Katja Riemann über Engagement : Wir können!
Die Schauspielerin Katja Riemann überlegt, wie man eine träge Masse für Zukunftspolitik in Bewegung bringt.
taz FUTURZWEI | Ich kenne mich nicht mit Fußball aus. Keine Ahnung, was nun ein Abseits sein soll. Aber begriffen habe ich, dass die Zuguckenden zu Hause auf der Couch das wissen. Und auch, wie man Tore anständig schießt oder wo Chancen günstig gewesen waren, die Mann- oder Frauschaft im Feld haben vorbeigehen lassen.
Es ist super zu wissen, dass jene, die weder involviert sind noch auf dem Fußballfeld stehen und rennen, bis ihnen die Zunge zum Hals raushängt, eine Expertise haben. Da wird Engagement und Fachsimpelei mitgebracht. Ob man in den beheimateten Fußballclub zum Training geht, sei dahingestellt. Aber ins Fußballstadion wird bestimmt gegangen, wenn man sich das Ticket leisten kann. Dort ist dann eine internationale Zusammenkunft vorzufinden. Stadien sind groß und überall auf dem Planeten auffindbar. Werden auch immer weitere gebaut, je nach Lokalität der noch zu erwartenden Fußballweltmeisterschaften.
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Fußball verbindet, könnte man zusammenfassend sagen, auch wenn sich Fans ab und an verprügeln, weil sie für das gegnerische Team applaudieren.
Worum geht es, wenn es um Zukunft geht?
Das Gute: Es geht um nichts. Außer um einen Pokal und ja, natürlich, um sehr viel Geld. Bei anderen Zusammenkünften, um mal bei dem Wort zu bleiben, bei denen es um etwas geht, Zukunft zum Beispiel, planetarische Grenzen auch, huch, da sieht es direkt anders aus. Da wird zum Beispiel gefragt: Wessen Zukunft eigentlich? Meine nicht, die ist schon abgelaufen, sorry. Deine? Bist noch jung, was?! Tja, die jungen Leute, von denen kommen die Revolutionen und die Demonstrationen, die auch zu keiner Verbesserung des Menschseins geführt haben: »Sie waren dumm geblieben die Menschen, selbst wenn sie in der Lage waren, Atombomben zu bauen«, sagt Sibylle Berg dazu.
Worum geht es, wenn es um Zukunft geht? Um das Leben auf dem Planeten, schlage ich als Antwort vor. Es geht uns alle an, es gibt dabei nur ein Team, und der Gegner sind wir selbst.
David Attenborough sagte mal zu den FFF: »Ihr habt in drei Jahren geschafft, was mir in 30 Jahren nicht gelungen ist.« Aber auch das ist jetzt Schnee von gestern, aufgrund der Transparente, die die Fridays zu Nahost schrieben. Man freute sich vor der Pandemie, dass 250.000 Menschen an einer Demo teilnahmen, die die Klimakatastrophe zum Thema hatte; dass sie oder wir gehört werden. Nun, 250.000 Personen in einem Land von 84 Millionen sind 0,3 Prozent. 250.000 von acht Milliarden (das ist etwa die Erdbevölkerung 2023, bisschen mehr eigentlich) sind laut des Online-Prozentrechners, den ich dazu befrage: 0 Prozent. Das kann natürlich nicht sein, der Rechner spinnt, aber es sind jedenfalls in Deutschland nicht die erforderlichen 3,5 Prozent, die man, laut Studien, für einen erfolgreichen friedlichen Widerstand benötige, mit dem Wandel einhergehen könnte. Einhergeht.
Gingen 2,5 Milliarden, beispielsweise, los und würden für die Zukunft ›laut‹ werden, wie man heutzutage sagt, dann wären sie noch immer in der Minderheit. Ein Drittel. Bisschen weniger.
Masse ist träge
Ich finde Zahlen, obwohl ich matheschwach bin, sehr aufschlussreich, weil man da einfach mal nichts fühlen muss und seine wie auch immer erworbene oder geartete Meinung nicht hinauszuschleudern braucht. Hilft aber nix. Eine Masse ist träge, das kann man an Spaziergängen mit der ganzen Familie ablesen. Aber wir brauchen sie, die Masse, träge hin oder her, wenn wir uns retten wollen. Es ist zu viel Gewicht auf wenigen Schultern verteilt. Warum? Weil Verantwortung zu übernehmen so riskant ist? Oder weil wir uns die Zukunft nicht vorstellen können? Weil wir nicht in der Lage sind, uns heute so zu verhalten, sodass das Ergebnis in zehn oder mehr Jahren sichtbar wird?
taz FUTURZWEI N°27: Verbrauchte Ziele
Das 1,5 Grad-Ziel ist verloren, das 2 Grad-Ziel wohl auch. Braucht es einen Strategiewechsel und wie sieht der aus?
Wir machen Ernst IV, Schwerpunkt: Klimaziele
Mit Lea Bonasera, Kirsten Fehrs, Dana Giesecke, Jonathan Franzen, Anders Levermann, Wolf Lotter, Belit Onay, Katja Riemann – und natürlich Harald Welzer.
Die sogenannten Suffragetten, Frauen, die für ihr Wahlrecht im 19. Jahrhundert kämpften, taten das über viele Dekaden hinweg friedlich – und unsichtbar. Und somit ergebnislos. Später, Anfang des 20. Jahrhunderts, wurden sie krawalliger, wurden dafür direkt ins Gefängnis befördert; ein Hungerstreik wurde mit Zwangsernährung beantwortet, was gruselige Bilder produzierte. Auch sie zerstörten Kunst, allerdings nicht mit Kartoffelsuppe, sondern mit ‘ner Axt. Das Frauenwahlrecht blieb aus, wir können uns das heute gar nicht mehr vorstellen. Erst der Erste Weltkrieg änderte die Situation, da man die Frauen in den Männerberufen benötigte, weil die Männer im Krieg waren.
Kommt ins Team Natur!
Überträgt man dieses Beispiel nun auf unser Verhalten für eine Sicherstellung von Zukunft, die wir uns als träge Masse selbst zerstören, was bedeutet das dann? Was muss kommen, damit Änderung bewirkt wird, damit das System der Erde, auch als Natur bekannt, gesund bleibt, denn es ist klug und braucht keine Hilfe vom Menschen, eher andersrum.
Als die Büchse der Pandora geöffnet wurde, lag die Hoffnung ganz unten, sie konnte nicht hinaus. Aber man kann auch ohne Hoffnung weitermachen und wer weiß, vielleicht kriechen Menschen aus ihren Höhlen und machen mit, weil sie mal zur Natur gehört haben.
Die Zyniker, sie machen es sich leicht, sie sind wie die Fußballzuguckenden auf der Couch. Sie wissen alles besser und bleiben dabei auf dem Sofa sitzen. Nein, danke.
Wir können uns auch bewegen, warum eigentlich nicht, denn dann gehören wir zu einem Team, statt diesem nur zuzugucken.
Von Katja Riemann erscheint im Februar: Zeit der Zäune. Orte der Flucht. S. Fischer 2024 – 448 Seiten, 26 Euro.
Dieser Beitrag ist in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°27 erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI gibt es jetzt im taz Shop.