■ Kartellamt untersagt Tariftreue-Erklärungen in Berlin: Recht bricht Moral
Das Bundeskartellamt rasselt mit dem Gesetz. Die Tariftreue-Erklärung, die sich der Berliner Senat bei Auftragsvergabe an Straßenbauten unterzeichnen läßt, verstoße gegen das Kartellrecht. Dabei hatte der Senat Gutes für die einheimischen Bauarbeiter tun wollen: Alle, die sich bei einem senatsfinanzierten Projekt verdingen, sollten sicher sein, daß ihnen der Tariflohn gezahlt wird. Eine Firma, die dagegen verstößt, fliegt raus aus dem Register für öffentliche Bauaufträge. Ein ehrenwertes Unterfangen, um den Einheimischen wenigstens den Tariflohn zu sichern. Für die Wettbewerbshüter aber kommt erst das geschriebene Recht und dann die öffentliche Moral.
Anbieter, die zu niedrigen Löhnen ihre Arbeiter rekrutieren können, werden durch den Senat vom Wettbewerb ausgeschlossen, so ihre Auffassung. Die Entscheidung sei nicht als Aufforderung zum Lohndumping zu verstehen, schließlich gebe es ja das deutsche Entsendegesetz, das, wenn auch weit unter Tariflohn, einen Mindestlohn von 17 Mark in Berlin vorsieht. Als Kartellamt habe man lediglich für fairen Wettbewerb unter den Firmen zu sorgen. Formaljuristisch korrekt argumentiert. Doch warum dieser Vorstoß? Ihm lag keine konkrete Beschwerde einer Firma zugrunde, die sich vom Wettbewerb ausgeschlossen fühlte. Es ist eine Entscheidung von Technokraten. Um das tatsächliche Problem von Tarifverträgen, die kaum jemand in der Baubranche noch achtet, haben sie sich auftragsgemäß ja nicht zu kümmern. Schnell wächst die Schar der illegalen Arbeiter aus osteuropäischen Ländern. Den Berliner Bauarbeitern geht es von allen Seiten an den Kragen. Ihnen aber können und wollen die Kartellwächter mit ihrer Entscheidung keine Hoffnungen auf eine gesicherte Arbeit und gerechte Entlohnung machen. Sie urteilen jenseits jeder sozialen und wirtschaftlichen Realität.
Mit seiner Treue-Erklärung macht sich der Senat zum Tarifhüter, greift in die Tarifautonomie ein, in der der Staat nichts zu suchen hat. Eigentlich nicht. Angesichts massiver sozialer Probleme, aufgeworfen durch die Wildwestmanieren im Baugewerbe, scheint dieses Verfahren trotzdem gerechtfertigt. Die Verpflichtungserklärung ist das einzige Pfand, das der Senat als Auftraggeber gegenüber schwarzen Schafen in der Hand hält. Zudem kann niemand ernsthaft behaupten wollen, Tariflöhne verteuerten künstlich die Baupreise. Das Wettbewerbsrecht entstammt einer Zeit, als die Wirtschaft allgemein noch boomte. Nun ist es an der Zeit, auch dieses Gesetz den gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Annette Rogalla
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen