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Kanzler Scholz überraschend in KyiiwWaffenversprechen bei Blitzbesuch in der Ukraine

Überraschend reist Kanzler Olaf Scholz in die Ukraine, zum zweiten Mal seit Kriegsausbruch. Vor Ort kündigt er weitere Waffenlieferungen an.

Kanzler Olaf Scholz in Kyjiw – Oleksandr Mischtschenko, Vize-Minister für Auswärtige Angelegenheiten, empfängt ihn Foto: Kay Nietfeld/dpa

Kyjiw/Berlin dpa/afp/taz | Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist überraschend zu einem Besuch in der Ukraine eingetroffen. Scholz kam am Montagfrüh in der Hauptstadt Kyjiw an. Es ist der zweite Besuch des Kanzlers seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar 2022. Den ersten hatte Scholz im Juni 2022 mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und dem damaligen italienischen Regierungschef Mario Draghi unternommen.

Scholz sieht sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, die Ukraine zu zögerlich zu unterstützen. So wurde er wiederholt vergeblich gedrängt, deutsche Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Deutschland ist nach den USA der größte Unterstützer der Ukraine mit Militärhilfen.

Die Debatte um Taurus-Lieferungen an die Ukraine war wieder aufgeflammt, nachdem die USA Kyjiw vor zwei Wochen die Erlaubnis erteilt hatten, US-Raketen vom Typ ATACMS gegen Ziele auch im russischen Hinterland einzusetzen. Die Taurus-Marschflugkörper haben eine noch größere Reichweite als die ATACMS.

Scholz stellt der Ukraine am Montag baldige weitere umfangreiche Rüstungslieferungen in Aussicht. Bei seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj werde er „weitere Rüstungsgüter mit einem Wert von 650 Millionen Euro ankündigen, die noch im Dezember geliefert werden sollen“, erklärte Scholz bei seiner Ankunft in Kyjiw.

Deutschland „stärkster Unterstützer in Europa“

Die Ukraine verteidige sich „auf heldenhafte Art und Weise gegen den erbarmungslosen russischen Angriffskrieg“, erklärte Scholz weiter. Mit seinem Besuch wolle er seine Solidarität mit der Ukraine ausdrücken. Deutschland werde „der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben“. Die Ukraine könne sich auf Deutschland verlassen, so Scholz. „Wir sagen, was wir tun. Und wir tun, was wir sagen.“

Der Besuch wurde aus Sicherheitsgründen vorher nicht angekündigt. Kyjiw wird derzeit immer wieder von russischen Drohnen attackiert. Die Ukraine steht stark unter Druck. Im Osten des Landes erzielt die russische Armee seit Monaten stetig Geländegewinne. Die Ungewissheit für die Ukraine wird zudem durch den im Januar anstehenden Wiedereinzug von Donald Trump ins Weiße Haus erhöht. Der designierte US-Präsident steht den Milliardenhilfen für die Ukraine ablehnend gegenüber.

Der Wunsch nach einer formellen Einladung in die Nato wurde der Ukraine bis heute nicht erfüllt. Selenskyj erhöht angesichts der russischen Gebietsgewinne in den vergangenen Wochen nun allerdings den Druck. „Die Einladung in die Nato ist eine notwendige Sache für unser Überleben“, sagte er am Sonntag in Kyjiw. Er machte deutlich, dass er sich einen entsprechenden Beschluss beim Nato-Außenministertreffen in Brüssel an diesem Dienstag und Mittwoch wünsche. Dass es dazu kommt, hält der Ukrainer allerdings für unwahrscheinlich. Als Grund nannte er explizit die Skepsis in den USA, Deutschland und Ungarn.

Es ist sicher davon auszugehen, dass Selenskyj das Thema bei seinem Treffen mit Scholz anspricht. Vor allem die Länder an der Nato-Ostflanke wie Polen und die baltischen Staaten hatten schon im vergangenen Jahr beim Nato-Gipfel in Vilnius auf eine Einladung an die Ukraine gedrungen, während Deutschland und die USA noch nicht so weit gehen wollten.

Ukraine als Wahlkampfthema

Weitere Brisanz erhält der Besuch des Kanzlers durch den beginnenden Wahlkampf. Scholz hebt dabei seine Doppelstrategie in der Ukraine-Politik als Alleinstellungsmerkmal der SPD hervor: Einerseits sichert er der Ukraine weitere Waffenlieferungen für den Abwehrkampf gegen Russland zu. Andererseits will er verhindern, dass Deutschland und die Nato in den Krieg hineingezogen werden.

Konkret bedeutet das, dass Scholz die schon im Mai 2023 von der Ukraine erbetenen Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern nicht liefert und auch keine grundsätzliche Erlaubnis für den Einsatz der von Deutschland gelieferten Waffen gegen russisches Territorium erteilt. Einzige Ausnahme ist die Region um die ukrainische Großstadt Charkiw nahe der Grenze, wo die deutschen Raketenwerfer Mars II mit einer Reichweite von 84 Kilometern eingesetzt werden dürfen.

Beim Wahlkampfauftakt der SPD warf Scholz seinem Herausforderer Friedrich Merz (CDU) am Wochenende vor, mit seinem Ukraine-Kurs die Sicherheit Deutschlands aufs Spiel zusetzen. Der Unions-Kanzlerkandidat wolle der Nuklearmacht Russland mit Blick auf eine mögliche Taurus-Lieferung ein Ultimatum stellen, sagte Scholz. „Ich kann da nur sagen, Vorsicht: Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette.“ Merz hatte im Bundestag vorgeschlagen, der russischen Führung mit der Lieferung von Taurus an die Ukraine zu drohen, falls sie die Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung nicht einstelle.

Für Irritationen sorgt in der Ukraine nicht nur Scholz’ Haltung zum Einsatz weitreichender Waffen gegen Ziele auf russisches Gebiet, sondern auch das diplomatische Agieren des Kanzlers. Mitte November hatte Scholz zum ersten Mal seit knapp zwei Jahren wieder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Selenskyj sagte anschließend, Scholz habe damit die „Büchse der Pandora“ geöffnet.

Ähnlich äußerte sich der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksij Makeiew, am vergangenen Freitag. „Wir haben gesehen, dass Russland und Putin nicht auf Gespräche setzen, sondern auf harte Taten“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Russland müsse nun mit „harten Tatsachen“ dazu gezwungen werden, sich aus der Ukraine zurückzuziehen.

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6 Kommentare

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  • Scholz will sich mit Blitzbesuch, Waffenlieferungen Wert 650 Millionen € noch 2024 vermutlich aus Bundeswehr Sondervermögen 100 Milliarden € außerhalb Bundestagshaushaltskontrollrechts in Kyjiw Zusage sichern, sich aus deutschem Bundestagswahlkampf 2025 herauszuhalten. Gleichzeitig Merz daran erinnern, dass US Präsident Biden mit seiner Drohung an Wladimir Putin Herbst 2021 scheiterte, falls Russland Ukraine Invasion startet, werden die USA zwar nicht militärisch reagieren, aber dann sollte Putin sicher sein, dass die USA russische Wirtschaft in Ruin treiben wie im Kalten Krieg durch das Konzept US-Präsident Reagan Totrüstens 1983-1988 der UdSSR, an dessen Ende Implosion der UdSSR1991 stand,. Reaktion Putins war, Bidens Drohung als Einladung zu nehmen, Ukraine Invasion unter Bruch Völkerrechts am 24.2.2022 als Spezial Operation gegen angebliche Nazis in Kyjiw zu starten. Wenn Merz Putin mit deutschen Taurus Waffenlieferungen an Ukraine droht, falls Putin Bombardierung der Zivilgesellschaft Infrastruktur nicht einstellt, wird Folge sein, dass Putin Merz Drohung als Pose entlarvt Bombardierung eskaliert, weil Merz ja noch nicht einmal regiert wenn doch liefern muss ohne BT Mehrheit?

  • Scholz kann nun unbeschwert agieren und ausloten, ähnlich wie Biden.



    Netanyahus Eskalation im Libanon scheint eingehegt: also mehr Fokus wieder auf Russland/Ukraine.



    Scholz sollte ernsthaft agieren und nicht als Wahlkämpfer, aber dass er hier bessere Karten hat als ein Merz ist recht deutlich. Wer Lindner drei Jahre abpuffern konnte, lässt sich von keinem Labrador Putins schocken.

  • wo kommen eigentlich 650 mios her? sind das dann schulden im haushalt? oder wird da geld gedruckt?

  • Ich finde es grundsätzlich richtig, dass sich Hr. Scholz in seinem Amt als Kanzler auch einmal persönlich um ein so wichtiges Thema wie die Ukrainehilfe kümmert, das auch gern medienwirksam.



    Ein "Geschmäckle" hat es aber schon, dass seine erst zweite(!) Reise ins Kriegsgebiet ausgerechnet (oder zufälligerweise) jetzt zum Wahlkampfstart stattfindet, wo er doch nicht nur beim innerdeutschen Bündnispartner B'90/G unter Verdacht steht, zu wenig für den angegriffenen Staat zu tun.



    Wenn er in seiner Funktion als Kanzlerkandidat die Skrupellosigkeit besäße, einerseits Tauruslieferungen zu verweigern, um die "German Angst" zu beschwichtigen, andererseits die Not der Ukrainer und eine Kriegslandschaft als Wahlkampfbühne benutzt ("Seht her, ich kümmere mich selbst", quasi mit Leib und Leben), um Stimmen bei den notorisch als Pazifisten getarnten, in Wahrheit aber verblümt feigen deutschen Wählern abzufangen, wäre er definitiv der falsche Mann an der falschen Stelle, schon jetzt und auch nach dem 23. Februar '25.

  • Im englischen gibt es für scheidende Staatschefs die Bezeichnung "lame Duck". Trifft das hier ziemlich gut. Gibt Zusagen, ohne eine Mehrheit dafür zu haben.

    • @Stoffel:

      Naja, für Waffenleferungen gibt es eigentlich eine sehr sehr klare Mehrheit. Der Bergriff passt also nicht wirklich.