Karl May an der Berliner Volksbühne: Assoziationen zum Wilden Westen
Enis Maci und Mazlum Nergiz durchforsten das Werk Karl Mays. Sie finden viele Stereotype. Toll immerhin, wie Martin Wuttke dazu raucht.
Der klassische Westernrundhorizont ist aufgebaut, mit Kakteen im Vordergrund, Bergen ganz hinten und viel Sand dazwischen. Die Bühne wird von einem mechanischen Rodeo-Bullen beherrscht. Ann Göbel, einst bei der Volksbühnenjugendtruppe P 14 bühnenreif geworden, wird später auf dem Bullen sitzen und ihn locker reiten.
Martin Wuttke hingegen lungert noch im Schatten des Pults herum, von dem aus er in einigen Minuten den Bullenkörper springen, bocken und zu den Seiten ausbrechen lassen wird – auf dessen Rücken dann Göbel trotz aller mechanischer Wildheit des Ungetüms unter ihr weder die Lässigkeit der Körperhaltung noch die Nöligkeit des Sprechens verliert, was durchaus eine Leistung ist.
Jetzt, am Anfang, werden erst mal Lebensdaten des sächsischen Kleinkriminellen und Fantasy-Schreibers Karl May an die Wand geworfen, gemeinsam mit Lebensdaten vom Darsteller seiner Hauptfigur Winnetou sowie wichtigen Daten des Großkriminellen US-Kapitalismus bei der Eroberung erst des Wilden Westens auf dem eigenen Kontinent, dann bei Territorien irgendwo in Asien – wo dann recht überraschend Winnetou-Darsteller Pierre Brice als französischer Kriegsfreiwilliger in Indochina auftaucht.
Während dieser hübschen Geschichtsleselektion zu Beginn lungert Wuttke vorerst nur herum und macht ausnehmend vom Privileg des Altstars Gebrauch, Zug um Zug an einer Zigarette ziehen zu dürfen.
Völkermörder und Entertainer
Das passt natürlich, rauchen und Wilder Westen. Einen Hauch von toxischer Rebellion bringt das auch rein in Räume, in denen das als toxisch Empfundene sonst diskursiv vor allem ausgemerzt wird. Man wird dabei ganz nostalgisch und merkt: Dem alternden Theatergaul Wuttke sieht man noch beim Rauchen gerne zu. Beim Sprechen und Spielen sowieso. Alte Schule eben, gepaart mit Talent und der Lust des Sich-Einlassens auf immer neue Abenteuer.
Bei diesem hier wird es aber auch ihm nicht ganz einfach gemacht. Denn das Text- und Regie-Duo Enis Maci und Mazlum Nergis hat einen zwar sehr anspielungsreichen Text geschrieben. Der macht – völlig zu Recht – preußische Überheblichkeit sogar noch im Unterschichtsburschen May aus. Dann zieht er Linien zu den von May fantasierten Landschaften und Bevölkerungen in Kurdistan, Albanien und Arizona und räsoniert munter über den Moment, in dem das Fiktive sich als Realität verfestigt.
Das ist ein Fest für May-Nerds und Assoziationsathleten, natürlich. Aber geradezu rauschhaft wird von Schauplatz zu Schauplatz gesprungen. Figuren wie Indigenendarsteller auf deutschen Parkplätzen, die im Hauptberuf Versicherungen verticken, Völkermörder mit Entertainerkarriere wie Buffalo Bill oder Psychiater, die all das irgendwie heilen sollen, schälen sich nur kurz heraus. Sie lösen sich dann wieder auf. Und es ist schwer mitzubekommen, wer in wessen Gewand jetzt überhaupt noch aus welcher Perspektive was zu wem sagt.
Da scheint die Regie den eigenen Text nicht ganz durchdrungen zu haben. Und dass Wuttkes Mitspieler Göbel und Oscar Olivo nur weitgehend eine Tonart beherrschen, hilft beim Mitassoziieren auch nicht unbedingt.
Dieser „Karl May“ bleibt also unfertig. Er ist vollgepackt mit meist blutigen Themen. Sogar die Arche Noah taucht am Ende noch auf, verbuddelt von kurdischen Arbeitern am Ararat, damit chinesische Wissenschaftsdarsteller in einem Megafilm das biblische Rettungsboot dann beglückt finden können. Was ist Fiktion, was Wirklichkeit – diese Frage stellt „Karl May“ gleich dutzendfach. Ein paar Probentage mehr hätten manche Frage vielleicht sogar beantworten helfen.
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