Kampf um die Rote Flora: Hamburgs autonome Oase in Gefahr
Die Rotfloristen fürchten den Verkauf ihres Gebäudes. Immobilienmanager Baer sagt jedoch, er habe die Flora gar nicht gekauft.
HAMBURG taz | In das Hamburger Szenequartier Schanzenviertel, gegenüber dem sogenannten Ballermann-Boulevard Piazza, kommt Bewegung. Die AktivistInnen des seit 24 Jahren besetzten Stadtteilzentrums Rote Flora rüsten sich zur Verteidigung des Projekts in dem weitgehend gentrifizierten Stadtteil. Sie wollen die autonome Oase verteidigen. Telefonketten sind auf den neuesten Stand gebracht worden, obdachlose Punks, die vor dem Gebäude auf der Treppe campieren, haben sich als Objektschützer für die Nachtwachen angeboten. „Wir gehen von einem sehr zeitnahen Angriff aus“, sagt Rote-Flora-Sprecher Florentin Schulz.
Hintergrund dieser recht martialisch klingenden Ankündigungen sind Informationen, dass der ebenso klamme wie exzentrische Besitzer und Eventmanager Klausmartin Kretschmer das lukrative Areal an den Immobilienmanager und Anwalt Gert Baer von Baer & Baer Consulting für 5 Millionen Euro veräußert hat. 2001 hatte Kretschmer das Areal vom rot-grünen Senat für 370.000 D-Mark übernommen.
„Wir nehmen den Verkauf als Angriff sehr ernst“, sagt Schulz. „Herr Baer ist kein Mäzen, sondern ein hanseatischer Kaufmann, den Profit interessiert“, ergänzt Sabine Müller von der Flora-Pressegruppe. „Baer ist ein Global Player auf dem internationalen Immobilienmarkt“, sagt Müller. Auch Kretschmer hatte in den vergangenen zwei Jahren bereits mehrfach mit einer Räumung der Roten Flora und monatelangen Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei gedroht, wenn der SPD-Senat das Gebäude nicht für mindestens 5 Millionen Euro zurückkaufen würde.
Nach mehreren Tagen des Schweigens hat sich Gert Baer am Montag erstmals zu den Gerüchten über einen etwaigen Kauf oder eine Anmietung des Gebäudes geäußert. „Weder ich als Person noch die Baer Consulting haben die Flora gekauft oder gemietet“, sagt Baer der taz. Er sei auch „kein Spekulant“, sondern seine Firma sei auf Projektentwicklung und Unternehmensberatung spezialisiert.
Sorge vor „Brandsanierung“
An der Alarmstimmung in der Roten Flora ändert das nichts. „Es war immer davon auszugehen, dass Baer einen Strohmann vorgeschickt hat“, sagt ein Jurist, der sich mit Spekulantentum auskennt. Dafür spreche auch, dass die Immobilie im Grundbuch noch nicht umgeschrieben worden sei.
In Rote-Flora-Kreisen ist man deshalb weiterhin auf Überraschungen vorbereitet. Die Beteuerungen von Bezirkspolitikern, wegen der Verlängerung des Sanierungsgebiets und der geplanten Verabschiedung eines neuen Bebauungsplans sei eine Räumung oder ein Abriss unmöglich, schätzen die Berater der Rotfloristen anders ein. „Der Bebauungsplan ist längst nicht in Stein gemeißelt – er tritt auch erst in einem halben Jahr in Kraft“, sagt Floristin Müller. „Baer kann ein aktuelles planungsrechtliches Vakuum nutzen, um profitable Nutzung in einem der teuersten Quartiere Deutschlands mit entsprechenden Gewinnerwartungen zu realisieren.“
Die Rotfloristen haben sich auf mehrere Szenarien eingerichtet, vom Überfall oder der nächtlichen heimlichen Besetzung durch private Sicherheitsdienste, die dann einen Mietvertrag mit Kretschmer hochhalten, bis hin zur „Brandsanierung“. „Wenn das Gebäude nicht mehr wäre, würden sich viele Probleme des Investors erledigen“, sagt Flora-Sprecher Florentin Schulz . „Wir sind für alle Varianten gewappnet und gut aufgestellt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!