Wahlen im Irak: Säkulare Gruppen vorn

2005 hatten die irakischen Sunniten mehrheitlich den Wahlgang boykottiert. Dieses Mal hat die säkulare al-Irakija gut abgeschnitten und die religiösen Parteien ins Hintertreffen gebracht.

Die Wahlleiterinnen Hamdiya al-Husseini (links) und Amal Al-Beriqdar verkündeten am 8.3. die Wahlbeteiligung von über 60 Prozent. Bild: dpa

Die Stimmung vor der Schule in Adhamija ist aufgekratzt. "Ich bin so glücklich über diesen Tag", sagt Saleh Zubeida. "Ich habe für den Wechsel gestimmt. Die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten ist vorbei." Gemeinsam mit ihren beiden Söhnen ist die 60-jährige Hausfrau zur Wahl gegangen. Dabei hatte der Tag für die sunnitische Familie nicht gut begonnen. Um sechs Uhr früh schlug in der Nähe ihres Hauses eine Mörsergranate ein. Es war der Auftakt zu einer Serie von Anschlägen, die im Laufe des Vormittags die gesamte Hauptstadt erschütterte.

Die Wahllokale hatten noch nicht geöffnet, als im Zentrum der Stadt die Fenster und Wände unter den dumpfen Einschlägen von Mörsergranaten bebten. Etwas später sind aus Norden, Osten, Süden und Westen laute Explosionen zu hören. Die gesamte Stadt scheint unter Feuer zu stehen. Mit al-Qaida im Irak verbündete sunnitische Extremisten hatten im Vorfeld gedroht, die Wahl militärisch zu verhindern. Die Ziele der Angriffe weisen aber darauf hin, dass auch schiitische Extremisten am Werk sind. Polizei und Armee sind in Alarmbereitschaft.

Wie bei allen fünf Wahlgängen, die seit dem Sturz des Saddam-Regimes vor sieben Jahren im Irak abgehalten wurden, gelten auch an diesem Wahlsonntag extreme Sicherheitsvorkehrungen. Seit Donnerstag sind die Behörden geschlossen. Zehntausende Polizisten, Soldaten und Mitglieder von Sondereinheiten sind im Einsatz. Es gilt Fahrverbot, die internationalen Grenzen, aber auch die zwischen den Provinzen sind dicht. Alle Wahllokale sind mit Stacheldrahtrollen und teils mit Sprengschutzwänden gesichert, Frauen und Männer müssen sich Leibesvisitationen und Taschenkontrollen unterziehen. Die Anschlagsserie fordert mindestens 38 Tote.

Das offizielle Wahlergebnis soll heute, am Dienstag, verkündet werden.

Wahlbeteiligung: Nach Angaben der Wahlkommission haben über 60 Prozent der wahlberechtigten Iraker ihre Stimme abgegeben. Damit lag die Wahlbeteiligung unter der vn 2005. Großen Zulauf verzeichneten die Wahllokale in den Nordprovinzen, wo die kurdische Oppositionsbewegung Goran erstmals antrat. Dort haben etwa 80 Prozent der Stimmberechtigten gewählt.

Wahlbündnisse: Angesichts der religiösen Spaltung und der politischen Zersplitterung und vor dem Hintergrund des Abzugs der Amerikaner sind langwierige Koaltionsverhandlungen zu erwarten. Drei Gruppierungen beanspruchen Regierungsbeteiligung: die Rechtsstaatskoalition von Ministerpräsident Nuri Al-Maliki, die religiöse Schiitenallianz von Ammar al-Hakim sowie das sunnitische-schiitische Bündnis al-Irakiya von Ajad Allawi. Die säkulare al-Irakija hat bei den Sunniten gut abgeschnitten und die religiösen Parteien ins Hintertreffen gebracht.

Zumindest die Sunniten von Adhamija ließen sich von den Extremisten diesmal nicht vom Wählen abhalten. "Wir wollen den Wechsel", sagt Zubaida. Deshalb hat ihre Familie Ajad Allawi gewählt. "Allawi, Allawi!", ruft uns eine Gruppe von jungen Männern zu. Jeder, der in Adhamija wählen geht, scheint für seine säkulare Liste al-Irakija gestimmt zu haben. Selbst Abu Omer, der Chef der lokalen Sunnitenmiliz, der vor zwei Wochen noch sagte, er werde nie und nimmer zur Wahl gehen, hat es sich anders überlegt und Allawi seine Stimme gegeben. Aus den mehrheitlich sunnitischen Provinzen des Landes melden Beobachter einen ähnlichen Trend: Die Wahlbeteiligung ist gut, teils sogar hervorragend, und Allawi liege in der Wählergunst vorn.

Vor vier Jahren hatten die Sunniten die Wahlen noch weitgehend boykottiert. Der Stadtteil Adhamija, in dem Saddam im April 2003 seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte, verkam zu einer Hochburg sunnitischer Extremisten, die zuerst die Amerikaner und dann die Schiiten bekämpften.

Das Haus von Meisun Hashem Abbas liegt direkt an der ehemaligen Frontlinie zwischen Amerikanern und den Extremisten. Das obere Stockwerk ist von Einschusslöchern durchsiebt. Ein tiefer Krater in der ungeteerten Straße, in der sich in Pfützen das Brackwasser staut, ist notdürftig mit Erde zugeschüttet. Die Fenster vor ihrem Wohnzimmer hat die 42-jährige arbeitslose Buchhalterin mit Backsteinen und Brettern verbarrikadiert. "Wir wurden zwischen den Amerikanern und den Aufständischen regelrecht zerrieben", sagt Abbas. "Meine Kinder sollen eine bessere Zukunft haben." Die letzten Wahlen hat Abbas noch boykottiert. Diesmal hat auch sie Allawi gewählt.

Mit ihrem Wahlboykott vor vier Jahren hatten sich die Sunniten um jegliches Mitspracherecht bei der Neuordnung des Irak gebracht. Dass sie in Allawi ihren neuen Hoffnungsträger sehen, überrascht auf den ersten Blick. Er arbeitete vor dem Krieg eng mit der CIA zusammen, war 2004 bis 2005 ein halbes Jahr Interimsregierungschef von Amerikas Gnaden. Die Amerikaner spielen diesmal aber keine Rolle. Als größtes Übel betrachten viele Sunniten das Nachbarland Iran, als dessen Handlanger sie die schiitische Regierung beschimpfen. Allawi und sein Wahlbündnis mit namhaften Sunniten gilt ihnen als Garant für die Eindämmung des iranischen Einflusses. Dieses Image hat er mit einem Empfang beim saudischen König während des Wahlkampfs bestärkt. Am Ende konnte ihm offenbar auch der Ausschluss von prominenten Sunniten auf seiner Liste von der Wahl nicht schaden. Von Allawi erhoffen sich die Sunniten vor allem Sicherheit, Investitionen in den Wiederaufbau und Anstellungen beim Staat, wo die Posten in den letzten Jahren überwiegend an Schiiten gingen.

Eine Ende der religiös-politischen Gewalt und Fortschritte beim Wiederaufbau erhoffen sich auch die Schiiten, die in der Hauptstadt wie im ganzen Land die Mehrheit bilden und die Hauptstadt in den letzten Jahren unter ihre Kontrolle gebracht haben. Um die Mittagszeit verstummen die Explosionsgeräusche. Doch der Ansturm auf die Wahllokale bleibt in den schiitischen Quartieren aus. Es sind noch zwei Stunden bis zur Schließung. In manchen Gegenden nutzen Kinder den autofreien Tag, um auf der Straße Fußball zu spielen.

In Sadr City, der Hochburg der Schiitenmiliz von Muktada al-Sadr, demontieren Kinder Wahlplakate und nehmen das verwertbare Eisen mit. Von einer Moschee ruft ein Sadr-Prediger zur Wahl auf. Die Wahl sei eine heilige Pflicht, sagt er. Der höchste schiitische Geistliche im Land, Großajatollah Ali Sistani, hat die Bürger aufgefordert, an den Wahlen teilzunehmen. Er hat jedoch betont, dass er keine Wahlempfehlung abgibt. Um zu verhindern, dass Parteien sein Ansehen für ihre Zwecke missbrauchen, ließ sein Büro riesige Plakatwände aufhängen, auf denen jeder seine Meinung nachlesen kann.

Nejad Khaled hat gewählt. Die Angestellte ist so religiös, dass sie sogar schwarze Handschuhe trägt. Ihre Stimme hat sie indes nicht dem fundamentalistischen Parteienbündnis gegeben, dem auch die Sadristen angehören. Sie hat diesmal die Koalition von Regierungschef Nuri al-Maliki gewählt. "Maliki hat mit der Gesetzlosigkeit Schluss gemacht. Er ist ein starker Politiker", sagt Khaled. Jahrelang hatten die Sadr-Milizionäre nicht nur die Sunniten, sondern auch die Bewohner von Sadr City terrorisiert, bis Maliki ihnen mit US-Unterstützung den Kampf ansagte. Offenbar halten ihm das viele Schiiten zugute, obwohl sein Ansehen als neuer starker Mann in letzter Zeit gelitten hat. Vor der Schule, in der wir die Sadr-Spitzenkandidatin während des Wahlkampfs hörten, haben die meisten, die die Reporterin fragt, dem Maliki-Bündnis ihre Stimme gegeben.

Sein Ausscheren aus der großen Schiiten-Allianz war wohl der richtige Schachzug. Für viele schiitische Wähler ist Maliki, was Allawi neuerdings für die Sunniten ist: ein Politiker, dem man zutraut, Recht und Ordnung durchzusetzen und der Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten ein Ende zu bereiten. Die Mehrheit der Schiiten ist wie die Sunniten des Krieges müde. "Wir haben einmal für die Spalter gestimmt", sagt Um Sajed. "Sie haben uns nur Verderben gebracht." Dass Maliki den versprochenen Wiederaufbau nicht vorangebracht hat und seine Regierung zu den korruptesten der Welt zählt, beklagen viele. "Maliki ist nicht der Beste, aber er ist das kleinere Übel", sagt Um Sajed.

Wie die Sunniten von Adhamija wollen auch die Schiiten von Sadr City, dass die künftige Regierung ihnen mehr Sicherheit und ein besseres Leben bringt. Nun liegt es an den Politikern, diesen Wählerwunsch zu erfüllen. Erste Trendmeldungen sehen Maliki bei den Schiiten und Allawi bei den Sunniten vorne. Selbst wenn er siegt, wird Maliki aufgrund der Verfassungsbestimmungen mehrere Koalitionspartner für die Regierungsbildung brauchen. Eine Koalition mit Allawi hat er sich mit seiner harten Haltung im Wahlausschlussverfahren fürs Erste verbaut. Sunniten sahen darin einen weiteren Versuch, sie ins Abseits zu drängen. Damit zeichnen sich langwierige Koalitionsverhandlungen ab. Vor vier Jahren dauerte es fast ein halbes Jahr, bis die Regierung stand. Das Gezerre um Posten öffnete damals den Gewalttätern Tür und Tor. Genau das wollten die Wähler mit ihrer Stimmabgabe eigentlich verhindern.

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