Kampf um Fachkräfte: „Die meisten sind von hier“
Das ländliche Handwerk in Sachsen muss hart um Personal kämpfen und setzt auf Heimatbindung. Zwei Betriebsbesuche.
Göhlerts Metallveredelungsfirma liegt am Rande des sächsischen Freital. 44 Mitarbeitende beschäftigt er, darunter sechs Frauen und vier Azubis. Die Firma will expandieren. Das Problem: „Man muss die Mitarbeiter finden“, sagt Göhlert, 39 Jahre alt, Geschäftsführer und Handwerksmeister, ein agiler Mann in grauer Jeans und schwarzem Hemd, der das Unternehmen in zweiter Generation führt.
Bei 4,2 Prozent liegt die Arbeitslosenquote im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge – das ist besser als der Bundesdurchschnitt. Eine sogenannte abgehängte Region ist der Landkreis also nicht. „Bei uns ist die Auftragslage gut“, sagt Göhlert bei einem Gang durch die Werkhalle, „aber man muss die Leute dafür haben.“
Großunternehmen sind stärker
Wie viele andere kleinere Handwerksbetriebe in Deutschland konkurriert Göhlert mit größeren Industrieunternehmen in größeren Städten um Personal und Nachwuchs. Und ist dabei benachteiligt: Der Betrieb ist klein, er liegt nicht in einer attraktiven Metropole und er befindet sich in den neuen Bundesländern, wo die Löhne niedriger sind als im Westen. Bei Göhlert verdient ein CNC-Fräser rund 2 600 Euro brutto, in den westlichen Bundesländern sind es 1000 Euro mehr. Es gibt für Leute von außen keinen Grund, herzuziehen, aber für viele Menschen in der Gegend Gründe, wegzugehen.
Doch die regionale Verwurzelung des Personals bei Göhlert ist stark. „Die meisten Mitarbeiter kommen aus der Gegend“ sagt der Geschäftsführer. Familiäre Gründe, Heimatbindung, das gehört zum Klebstoff, der das Personal hält.
Noch zu DDR-Zeiten hat Göhlerts Betrieb unter seinem Vater klein angefangen, mit Kupferbearbeitung, Schmucktellern, Schriftzügen, Schildern. Nach der Wende, als viel Historisches in der ehemaligen DDR möglichst originalgetreu restauriert werden sollte, kam die Chance. „Turmspitzen aus Metall, Wetterfahnen, die sollten für die alten Kirchen möglichst originalgetreu nachgebaut werden“, erzählt der Handwerksmeister.
Türklinken für Luxusyachten
Die nächste Chance folgte einige Jahre später, als ein Kunde nach individuell gefertigtem und poliertem Edelstahl fragte. Heute wird das veredelte Metall für Geländer, Türklinken und Handtuchhalter in Villen, Hotels und auf Luxusyachten gebraucht. Göhlert zeigt auf eine Maschine, in der eine frisch gefräste goldfarbene Türklinke liegt. „Davon stellen wir 100 Stück her“, erzählt er. Die sind für eine einzige Villa. Individuelle Metallfertigung nach Maß, das ist sein Geschäft geworden.
Ein Plus im Betrieb sind die abwechslungsreiche Arbeit an den Unikaten und das Ein-Schicht-System, keine zwei Schichten wie in der Industrie. Wo es möglich ist, dürfen die MitarbeiterInnen auch mal Home-Office-Tage einlegen.
In der Firma pflege man das „Wir-Gefühl“, sagt Göhlert. Man duzt sich, freitags frühstückt man gemeinsam, kürzlich war die gesamte Belegschaft auf Firmenkosten im Kletterwald. „Das Gruppengefühl bringt uns voran“, meint er. „Bei uns hat noch keiner gekündigt, um in den Westen zu gehen“.
Die Leute wollen in die Großstadt
Wer Göhlert reden hört, dem kommt der Gedanke, dass die Heimattreue vielleicht auch eine wirtschaftliche Ressource ist, die den kleinen Betrieben auf dem Land im Osten hilft, einheimisches Personal zu binden und zu halten. Gegen Großunternehmen in den Metropolen, die Diversity-Strategien beim Personal fahren, hat ein kleines Handwerksunternehmen auf dem Land ohnehin kaum eine Chance.
„Handwerksbetriebe im ländlichen Raum haben es bei der Nachwuchsgewinnung schwerer als ihre Kollegen in der Stadt“, sagt auch Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, „dies liegt auch darin begründet, das der Zuzug in urbane Regionen weiterhin anhält.“
Eigentlich müsste man daher gerade im Handwerk im ländlichen Sachsen auf ausländische Kräfte hoffen. Osteuropäer aus der EU gehen aber lieber in den besser zahlenden Westen oder zumindest in die Großstädte. In Göhlerts Firma sind ein Pole und zwei ukrainische Männer die einzigen Mitarbeiter aus dem Ausland.
Die dunkle Seite der Heimatliebe
Außerdem kann die Heimatverbundenheit auch eine dunkle Seite zeigen in einem Landkreis, in dem fast 30 Prozent der Wähler die AfD wählen. Handwerksvertreter in Berufsverbänden berichten, dass sich in manchen Betrieben einheimische Belegschaften dagegen sträuben, MitarbeiterInnen aus arabischen Herkunftsländern in ihre Reihen aufzunehmen. In Freital kämpfte eine Bürgerinitiative gegen ein Flüchtlingsheim, Rechtsextreme verübten Anschläge auf Wohnungen.
Auch Göhlert wird schon mal von KundInnen von außerhalb auf die Anschläge angesprochen, die sich mit der Adresse Freital verbinden. „Das ist natürlich nicht schön“, sagt er. Er selbst sei nicht politisch engagiert. Womöglich werde die Akzeptanz gegenüber Flüchtlingen in Zukunft höher werden in der Region, meint Göhlert.
Ohne MigrantInnen würde Freital jedenfalls einiges an öffentlichem Leben einbüßen. An einem Sonntagabend haben auf der Dresdner Straße mitten im Ort nur noch das Kebap-Haus und ein Pizzalieferant geöffnet. Das türkische Personal im Kebap-Haus ist gut gelaunt. Gegenüber im Thai-Massagesalon brennt noch Licht. Das Geschäft für Trikotagen und Internationale Mode hat längst dichtgemacht, ebenso das Möbelhaus ein paar Meter weiter. Quadfahrer düsen durch die Straße. In der Gegend kann man eine Drei-Zimmer-Wohnung für 95.000 Euro kaufen.
Schwache Infrastruktur
Die Bundespolitik, meint Göhlert, kümmere sich zu wenig um den Mittelstand. Sie interessiere sich vor allem für die Industrie. „Viele Politiker haben den Bezug zum Handwerk nicht mehr“, sagt auch Katharina Heber. Die studierte Betriebswirtin arbeitet in der Geschäftsführung der Firma Reichelt-Einrichter mit Sitz in Ruppendorf, ebenfalls im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.
Die Polstermanufaktur residiert in einem langgezogenen Flachbau direkt an der Landstraße. Hier gibt es sonst nichts: keine Geschäfte, keine Kneipen – ein Bus fährt stündlich nach Dresden. „Die Verkehrsinfrastruktur müsste verbessert werden“, sagt Heber, „man braucht immer ein Auto.“ Die 34-Jährige stammt eigentlich aus Riesa. Nach ihrem Studium ist sie hergezogen, weil ihr Mann hier seine Heimat hat. „Die Ehemänner bringen uns in die Region“, sagt die junge Frau und lächelt.
Auch die Meisterin für Polsterungen im Betrieb, Frauke Walter, 26, ist nach ihrer Ausbildung als Raumausstatterin, die sie bis nach Paris führte, wieder in der Region gelandet – ihres Mannes wegen. Mittlerweile leitet Walter die Polsterwerkstatt bei Reichelt, in der vier MitarbeiterInnen Bezüge zuschneiden oder an großen Industrienähmaschinen arbeiten. Auch historische Möbel werden hier restauriert. Ein weißer Stuhl mit grünem, gestreiftem Sitzpolster und runder Holzlehne wartet auf seine Reparatur. „Es ist toll, wenn man alten Möbelstücken neues Leben einhauchen kann“, sagt Walter.
Ein arabischer Mitarbeiter kam nicht klar
Der Betrieb hält sich jetzt schon in siebter Generation und bietet komplette Innenausstattungen an, mit Vorhängen, Möbeln, Bodenbelägen. 28 KollegInnen arbeiten hier, viele davon als Bodenleger auf Baustellen. Nach der Wende schaffte man den Sprung in die gehobene Ausstattung. Hotels, Verwaltungsgebäude und private KundInnen lassen von Reichelt Vorhänge anbringen, Polstermöbel fertigen, Parkett und Linoleum legen. Die Auftragsbücher sind voll. „Manches können wir aus Kapazitätsgründen nicht machen“, sagt Heber.
Bei den Parkettlegern sei die Personalsuche besonders schwer. Ein Stellengesuch auf sieben Jobportalen im Internet habe nur ein bis zwei ernstzunehmende Bewerbungen gebracht. „Vielleicht sind wir zu ländlich“, sagt Heber. Ein Geflüchteter aus dem arabischen Raum mit einschlägiger Handwerkserfahrung habe mal als Polsterer in der Manufaktur angefangen. Die Zusammenarbeit klappte nicht. „Er hatte Probleme, eine weibliche Vorgesetzte zu akzeptieren“, sagt Heber.
Auch bei Reichelt stammen die meisten MitarbeiterInnen aus der Region. Die regionale Zugehörigkeit verbinde, „man muss sich in einem kleinen Betrieb auch untereinander gut verstehen“, sagt sie. Das schafft auch eine gewisse Bereitschaft zur Solidarität. Wenn langjährigen älteren Kollegen die körperliche Arbeit schwerfalle, dann teile man die Belastungen beim Personal auch mal anders auf.
Die regionale Komponente in den Kleinbetrieben, die Gemeinschaft unter Gleichen und die Heimatverbundenheit gelten manchen Beobachtern als ein Risiko für politische Rechtslastigkeit – aber vielleicht sind sie auch ein Plus, das hilft gegen den „Abwanderungsdruck“ aus dem ländlichen Raum, den auch Andreas Brzezinski von der Handwerkskammer Sachsen beklagt. Vielleicht sind diese Regionen nicht deswegen „abgehängt“, weil die Wirtschaft daniederliegt, sondern weil Einheimische von dort wegziehen, um in den Städten mehr Menschen, mehr Reize, mehr Konsumangebote, mehr Möglichkeiten bei der Partnerwahl zu haben. Diese Versprechen kann die Provinz nicht geben. Die Reizarmut, die Stille dort, man muss sie aushalten können.
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