piwik no script img

Kandidatinnen im IrakEin Viertel der Macht

Als erstes Land der islamischen Welt hat der Irak die Quotierung eingeführt. 2.000 Frauen stellen sich am Sonntag zur Wahl. Mit drei Kandidatinnen auf Tour.

Wahlkampfplakat mit Maha Dori in Sadr City, Bagdad. Dori kandidiert für die Sadr-Bewegung in der "Irakischen Nationalen Allianz". Bild: ap

Revolution liegt in der Luft, wenn Maha Duri spricht. "Im Namen der Befreiung haben die Amerikaner unser Land besetzt. Sie haben unsere Männer ermordet oder ins Gefängnis gesteckt und unsere Mädchen vergewaltigt", ruft Duri ins Mikrofon. Ihre weiche Stimme überschlägt sich fast. Entschlossen reckt sie die Faust in die Luft. "Die Amerikaner sind der größte Teufel." Duri ist die Spitzenkandidatin der Bewegung des schiitischen Predigers Moktada as-Sadr in Bagdad. Im Falle eines Wahlsiegs werde die Sadr-Bewegung das Sicherheitsabkommen mit den Amerikanern kündigen, sagt Duri im Gespräch.

Die rund 120 Frauen, die zu ihrer Wahlkampfveranstaltung gekommen sind, erreicht sie mit ihrer antiamerikanischen Tirade nicht. Einige stehen sogar auf und gehen. "Dafür bin ich nicht gekommen", schimpft eine Frau im Rausgehen. Die Bewohnerinnen von Sadr City, wo Duri seit vier Jahren im Parlament sitzt, haben andere Sorgen. Mehr als zwei Millionen Menschen leben in der Vorstadt im Nordosten Bagdads, die meisten sind meist bettelarm. hier. Oft hausen mehrere Familien in den weniger als 100 qm großen Häusern. In engen Gassen spielen Horden von Kindern in zerschlissenen Kleidern. Der Müll wird auf Freiflächen verbrannt. Strom gibt es nur gelegentlich. Die Schule, in der Duri ihren Wahlkampfauftritt hat, ist in jämmerlichem Zustand, beißender Kloakengeruch hängt in der Luft. Vom versprochenen Wiederaufbau ist wenig zu sehen.

Die Not war 2003 der richtige Nährboden für Sadr, Sohn eines der berühmtesten Geistlichen im Irak, den Saddam ermorden liess. Was als friedliche Bewegung gegen die Amerikaner begann, artete drei Jahre später in einen erbarmungslosen Krieg zwischen Schiiten und Sunniten aus. Die meisten Zuhörerinnen, wie Duri von Kopf bis Fuss in weite schwarze Gewänder gehüllt, erhoffen sich materielle Hilfe. Sie brauchen Geld, weil sie in ihre ehemaligen Viertel zurückkehren möchten oder der Mann nicht mehr arbeitsfähig ist. Nur einmal sorgt Duris Rede für Begeisterung. Als sie das Recht der Frauen auf politische Teilhabe erwähnt, nicken die meisten Frauen. "Wir wollen nicht nur 25, sondern 50 Prozent", sagt eine Lehrerin. "Wir sind schließlich auch die Hälfte der Gesellschaft", wirft ihre Nachbarin ein.

Irakische Quote

Wenn die Iraker am Sonntag ihr neues Parlament wählen, können sie gezielt Frauen ihre Stimme geben. Ein Viertel der rund 6.200 Kandidaten, die sich um 325 Mandate bewerben, sind Frauen. Jeder Bürger hat eine Erst- und eine Zweitstimme. Mit der Erststimme wählt man die Partei bzw. das Parteienbündnis, die Zweitstimme kann man, muss man aber nicht einem Kandidaten oder eben einer Kandidatin innerhalb dieser Liste geben. Alle BewerberInnen haben im großen Stil kleine Kärtchen verteilt, auf denen groß die Nummer ihrer Liste und ihre eigene stehen. Gewählt wird am Ende, wer auf diese Weise die meisten Stimmen zusammenbekommt. Damit die Frauen nicht leer ausgehen, muss aber jedes vierte Mandat an eine Frau vergeben werden.

Dass die Tierärztin Duri den Sprung in die Politik schaffte, verdankt sie ausgerechnet den Amerikanern, die seinerzeit eine Frauenquote von 25 Prozent durchsetzten. Versuche von Fundamentalisten, die Quote zu kippen, scheiterten nicht zuletzt daran, dass sich die Frauen im Parlament über ihre ethnischen, religiösen und politischen Gräben hinweg verbündeten.

Frauen hätten weniger Scheuklappen als die Männer, sagt die Abgeordnete Samira Mussawi. Sie seien stärker sachorientiert und zu Kompromissen bereit. Wie Duri ist auch die promovierte Erdölingenieurin Schiitin. Sie ist tief gläubig und trägt ein Kopftuch, im Gegensatz zu Duri hält sie aber nichts von einem islamischen Staat. Religion sei Privatsache, sagt Mussawi. Als Mitglied der kleinen Partei des Erdölministers, tritt sie diesmal für die "Liste Rechtsstaat" von Regierungschef Maliki an. Malikis Image als Mann, der für Sicherheit und Ordnung sorgt, hat durch die verheerenden Anschläge der letzten Monate gelitten. Erfolgreich haben ihn seine Gegner im schiitischen Lager in die Enge getrieben, indem sie die Angst vor einer Rückkehr der Sunniten an die Macht schürten.

An einem regnerischen Morgen tritt Samira Mussawi an, das Bild von Maliki ins rechte Licht zu rücken. Von Bagdad fahren wir mit ihr in den südlichen Vorort Zafrania. Vorbei geht es an kilometerlangen Sprengschutzwänden und Dutzenden von Checkpoints. Am Straßenrand grasen Schafherden. Tagelöhner versuchen Bananen, Papiertücher oder Spielzug loszuschlagen. In einem Industriegebiet rottem ehemalige Fabrikanlagen vor sich hin. Nur die vielen Wahlplakate sorgen für bunte Abwechslung in der Tristesse. Tief verschleierte Frauen konkurrieren mit Frauen in modischem Outfit und offenem Haar, Männer in Anzug und Krawatte mit solchen in arabischer Tracht. Die Plakate zeigen, wie sehr sich das politische Klima im Irak seit der letzten Wahl verändert hat. Damals war die Angst vor Mordanschlägen so groß, dass viele sich nicht einmal zu ihrer Kandidatur bekannten. Frauen, die sich den Normen dieser konservativen Männergesellschaft widersetzen, trauten sich erst recht nicht an die Öffentlichkeit.

Dass es den Frauen unter dem Saddam-Regime besser gegangen sei, hält Mussawi für absoluten Unfug. Wir können uns heute frei politisch betätigen und haben Meinungsfreiheit, sagt die Vorsitzende des parlamentarischen Frauenausschusses. "Aber es wird dauern, bis wir Frauen volle Rechte geniessen, denn dazu muss sich auch die Gesellschaft ändern."

In Zafrania soll sie vor einer Versammlung von Veteranen des Irak-Iran-Kriegs sprechen. Ruhig hören sich die Männer in den Rollstühlen ihre Ansprache an. Kaum ist sie fertig, platzen sie los. "Wir sind die wahren Patrioten. Wir haben für unser Land gekämpft, während die anderen ins Ausland flohen", sagt Abu Jabr. "Was habt ihr für uns getan? Nichts." Der Mann, dem bis zur Hüfte die Beine fehlen, redet sich in Rage. "Einige von uns müssen betteln, während korrupte Politiker immer reicher werden." Die Stimmung ist aufgeheizt. "Nach vier Jahren erinnert ihr euch an uns. Das reicht nicht, wir wollen einen Abgeordneten aus unserem Bezirk." Mussawi versucht nichts zu beschönigen. In einer Bescheidenheit, die man unter Iraks heutigen Politikern selten trifft, wirbt sie um eine weitere Chance, damit sie in der nächsten Legislaturperiode mehr für die Veteranen tun könne. Die direkte Begegnung mit den Wählern ist für sie wie für die meisten Kandidaten neu. "Es ist eine wichtige Erfahrung. Nur so lernen wir, was es heisst, Volksvertreter zu sein."

Kritische Fragen muss Meisun Damluji dagegen nicht fürchten. Sie hat als Ort ihrer Wahlkampfveranstaltung den Hunting Club im Stadtteil Mansur im Westen Bagdads gewählt. Der Club liegt in einer vornehmen Villengegend, in der auch Botschaften ihren Sitz haben. Früher wie heute war es der Treffpunkt der Schönen und Reichen. Damluji, eine säkulare Sunnitin, gilt als aufsteigender Star am irakischen Politikerhimmel. Sie gibt eine Frauenzeitschrift heraus, deren jüngste Ausgabe eine Bogenschützin ziert. So sehen die blond gefärbte Architektin, die auch in der Öffentlichkeit zur Zigarette greift, auch viele Frauen: eine Vorkämpferin für Frauenrechte, die als Abgeordnete die Kontroverse nicht scheut.

In ihrem Vortrag fordert sie, dass nicht nur die Parlamentsmandate, sondern auch Regierungsämter und hohe Verwaltungsposten quotiert werden. "Ministerien wie das für Inneres oder Verteidigung sollten von Männern geführt werden", sagt Damluji. "Aber es gibt genügend andere Ministerien, für die es qualifizierte Frauen gibt. Wir brauchen Frauen in Führungspositionen, nur dann ändern wir auch die Gesellschaft." Dann wagt sie eine kühne These. "Frauen sind weniger korrupt und fällen transparentere Entscheidungen."

Sie selbst hat einen wichtigen Schritt geschafft. Als einzige Frau ist sie Sprecherin eines der großen Wahlbündnisse. Damluji ist das weibliche Gesicht der säkularen Liste um den ehemaligen Ministerpräsidenten Ayad Allawi. Der Schiit ist in den letzten Wochen zum neuen Hoffnungsträger der Sunniten aufgestiegen. Viele sehen in dem Schiiten den Mann, der den Sunniten wieder zur Beteiligung an der Macht verhelfen kann. Dass er den Wahlkampf im Irak einer Kandidatin wie Damluji überlässt, hat dieses Bild bekräftigt.

Mit ihrer Rede über Frauenrechte rennt Damluji beim Publikum im Hunting Club offene Türen ein. Die meisten entstammen wie sie selbst dem alten Bagdader Bürgertum. Dass es auch in diesem Milieu mit der Emanzipation nicht weit her ist, zeigt sich freilich an den Wortmeldungen. Es melden sich acht Herren, die Kurzvorträge über Liberalismus und Frauenrechte halten. Erst dann kommt die erste Rednerin zu Wort. "Wir brauchen mehr mutige Frauen wie dich, die Führungsverantwortung übernehmen", sagt sie zu Damluji, "nur dann entwickeln wir uns." Noch ein paar Fotos, dann entschwindet Damluji. Fragen der Journalistin beantwortet sie nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • B
    Britt

    An dieser Stelle sollten sie vielleicht auch erwähnen, dass sie bei dieser Wahl zum letzten Mal angewandt wird. Der Jubel ist also unangebracht.