Karriereknick: Staub auf der Akte Bülent C.
Seit fast einem halben Jahr ist der Sprecher der Hamburger SPD Bülent Ciftlik beurlaubt: Laut Staatsanwaltschaft soll er eine Scheinehe eingefädelt haben. Die Ermittlungen kommen zu keinem Ende.
Er hatte eine Bilderbuchkarriere vor sich - nun ist er seit fast einem halben Jahr so gut wie von der Bildfläche verschwunden: Bülent Ciftlik, 37, der als eines der größten Talente der Hamburger SPD gilt. Weil die Staatsanwaltschaft wegen der Anstiftung zum Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz ermittelt, wurde der Bürgerschaftsabgeordnete Ciftlik Ende Mai 2009 von dem damaligen Hamburger SPD-Chef Ingo Egloff als Sprecher der Partei beurlaubt. Klar ist: Mit einem Comeback kann der Sohn türkischer Einwanderer frühestens dann rechnen, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellt.
Am 29. Mai durchsuchte die Kriminalpolizei die Privaträume des Politikers, der als "Obama von Altona" weit über Hamburgs Grenzen hinaus bekannt geworden war. Sie beschlagnahmte seine Festplatte und zahlreiche Unterlagen. Der Vorwurf: Ciftlik soll eine Ehe zwischen einer 32-jährigen Deutschen und einem 38-jährigen Türken vermittelt haben, die angeblich nur auf dem Papier und zu dem Zweck geschlossen wurde, für den Ehemann einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu erreichen.
Zwar erklären beide Eheleute, eine Liebesheirat geschlossen zu haben, die Behörden aber hatten ihre Zweifel. Und nachdem Ciftlik dem deutsch-türkischen Paar nicht nur als Trauzeuge diente, sondern sich zudem für den Beschuldigten in anderer Sache einmal bei dem Leiter der Hamburger Ausländerbehörde, Ralph Bornhöft eingesetzt hatte, geriet er fast zwangsläufig in den Blick der Ermittler.
Informiert: Am 30. April 2009 wurde Ciftlik - und zeitgleich der Hamburger Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) - von der Staatsanwaltschaft informiert, dass gegen den SPD-Abgeordneten wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz ermittelt werde.
Suspendiert: Unmittelbar nach der Durchsuchung seiner Privaträume am 29. Mai wurde Ciftlik vom damaligen Hamburger SPD-Chef Ingo Egloff als Parteisprecher beurlaubt.
Rehabilitiert: Parteiintern ließ Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz verlauten: Werden die Ermittlungen eingestellt, wird Ciftlik wieder Sprecher der Partei.
Die umfangreichen Ermittlungen des Landeskriminalamtes, die sich wegen des Verdachts der Anstiftung ab Ende April also auch gegen Ciftlik richteten, blieben lange ohne verwertbares Ergebnis. Noch am 25. Mai wies das Amtsgericht Hamburg den Antrag der Staatsanwaltschaft zurück, die Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten Ciftlik durchsuchen zu dürfen: Es fehle an einem hinreichend konkreten Anfangsverdacht. Zudem lägen objektive Beweismittel, die eine mögliche "Anstiftungshandlung" bestätigen könnten, nicht vor. Zwei Tage später dann stimmte das Gericht der Hausdurchsuchung zu: Ein Schriftstück von einem der drei Beschuldigten sollte die Verdachtsmomente erhärtet haben.
Seitdem ist fast nichts passiert. Während Ciftlik sich gegenüber der taz zu dem laufenden Verfahren nicht äußern wollte, klagt sein Rechtsanwalt Hartmut Jakobi: "Die Staatsanwaltschaft verzögert das Verfahren." So habe sie bis heute nicht versucht, seinen Mandanten zu vernehmen, um den Sachverhalt aufzuklären. "Ich bedaure", sagt der Jurist, "dass eine politische Karriere gefährdet wird, ohne dass ernsthafte Anhaltspunkte vorliegen, dass mein Mandant sich strafbar gemacht haben könnte". Da der Vorwurf der Scheinehe gegen die beiden Hauptbeschuldigten nach Aktenlage nicht verifiziert werden könne, läuft für Jakobi auch der Beihilfevorwurf ins Leere.
Der Sprecher der Staatsanwalt, Wilhelm Möllers, hingegen gibt an, in der Sache werde "zügig, zeitnah und lückenlos" ermittelt. Im Oktober erst sei die Datenauswertung der beschlagnahmten Unterlagen und Festplatten abgeschlossen worden, die aktuellen Ermittlungsakten seien nun gerade dem Weg zu den Verteidigern der Beschuldigten.
Wann die Anklagebehörde darüber entscheidet, ob sie die Ermittlungen einstellt oder Anklage erhebt, möchte Möllers nicht prognostizieren. So dürfte das Verfahren gegen Bülent C. vorerst vor allem eines bleiben: eine Hängepartie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?