Kanzlerin trifft Erdoğan: Merkel zweifelt an Visafreiheit
Angela Merkel sagt, dass es die Reisefreiheit für türkische Bürger zum 1. Juli nicht geben wird. Was heißt das für den EU-Türkei-Deal?
Merkel berichtete im deutschen Generalkonsulat in Istanbul von einem einstündigen Treffen mit Erdoğan, das am Rande eines Weltnothilfegipfels stattfand. Sie habe deutlich gemacht, dass der Weg zur Visafreiheit auf 72 Bedingungen beruhe und alle Punkte von Ankara erfüllt werden müssten, sagte Merkel. Sie habe auch ausgeführt, „dass hier nach Maßgabe der Dinge in den nächsten Wochen nicht alle Bedingungen erfüllt werden, wenn die Terrorismusgesetzgebung nicht verändert wird“. Erdoğan habe ihr in dem Gespräch gesagt, dass eine Änderung für ihn im Augenblick nicht zur Debatte stehe.
Dieser Dissens hatte sich in den vergangenen Wochen schon angedeutet: Die türkischen Anti-Terror-Gesetze können nach Ansicht der EU auch dafür eingesetzt werden, um friedliche Regierungsgegner zu verfolgen, etwa kritische Journalisten oder Oppositionelle. Eine Änderung hatte Erdoğan schon vor dem Treffen mit Merkel mehrfach abgelehnt.
Die EU hatte der Türkei 72 Bedingungen für die Reisefreiheit türkischer Bürger gestellt. Dieser Prozess läuft schon seit Dezember 2013. Bisher habe die türkische Regierung sieben von ihnen nicht erfüllt, hieß es Anfang Mai in einem Bericht der EU-Kommission. „Einige davon sind von besonderer Wichtigkeit.“ Die EU attestiert der Türkei zum Beispiel auch Mängel bei der Korruptionsbekämpfung.
Im Gespräch bleiben
Der Ausgang des Streits über die Visafreiheit könnte Folgen für die Flüchtlingspolitik der EU haben – und für Merkels innenpolitische Stärke. Die EU hatte am 18. März mit der Türkei ein Abkommen zur Flüchtlingspolitik geschlossen und Erdoğan zugesagt, die Visumspflicht schneller als geplant zu kippen. Sie sollte schon Ende Juni aufgehoben werden, „sofern alle Benchmarks erfüllt wurden“, hieß es damals beim Europäischen Rat. Diese Zusage war für Erdoğan neben Finanzhilfen besonders wichtig.
Im Gegenzug verpflichtete er sich, alle „irregulär“ aus der Türkei nach Griechenland reisenden Flüchtlinge zurückzunehmen. Für jeden aus Griechenland abgeschobenen Syrer sollte ein Syrer legal aus der Türkei in die EU einreisen dürfen. Dieser EU-Türkei-Deal gilt als Grund dafür, dass die Flüchtlingszahlen in Deutschland deutlich gesunken sind.
Merkel widersprach dem Eindruck, das Abkommen drohe zu Scheitern. „Ich habe den Eindruck, dass dieses Abkommen in beiderseitigem Interesse ist“, sagte sie. Man habe verabredet, alles daran zu setzen, „im Gespräch zu bleiben“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers