Katja Kipping über Hartz-IV: "Kein Weihnachtsbaum vorgesehen"
Ein Weihnachtsbaum ist im neuen Regelsatz nicht vorgesehen, so Katja Kipping (Linkspartei). Sie wird gegen die Hartz-IV-Neuregelung stimmen und erklärt im taz-Interview, warum.

taz: Frau Kipping, muss der Staat Hartz-IV-Empfängern Schnittblumen zahlen?
Katja Kipping: Es geht ja nicht nur um das körperliche Überleben, sondern um ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe. Dazu gehört auch, auf eine Geburtstagsfeier mal einen Strauß Blumen mitnehmen zu können. Außerdem gehört zu dieser Ausgabengruppe auch der Weihnachtsbaum. Der ist im Regelsatz nicht vorgesehen.
Am Freitag wird der Bundestag die Neuregelung der Hartz-IV-Sätze beschließen. Warum stimmen Sie dagegen?
Der Gesetzentwurf mit der Erhöhung um 5 Euro auf 364 Euro entspricht nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. Der Regelsatz wurde mit Tricks und Abschlägen künstlich klein gehalten.
Geben Sie ein Beispiel.
Es wurden etwa vier Haushalte einbezogen, die in drei Monaten null Cent für Nahrungsmittel ausgegeben haben. Außerdem wurden nur die unteren 15 Prozent der Einkommenshierarchie einbezogen, vorher waren es die unteren 20. Und dann gibt es noch viele willkürliche Abschläge, wie für Haftpflichtversicherung, Haustiere oder Alkohol.
Sie haben beim Statistischen Bundesamt jetzt eine eigene Berechnung in Auftrag gegeben. Was ist das Ergebnis?
Wenn man die unteren 20 Prozent heranzieht und die Personen herausnimmt, die zwar Anspruch auf Hartz IV hätten, es aus Angst vor Repressionen aber nicht beantragen, die sogenannten verdeckt Armen, müsste der Regelsatz um 28 Euro steigen. Das ist nicht verhandelbar.
Ihre Partei spricht aber von 500 Euro. Warum?
Wenn man die willkürlichen Abschläge herausrechnet, landet man bei konservativer Auslegung bei 465 Euro. Wenn noch ein Bedarfs-TÜV für vollwertige Ernährung dazukommt, sogar bei über 500 Euro.
Der Bundesrat verhandelt Hartz IV im Dezember, Schwarz-Gelb fehlt die Mehrheit. Werden SPD oder Grüne einknicken?
Das hängt davon ab, ob sie noch ein Mindestmaß an Standhaftigkeit haben.
Glauben Sie, die Regierung ist zu Kompromissen bereit?
Die bisherige Ignoranz gegenüber der Kritik zahlreicher Fachleute lässt wenig Gutes vermuten.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin