Karneval der Kulturen: Multikulti jetzt am Stadtrand
Berlins Vorzeige-Event in Sachen Vielfalt und Toleranz residiert jetzt in Marzahn. Streit mit Senat vorerst beigelegt, aber Finanzierung für 2017 weiter offen.
Der Karneval der Kulturen ist umgezogen – nach Marzahn. Zweieinhalb Wochen vor dem 21. Umzug an Pfingstsonntag präsentierten die Veranstalter am Mittwoch erstmals das neue „Haus des Karnevals“. In sieben Räumen mit 1.700 Quadratmetern können die Gruppen seit Anfang März Kostüme nähen, Aufbauten basteln und ihre Auftritte proben. Dies sei eine „pragmatische Lösung“ gewesen, sagte die Leiterin des Karnevals, Nadja Mau, näher am Zentrum seien die Mieten „nicht erschwinglich“. Vermieter in Marzahn ist die GSG, eine der drei „Partner“ genannten Sponsoren des Karnevals. Mit der GSG habe man einen „großzügigen Mietvertrag“ geschlossen, so Mau.
Nicht allen war beim Umzug in den tiefen Osten wohl, der Weg ist weit, der Ruf als Nazi-Hochburg gefestigt. Es mag an beidem liegen, das bislang erst rund 20 Gruppen ihre Arbeit in die neuen Räume verlegt haben. „Wir müssen unser Bild von Marzahn überdenken“, sagt Ruth Hundsdoerfer vom Karnevalsbüro beim Rundgang durch die neuen Räume. Auch Nubia Ramirez von der Gruppe „Comparsa Chamenes“ gibt zu: „Ich hatte erst Angst in der S-Bahn hierher zu kommen.“ Aber bislang sei ihr nichts passiert und es sei andererseits schön, mal „ein anderes Berlin“ kennen zu lernen.
Für die Konsumenten des Karnevals ändert sich übrigens nichts: Der Umzug selbst wird wie gehabt rund um den Neuköllner Hermannplatz stattfinden, das Straßenfest am Blücherplatz in Kreuzberg. Dass in diesem Jahr 73 Gruppen, 11 mehr als 2016, mit 5.000 Teilnehmern beim Umzug mitmachen, wertet Mau als ermutigend. Es gebe offenbar ein großes Interesse unter BerlinerInnen, sich am Karneval als Sinnbild der Weltoffenheit und Toleranz in Berlin zu beteiligen, „gerade in diesen Zeiten“.
In den vergangenen Jahren hatte es um die Finanzierung der Großveranstaltung, die Jahr für Jahr angeblich über eine Million Touristen anzieht, immer wieder Konflikte gegeben. Seit 2010 gibt der Senat einen Zuschuss, in diesem Jahr rund 800.000 Euro. Das Geld reichte aber nie, trotz eigener Einnahmen von rund 500.000 Euro waren die Gruppen und Organisatoren immer auf Sponsoren angewiesen. Dennoch hatte Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) im vorigen Jahr angekündigt, dass sie ab 2017 nur noch 270.00 Euro zahlen wolle. Nach Protesten und zähen Verhandlungen erhöhte sie den Betrag im Dezember auf 500.000 Euro.
Deckungslücke von 330.000 für 2017
Am Mittwoch demonstrieren Mau und Kolat Einigkeit. Beide loben den „Konzeptdialog“, zu dem man sich ab Herbst zusammengefunden hatte, um die Streitigkeiten zu lösen. Mau betont, seitdem habe man nicht nur das schon lange gewünschte „Haus des Karnevals“ gefunden, sondern auch einen Beirat und einen Trägerverein gegründet, ein Sicherheitskonzept vorgelegt – und mit der Piranha Arts AG einen neuen Träger gefunden, mit dem alle zufrieden seien.
Erst auf Nachfrage sagt Mau, dass für 2017 weiter rund 330.000 Euro fehlen. „Und wir gehen nicht davon aus, dass wir das allein mit Partnern lösen können.“ Kolat dagegen zeigt sich zuversichtlich, eine Lösung zu finden, indem der Förderverein „Mittel generiert“, mehr „Partner“ gefunden werden oder das Land mehr zuschieße. Letzteres sei aber kein Automatismus.
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