Kanzlerreise nach Serbien: Kurz, aber verzwickt
Bei seiner Balkanreise erwarten Kanzler Scholz mehrere diplomatische Herausforderungen. Vor allem in Serbien, das eine große Nähe zu Russland pflegt.
Die serbische Führung gab sich von der Absage betrübt, zumindest öffentlich. Aber der Besuch des Putin-Getreuen und „großen Freundes Serbiens“ hätte Serbien bei seinem Seiltanz zwischen Moskau und Brüssel und Washington heftig in Verlegenheit gebracht.
Dafür kommt am heutigen Freitag ein anderer hochkarätiger Gast aus der anderen Hälfte der vom Krieg gespaltenen Welt nach Belgrad: Bundeskanzler Olaf Scholz. Zwar bleibt er nur knapp zwei Stündchen, kommt direkt aus Prishtina und düst dann weiter nach Thessaloniki, Sofia und Skopje – fünf Staaten in zwei Tagen – doch sein Kommen sorgt für so einige Aufregung im Lande des russlandliebenden EU-Beitrittskandidaten, in dem, laut einer Meinungsumfrage des Instituts NSPM, über 80 Prozent der Bevölkerung Sanktionen gegen Russland nicht befürworten. Serbien ist auch das einzige europäische Land, das gegen Russland keine Sanktionen verhängt hat.
Medien, politische Analysten, ehemalige Botschafter, aber auch Bürger stellen sich die Frage: Kommt der deutsche Bundeskanzler mit der Karotte oder mit der Peitsche? Oder mit beiden?
Die Liberalen im Bundestag forderten, dass die EU Beitrittsverhandlungen mit Serbien einfrieren soll, bis es seine Außen- und Sicherheitspolitik in Einklang mit der EU bringt – nämlich endlich Sanktionen gegen Russland verhängt. Etwas Ähnliches steht auch im Entwurf einer Resolution des Europaparlaments, über die am kommenden Dienstag abgestimmt werden soll.
Neutral oder putinliebend?
Serbien übt sich seit über zwei Jahrzehnten in einer neutralen Politik, doch die Geduld des Westens ist am Ende. Und auch die russischen „Brüder“ fordern nachdrücklich den Nachweis der serbischen Freundschaft, die bisher mit billigem Gas und der Unterstützung der serbischen Politik der Nichtanerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo belohnt wurde. Deshalb wollte auch Lawrow in Belgrad nach dem Rechten schauen.
Man hofft in Belgrad, dass der deutsche Bundeskanzler Verständnis für serbische Qualen hat, wie seine Vorgängerin Angela Merkel, die Serbiens scheindemokratisches Regime unter der Herrschaft des Staatspräsidenten Aleksandar Vućić nie unter Druck setzte – trotz massiver Kritik am dortigen Stand der Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheiten.
Der seit einem Jahrzehnt praktisch alleinherrschende Vućić will, dass auch Scholz versteht, dass Serbien energetisch völlig abhängig von Russland sei, dass Kosovo eine den Serben mit Gewalt weggenommene Wiege des Serbentums sei und dass er, Vućić, noch einige Jährchen brauchen würde, um seine putinliebenden Landsleute in Richtung des Westens zu biegen. Wobei gleichgeschaltete Medien unter seiner Kontrolle seit zehn Jahren eine antiwestliche Stimmung schüren.
Serbien ist wohl der härteste und größte Brocken auf der kurzen Balkantournee des Bundeskanzlers, aber nicht der einzige. Im Kosovo, wo Scholz vor Belgrad weilen wird, wird er wahrscheinlich versuchen, Ministerpräsident Albin Kurti zu überzeugen, etwas mehr Flexibilität bei den Gesprächen mit Belgrad unter der Obhut der EU zu zeigen. Auf dem Programm steht auch der Besuch der deutschen KFOR-Truppe.
Im Anschluss daran reist der Bundeskanzler auf Einladung des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis zu einem Abendessen im Rahmen der Regionalinitiative „Südosteuropäischer Kooperationsprozess (SEECP)“ nach Thessaloniki. Die weiteren Stationen der Reise sind tags darauf, am 11. Juni, Nordmazedonien und Bulgarien.
Nachdem zuerst Griechenland zwei Jahrzehnte lang den europäischen Weg Nordmazedoniens wegen des Namensstreits (wegen der griechischen Region Makedonien musste das Land ein „Nord-“ vor seinen Namen stellen) verhinderte, blockiert nun Bulgarien den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen Nordmazedoniens, weil es in Skopje antibulgarische Stimmung wittert. Größtenteils geht es da um die Deutung der gemeinsamen Geschichte. Keine leichte Situation für einen Kurzbesuch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht