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Katharina J. Cichosch High & LowAls Mainz einmal einen Off-Space hatte

Jörg Frank stellte im Dezember 1978 einen Eisberg in die „Halle“Foto: Jörg Frank/mainzer kunstverein/die halle

Der Kulturschock sei extrem gewesen, erinnert sich Deborah Monroe. Die Amerikanerin war gerade fertig mit ihrem Kunststudium an der Frankfurter Städelschule. Auf einem Heimatbesuch in Kalifornien entdeckte sie, wie sorgfältig die privaten Toiletten dort gestaltet waren – bis hin zum Farbkonzept, das stets passende Handtücher mit einschloss.

Monroe fertigte Fotografien jener Räume an, die ihr plötzlich so fremd erschienen, und übermalte die auf Leinwand gezogenen Prints gleich wieder. Um die Privatsphäre ihrer Besitzer zu wahren, aber auch zwecks eigener Bearbeitung der vorgefundenen Verhältnisse. Die nun partiell den Blick verschließenden, partiell ihn offen legenden Bilder nebst Inventarlisten der jeweiligen WC-Räume stellte die Künstlerin 1980 unter dem Titel „The Toilets“ im Mainzer Ausstellungsraum „Die Halle“ aus.

„Die Halle“ war ein von Künstlerinnen und Künstlern getragener Ort und zugleich Kunstverein: Ein in jeglicher Hinsicht unwahrscheinlicher Ort, gerade in der Retrospektive. Dass man heute davon lesen kann, ist dem Verleger Harald Kubiczak zu verdanken. Das von ihm herausgegebene Buch „Die Halle. Eine Kunst-Initiative in Mainz 1976–1982“ erinnert an einen schmalen Zeitraum, in dem Mainz einmal so etwas wie einen frühen Off-Space hatte – und das, während Frankfurt noch als kulturelles Brachland galt, Rhein-Main generell trotz Kunst- und Gestaltungshochschulen eine recht trostlose Angelegenheit gewesen sein muss.

Das Buch umfasst Aus- und Rückblicke einiger damals Beteiligter, mit trockenem Humor verfasste Förderanträge (bisweilen vergeblich) sowie Recherchen zu historischen Vorbildern an Ort und Stelle, darunter der Verein für Kunst und Literatur, der sich rasch den Nationalsozialisten angedient hatte. Vor allem aber bietet es einen Überblick aller Ausstellungen, die realisiert worden sind.

Die Ausstellungstexte lassen auf eine im besten Sinne radikale Ausrichtung blicken: Es ging in der „Halle“ nämlich mehr oder weniger ausschließlich um Kunst. Das bisher noch Ungeahnte und nicht kommerziell Nutzbare sollte hier einen Ort finden, wie Jochen Nix auf dem Buchrücken zusammenfasst.

Katharina J. Cichosch lebt in Frankfurt am Main und schreibt hier regelmäßig über Kunst.

Zeitaktuelle Themen hielten ebenso Einzug. 1977 zeigte „Die Halle“ auf einer selbsternannten „Baumesse“ Gerätschaften und Fragmente, die von der Bau- und Umgestaltungswut in der benachbarten Mainzer Innenstadt zeugten (der fünf Jahre später schließlich auch der Ausstellungsort weichen musste). In der Gruppenschau „Frauen über Frauen“ konnten sich männliche Besucher beurteilen und Schönheitsfehler korrigieren lassen.

Weitere Ausstellungen befassten sich mit prähistorischen, indianischen Felsbildern aus Utah oder mit zeitgenössischer Ölmalerei, die Graffiti und Klo-Kritzeleien nachempfunden war. Der Künstler Jörg Frank stellte im Dezember 1978 einen vier Meter hohen Eisberg in die Halle, Ausstellungsende offen. Im Februar war die temporäre Rauminstallation geschmolzen.

„Die Halle“, bei Circuit-Art Publications erschienen, ist in erster Linie Würdigung eines in Vergessenheit geratenen, mutigen Vorhabens. Sicher auch eine Erinnerung, dass dieser Freiraum, hier als regelrechte Abwesenheit von zeitgenössischem Kulturbetrieb, unter Umständen auch gut sein kann für die Kunst. Man solle diesen Beinahe-Roman, schreibt Jochen Nix, im Rückblick eben gerade nicht als Kulturbürokrat wie eine „Mission impossible“ lesen.

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