Katar und der Zustand des Fußballs: Ware Verarschung
Bayern München ist doch noch abgeflogen, der Fußball ist doch noch in der Diktatur gelandet. Möge er dort bleiben! Eine Abrechnung.
V ielleicht ist ja 2021 das Jahr, in dem ich aufhöre, den Fußball faszinierend zu finden. Einen Bundesligaspieltag, bei dem es mir egal ist, ob Schalke gewonnen oder Köln verloren hat, gab es nicht oft. Und sehr viele solche Spieltage hintereinander gab es definitiv noch nie.
Der deutsche Rekord- und Ewigmeister FC Bayern durfte am Freitag schon um 20 Uhr anfangen, um mit müdem Spiel drei Punkte zu holen (diesmal gegen Hertha, nächste Woche gegen Bielefeld – es ist alles so egal), denn er musste ganz schnell zum Flughafen, weil es ihm ja darum geht, bei der Klub-WM das „Sextuple“ zu holen.
Nachdem ich erst jüngst „Quadruple“ und „Quintuple“ gelernt hatte, ahnte ich, was Sextuple bedeutet: dass der FC Bayern München sich nämlich in eine komplett andere Sphäre zu katapultieren gedenkt. Weg von allem, was unter der Würde eines Champions-League-plus-fünf-weitere-Titel-Träger ist, weg vom Kroppzeug aus Mainz oder Freiburg.
Nun konnte der FC Bayern aber doch nicht Freitagnacht losfliegen, weil – Nachtflugverbot! – keine Starterlaubnis vorlag. „Total verarscht“, sei man worden, schimpfte der Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz R., einen „Skandal ohne Ende“ sieht der Ehrenpräsident Ulrich H.. Und, noch einmal der Vorstandsvorsitzende: „Die Verantwortlichen wissen gar nicht, was sie unserer Mannschaft damit angetan haben.“
Diese unglaublich freche Behauptung, man selbst sei so wichtig, dass sogar Rechtsbrüche und -beugungen fürs eigene Wohl geschehen müssten, markiert etwa den Zustand des deutschen Profifußballs. Tests? Impfungen? Aufhebung von Reisebeschränkungen? Überall Start- und Landerecht? Ohne jede Scham wird verkündet, dass einem gefälligst alles zusteht.
Die unwichtigen sonstigen Champions-League-Sieger
Am Samstag hat der Weltfußballverband eine Pressemitteilung verschickt: „Der FC Bayern München landet in Doha, um die Aufstellung der Fifa-Klub-Weltmeisterschaft Katar 2020™ zu vervollständigen.“ Da steckt alles drin: Die Breaking News, dass in Doha ein Flugzeug gelandet ist, der Hinweis, dass diese WM ein registriertes Warenzeichen ist, das einem Konzern namens Fifa gehört.
Und selbstverständlich die Info, dass dort erst mal völlig unwichtige Teams wie Tigres de Monterrey (Mexiko), Ulsan Hyundai (Südkorea) oder al Ahly SC (Ägypten) sich um Plätze kloppen müssen, ehe mit dem FC Bayern und dem Copa-Libertadores Sieger Palmeiras São Paulo die Herren Halbfinalisten einschweben. Die unwichtigen Teams sind ja bloß Sieger der nord- und mittelamerikanischen Concacaf Champions League, der asiatischen AFC Champions League oder der afrikanischen CAF Champions League.
Aber es kickt ja auch al-Duhail SC mit, amtierender Meister des Gastgeberlandes Katar. Hier hält der FC Bayern stets seine Wintertrainingslager ab, hier findet gerade die Klub-WM statt und 2022 die große WM. Da ist der Fußball also angekommen: in einer Diktatur, die Arbeitern mickrige Löhne auszahlt und ihre Pässe einbehält, die Schwule in den Knast wirft, die Juden nicht ins Land lässt, die ganz offen Terror finanziert. Und wenn der FC Bayern dieses geheiligte Land des Weltfußballs wenige Stunden zu spät anfliegen kann, wird rumgepöbelt, welch Skandal und Verarsche das sei.
Früher gab’s das nicht? Doch, aber immerhin war der Fußball da noch nicht derart durchkapitalisiert. Soll heißen: All das war natürlich in den Siebzigern schon angelegt und abzusehen. Und: Nichts davon hat mich je davon abgebracht, den Fußball zu lieben, denn ich habe ja immer gesehen, was der Fußball auch ist: ein Working-Class-Spektakel, das doch jahrzehntelang gerade deswegen so schön war, weil es ein bisschen rebellisch zuging. Fußball war eben nie Florettfechten oder Dressurreiten. Bald aber dürfte sogar Polo demokratischer sein.
Das Ende des Fußballs für mich? Vielleicht doch nicht. Ich weiß ja, dass Fußball ein faszinierender Sport sein kann, weil ich weiß, dass er es einmal war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“