Kantonalsswahlen in Frankreich: Front National testet die Stimmung
Am Sonntag finden in Frankreich Kantonatswahlen statt. Die rechtsextreme Partei Le Pens könnte in ihrer Hochburg im Norden des Landes einen Erfolg erzielen.
HÉNIN-BEAUMONT taz | Alle paar Meter hupt ein Auto, Fahrer und Beifahrer winken. Der Gruß gilt Steeve Briois, der im Zentrum von Hénin-Beaumont mit einer kleinen Eskorte auf Wahlkampagne unterwegs ist. Der Kandidat strahlt, denn genau das wollte er dem Besucher vorführen. Alle kennen ihn hier, er ist schon fast ein Prominenter, auf den die Leute stolz sind.
"Guten Tag, ich bin Steeve Briois vom Front National", sagt er dennoch jedes Mal zu den Passanten, denen er sein Flugblatt für die Departementswahlen in die Hand drückt. Niemand pöbelt ihn an oder beschimpft ihn gar als Faschisten. Vor einigen Wochen wurde er aber von einem Unbekannten krankenhausreif geschlagen. Man habe seinen Angreifer aber "nie ernsthaft gesucht", sagt Briois, der nun für seine Partei fast ein Märtyrer ist.
Ein Erwerbsloser schimpft, die Fürsorgegelder würden an die Falschen verteilt, und für Leute, die wie er lange ihren Lebensunterhalt ehrlich verdient hätten, seien dann die Kassen leer. "Das ist kein Wunder mit den Leuten, die uns in Paris regieren", bestätigt Briois. Und in Hénin könne man ja von dieser "Sozialistenmafia" im Rathaus nichts Besseres erwarten.
In der Hälfte der hundert Departements Frankreichs werden an den beiden kommenden Sonntagen die Vertreter in die Departementsversammlung gewählt. Diese "Generalräte" sind zuständig für den Unterhalt der Mittelschulen und der Landstraßen, für Berufsbildung, Sport und Kultur, Wirtschaftsförderung und für die Sozialfürsorge, für die heute bis zu 60 Prozent der Ausgaben anfallen.
Im nordfranzösischen Departement Pas-de-Calais sind von 1,5 Milliarden Euro 58 Prozent für die Sozialausgaben eingeplant. Bei der Finanzierung sind die Departements von den Überweisungen des Zentralstaats abhängig. 58 Departements werden bisher von der Linken, 42 von der Rechten regiert. In diesem Jahr kommt die Insel Mayotte im Indischen Ozean als 101. Departement hinzu.
Das ist sein Lieblingsthema und sein Trumpf: Der frühere sozialistische Bürgermeister Gérard Dalongeville wurde nämlich auf Beschluss des Pariser Ministerrats wegen Misswirtschaft abgesetzt; das ist eine höchst seltene Intervention des Zentralstaats. Seit 2009 sitzt Dalongeville wegen Korruption, Veruntreuung und Betrugs in Untersuchungshaft. Dass jetzt die Justiz für Ordnung sorge, sei allein dem Front National (FN) zu verdanken, der Klage eingereicht hat, behauptet Briois.
Zwar wurde als Nachfolger von Dalongeville in dieser seit Jahrzehnten von der Linken regierten Stadt wieder ein Sozialist gewählt, diesmal aber nur mit 250 Stimmen Vorsprung vor dem Duo der Parteivorsitzenden Marine Le Pen und Steeve Briois.
Gegen Globalisierung und Migration
Arbeiterkinder wie er standen traditionell meist links, er aber habe sich schon mit 15 Jahren der Partei von Jean-Marie Le Pen angeschlossen, erzählt Briois stolz. Heute ist er 38, ein Star der extremen Rechten und als Generalsekretär in der FN-Parteiführung. In diesem von der Krise und Produktionsverlagerungen schwer getroffenen Industriestädtchen südlich von Lille hat Marine Le Pen ihren politischen Eroberungsfeldzug gestartet, der ihr zuerst den Parteivorsitz als Nachfolgerin ihres Vaters einbrachte und dann eine Popularität, die die anderen Parteien immer mehr das Fürchten lehrt.
Laut mehreren Umfragen hat die neue FN-Chefin reelle Aussichten, bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012 sogar in die Stichwahl zu kommen und dabei womöglich den jetzigen Staatspräsidenten aus dem Finale zu verdrängen. "Sarkozy kann jetzt sagen oder machen, was er will, die Leute glauben ihm nicht mehr. Wenn er seine Islamdebatte beginnen will, ist das ein Geschenk für uns. Schließlich kommen die Themen mit den Minaretten und den Gebeten auf der Straße samt und sonders von uns", freut sich Briois. Und jede Entlassung oder Betriebsstilllegung in der Gegend sei Wasser auf seine Mühlen.
Gegen die Globalisierung mit ihrer Konkurrenz und der unkontrollierten Immigration müsse Frankreich wieder Grenzen errichten, Zölle erheben und aus dem "Euro" austreten, um seine "volle Souveränität wiederzuerlangen". Würde das Frankreich nicht mehr schaden als nutzen? "Meinen Sie, es könne schlimmer werden als jetzt?", antwortet Briois, der glaubt, durch die Rückkehr zur Vergangenheit französische Arbeitsplätze verteidigen zu können.
Briois ist sicher, in die Stichwahl am übernächsten Sonntag zu gelangen. Vielleicht könnte der FN dann sogar seinen ersten Sitz in der Departementsbehörde erringen. Normalerweise interessieren diese Kantonalswahlen, bei denen jetzt turnusmäßig in der Hälfte der Wahlkreise die "Generalräte" erneuert werden, kaum. Dreizehn Monate vor den Präsidentschaftswahlen aber werden sie zum Stimmungstest, bei dem man in den Pariser Parteizentralen voll Angst vor allem auf den Wahlkreis Hénin-Beaumont schielt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos