Vielleicht auch mehr. Um elf Uhr morgens kam das Drogentaxi und dann hat man sich vorgenommen, das Zeug bis zum Wochenende aufzuheben. Der Vorsatz hat selbst an einem Freitag nicht gehalten.

geboren 1967 in Ingolstadt, ist Journalist und Moderator, war ab 1995 bei Viva, 1997 wechselte er zu Viva Zwei, von 2000 bis 2009 war er Moderator und Producer bei MTV Germany.

Wie sah der Arbeitsalltag im Musikfernsehen damals aus?

Kavka: Bei Viva Zwei und auch später bei MTV gab es kaum Trennlinien zwischen Job und Privatleben. Deswegen hat sich das für uns auch nicht so angefühlt, als würden wir wie wild auf der Arbeit Drogen nehmen. Wir waren ja im Sender zu Hause und alle Freunde waren auch da.

Giglinger: Wir haben alle sehr viel gearbeitet.

Kavka: Heute wäre ein solches Projekt nicht mehr möglich. Das war ganz schön Punkrock. Viele der Leute, die von Anfang an dabei waren, hatten keine Vorkenntnisse, keine Fernseherfahrung. Wir hatten die Freiheit, Fehler zu machen, und mussten keine Konsequenzen fürchten.

geboren 1965 in Kempten/Allgäu, war Gründungsredakteur von Viva TV, bis 2000 Programmdirektor für Viva Zwei, bis 2009 von MTV und Viva TV.

MTViva liebt dich!“, Ullstein Verlag.

Giglinger: Es gab kein hierarchisches Denken und ich musste die Mitarbeitenden eher bremsen. Ich habe immer wieder Leute in den Urlaub geschickt, wenn ich gemerkt habe, dass sie zu viel gemacht haben oder schon länger nicht mehr zu Hause waren.

Was war der Sinn von Musiksendern wie Viva und MTV, die sich in Deutschland ab den 1990er Jahren etabliert haben?

Giglinger: Wir beide, die wir in den 1970er und 1980er Jahren aufgewachsen sind, waren mit einem Fernsehen konfrontiert, das nicht für junge Leute gedacht war. Diese Lücke hat Musikfernsehen besetzt. Es war das erste 24/7-Format für unter 30-Jährige.

Kavka: Als MTV in den USA an den Start ging mit dieser „Video killed the radio star“-Kampagne, war das eine Ansage. Es hat die Musikindustrie fundamental verändert. Musiker wurden zu Stars, weil ihre Videos gespielt wurden. Du hattest plötzlich ein Gesicht zu den Leuten, die du nur aus dem Radio kanntest. Klar, dass es irgendwann auch Musikfernsehen auf Deutsch gab.

Giglinger: Viva TV wurde überwiegend von der Musikindustrie finanziert, unter anderem von Sony und Warner. Es ging natürlich auch darum, Geld zu verdienen und Musik zu verkaufen. Ein weiterer Weg, um junge Menschen zur Musik zu bringen.

Viva und später auch MTV konnte damals Hits machen. Bands wie Wir sind Helden wären ohne Musikfernsehen nie erfolgreich geworden. Wie sind Sie mit dieser Machtposition umgegangen?

Giglinger: Machtposition? Nein, wirklich nicht. Ich hab mich nie mächtig gefühlt. Mir ging es darum, einen abwechslungsreichen Sender zu gestalten. Anhand dessen haben wir entschieden, was für Musik läuft.

Kavka: Es ging nicht darum, sich selbst abzufeiern. Wir haben jede Woche unglaublich viele Musikvideos angesehen und natürlich auch gewusst, was es für eine Tragweite hatte, wenn etwas auf Rotation ging. Das haben wir nicht als Macht begriffen, sondern als Aufgabe. Und die haben wir sehr ernst genommen.

Gab es damals Bestechungsversuche durch Bands oder Labels?

Giglinger: Ich wäre da ja lange Jahre der richtige Ansprechpartner gewesen, aber habe nicht einen Bestechungsversuch aus der Industrie oder von Künstlern erlebt. Was gespielt wurde und was nicht, haben wir in Meetings immer demokratisch abgestimmt. Ein Redakteur hatte wohl mal von einem Promoter mehrere Tausend Euro angeboten bekommen. Und natürlich gab es viele Geschenke, Produktionskostenzuschüsse und wir wurden ständig in teure Restaurants oder auf schicke Reisen eingeladen, um Künstler kennenzulernen. Hat das meine Entscheidungsfindung beeinflusst? Definitiv nein.

Pressereisen, um Musiker auf der ganzen Welt zu treffen, waren damals an der Tagesordnung. Nicht sehr nachhaltig.

Kavka: Ich bin permanent für irgendein halbstündiges Interview irgendwo hingeflogen worden und kann mich heute an keine der Bands erinnern. Man hat dann drei Tage im Hotel gewohnt, ist teilweise Businessclass geflogen. Es wurde sehr viel Geld verpulvert.

Giglinger: Nach drei Monaten bei MTV hatte ich schon die Senatorenkarte bei Lufthansa. Dafür muss man verdammt viel fliegen.

Kavka: Hätte es keine Digitalisierung gegeben, dann wäre die Musikindustrie wahrscheinlich irgendwann krachen gegangen. Man hätte die ganzen Wege nicht mehr zurücklegen können. Es hat sich irgendwann normalisiert.

Ihr Buch bleibt eher unkritisch. Nils Ruf war zum Beispiel für misogyne Witze in seiner Show Kamikaze“ auf Viva Zwei bekannt. Eine halbnackte Frau, das „Kamikäzchen“, lag neben ihm und durfte nicht sprechen. Das wird zwar thematisiert, aber nicht kritisiert. Warum?

Giglinger: Wir haben im Buch vermieden, mit dem heutigen Blickwinkel draufzugucken. Das „Kamikäzchen“, an dem ich mit beteiligt war, wäre heute undenkbar. Damals ging es um Freiheit. Wir wollten der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Es war ein Kommentar auf all die gut aussehenden Frauen, die bei privaten Fernsehsendern maximal Nummern drehen durften. Wir wollten das überspitzen. Das war schon ein ganz klares Augenzwinkern.

Na ja.

Giglinger: Wir wollten die damals recht engen Grenzen des spießigen Fernsehens neu definieren. Das war auch der Grundgedanken für „Kamikaze“. Oft waren die Moderationen von Nils Ruf aber nicht gut vorbereitet und nur noch platt und sexistisch. Das hat mir damals schon nicht gefallen.

Kavka: Es gab viele Momente, die damals ein krasses Unbehagen in mir ausgelöst haben. Das war teilweise überhaupt nicht mein Humor. Nils Ruf war ein Teil des Viva-Zwei-Gedankens. Wie weit können wir gehen?

Giglinger: Charlotte Roche lief im gleichen Programm und war der Gegenentwurf zu Ruf. Sie hat damals schon öffentlich feministische Positionen vertreten, über die im Fernsehen noch niemand nachgedacht hat.

Bei Viva und MTV gab es über die Jahrzehnte immer Shows, die über Musik hinausgingen, von Stefan Raab bis Christian Ulmen. Aber mit der Zeit wurde die Musik immer weniger. Dafür gab es plötzlich Serien wie „Jackass“ oder „Pimp my Ride“. Warum der Wandel?

Giglinger: Bis Anfang der Nullerjahre war das Musikfernsehen die natürliche Heimat des Musikvideos. Das hat sich durch das Internet verändert. Man konnte einfach direkt auf die Homepage eines Künstlers oder auf Youtube gehen. Darum mussten wir mehr eigene Inhalte produzieren.

Kavka: Für mich waren musikalische Inhalte immer das A und O bei meiner Arbeit in Musikfernsehen. Gleichzeitig fand ich die Entwicklung total spannend.

Giglinger: Die Formate, die Anfang, Mitte der Nullerjahre kamen, die waren ja wirklich stilprägend. Die erste Reality Show mit Ozzy Osbourne und seiner Familie – so was gab es vorher nicht. Irgendwann wurden die Formate aber immer trashiger.

Kavka: Es waren nur noch Kopien der Kopien.

Giglinger: „Jackass“ gucke ich mir heute immer noch an.

Viva gibt es seit 2018 nicht mehr, MTV führt ein Nischendasein. Woran ist Musikfernsehen letztlich gescheitert?

Giglinger: Es wurde nicht in die digitale Transformation investiert, obwohl alle wussten, wie wichtig das ist. Auch die Inhalte wurden immer unkreativer und ab 2008 massiv zusammengekürzt. 2007 war MTV noch unter den weltweit fünf beliebtesten Jugendmarken der Welt, drei Jahre später ist es schon gar nicht mehr in der Liste aufgetaucht. Das muss man erst mal schaffen. Die Konzernspitze in New York hat nicht mehr an Musikfernsehen geglaubt.

Kavka: Gleichzeitig war die Musikindustrie als unser Hauptwerbetreibender auch in einer finanziellen Krise.

Herr Kavka, Sie sind dem Musikfernsehen trotz des Relevanzverlusts bis heute treu und moderieren beim Sender Deluxe Music. Warum eigentlich?

Kavka: Mir macht es immer noch wahnsinnig viel Spaß, vor der Kamera zu stehen, über Musik zu reden, Leute zu interviewen. Ich bin damals wie heute Musikjournalist. Der Ausspielkanal für meine Arbeit ist mir erst mal latte. Lustig ist aber in dem Zusammenhang, dass meine Sendungen genau in dem Studio in Berlin produziert werden, in dem ich bis 2008 für MTV vor der Kamera stand. Teilweise sind sogar die gleichen Leute da. Der Praktikant von damals ist jetzt der Regisseur. Es gibt eine krasse Vertrautheit. Aber es ist auch ein bisschen schräg, da hinzukommen und jedes Mal eine kleine Zeitreise zu machen.

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