Kanaren: Migrantensaison hat begonnen
Täglich kommen Auswanderer-Boote aus Afrika auf den Kanaren an. Anders als 2006 werden viele in ihrer Heimat abgefangen.
Seit einiger Zeit sind wieder neue massive Wanderbewegungen auf dem Atlantik aus Westafrika in Richtung Kanaren zu verzeichnen. Am Montag und Dienstag wurden 192 Flüchtlinge in drei Booten auf der zu Spanien gehörenden Inselgruppe aufgenommen, nach 140 am Donnerstag vergangener Woche. Allein im Juni sind damit bisher über 1.000 Afrikaner auf Booten nach teils wochenlanger Ozeanfahrt auf den Kanaren gelandet; die Gesamtzahl für dieses Jahr liegt bei rund 4.500 Flüchtlingen.
Noch sieht es nicht danach aus, als ob dieses Jahr der Rekord von 2006 gebrochen wird, als über 31.200 illegale Einwanderer aus afrikanischen Ländern auf den Kanaren aufgenommen wurden - bis Mitte Juni waren es schon rund 10.000 gewesen. Mehrere tausend weitere hatten die Reise nicht überlebt. Der Massenansturm hatte die EU dazu bewogen, in Zusammenarbeit mit wichtigen westafrikanischen Küstenstaaten gemeinsame Marinepatrouillen im Rahmen der EU-Grenzsicherungsagentur "Frontex" durchzuführen. Diese haben allerdings noch nicht die geplante Dichte erreicht.
Ein Unterschied dieses Jahr im Vergleich zu 2006 ist das viel aktivere Vorgehen der Regierungen der Ursprungsländer gegen Auswanderungswillige. Derzeit werden mindestens so viele Festnahmen von Emigranten am Abreiseort wie Aufnahmen am Ziel gemeldet.
Allein in Senegals Südregion Casamance, die vom Rest des Landes durch den Kleinstaat Gambia getrennt ist, vermeldete die Polizei diese Woche, sie habe fünf Bootsreisen gestoppt und 350 Auswanderer festgenommen. Am Montag verhinderten die Behörden zum Beispiel das Auslaufen eines Bootes mit 98 Passagieren aus Senegal, Guinea-Bissau, Gambia, Ghana und Sierra Leone. Im südlichen Nachbarland Guinea-Bissau nahm die Küstenwache am Dienstag auf dem Bijagos-Archipel vor der Küste 63 Auswanderer fest, davon 50 aus Senegal. Dies folgte auf eine erste Verhaftungswelle eine Woche zuvor, die 46 Menschen betraf. Sie hatten jeweils umgerechnet rund 500 Euro an ihren Reiseleiter bezahlt und warteten nach eigenen Angaben bereits seit zwei Wochen auf ein Boot aus Las Palmas.
Guinea-Bissau und Senegal stehen beide innen- und außenpolitisch unter Druck, ihre staatliche Handlungsfähigkeit zu beweisen. Guinea-Bissau, eine ehemalige portugiesische Kolonie, wurde in den letzten Wochen in internationalen Medienberichten mehrfach als wichtigstes Transitland für südamerikanisches Kokain auf dem Weg nach Europa genannt. Senegals am 25. Februar wiedergewählter Präsident Abdoulaye Wade muss sein Wahlversprechen einlösen, Arbeitsplätze für die mehrheitlich arbeitslose Jugend seines Landes zu schaffen. Senegals Wirtschaftswachstum, das 2003 bis 2005 bei rund sechs Prozent im Jahr lag, ist 2006 auf 3,5 Prozent gefallen - kaum mehr als das Bevölkerungswachstum.
Dass Senegals Opposition am 3. Juni die Parlamentswahlen boykottierte, war ein Signal politischer Polarisierung. Diese Woche wurde der neue parteilose Premierminister Cheikh Hadjibou Soumaré in sein Amt eingeführt, und Pressekommentare legten ihm als eine Hauptaufgabe die Lösung der "sozialen Frage" nahe. Doch selbst eine noch so gute Regierung wird die Massenemigration nicht stoppen, fürchten Kritiker. Auf einer Reihe von "Jugendforen" in Senegal in den letzten Wochen wurden als Hauptgründe für Auswanderung der starke Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel und der Rückgang der Einnahmen aus der Fischerei genannt. Ersteres liegt am raschen Anstieg der internationalen Preise für Treibstoffe und Düngemittel, Letzteres an der zunehmenden EU-Konkurrenz auf den Meeren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!