Kampf gegen die Drogenprohibition: „Die Strafe muss proportional sein“

Den Drogenkonsum strafrechtlich zu verfolgen, ist nicht geeignet, dieses soziale Problem zu lösen, findet der Kriminologe Lorenz Böllinger – und überdies teuer.

Die Strafbarkeit des Cannabis-Konsums aufzuheben, hielten die meisten Bundestagsabgeordneten für sinnvoll - sie trauten sich nur nicht, sagt Lorenz Böllinger. Bild: dpa

taz: Herr Böllinger, Sie und der Schildower Kreis fordern die Einrichtung einer Kommission zur Überprüfung des Drogenstrafrechts. Wie schätzen Sie denn Ihre Erfolgschancen in dieser Sache ein?

Lorenz Böllinger: Als wir vor zwei Jahren gestartet sind, gab es noch die Aussicht, dass eine rot-grüne Mehrheit im Deutschen Bundestag zustande kommt. Mit der neuen Parlamentszusammensetzung sind unsere Hoffnungen dann schnell geschwunden. Wir haben das danach eher im Sinne einer spielerischen Intervention weiterbetrieben. Inzwischen bin ich nicht mehr ganz so pessimistisch. Die Grünen und die Linke haben im Bundestag einen Antrag auf der Basis unserer Resolution gestellt und die Einrichtung einer Evaluationskommission gefordert, die die Eignung des Drogenstrafrechts prüfen soll. Der Gesundheitsausschuss hat vor ein paar Tagen entschieden, dass das weiter verfolgt werden soll. Es besteht die Möglichkeit, dass tatsächlich eine Expertenkommission einberufen wird – vorausgesetzt, dass auch Abgeordnete der SPD dafür stimmen.

Also ein Erfolg?

Ich denke immer noch, dass die Resolution mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit scheitern wird. Aber auch dann hätten wir dazu beigetragen, die Debatte zu beflügeln und zu intensivieren.

Ende Juli wurden in Bremen sieben Cannabis-Plantagen beschlagnahmt, einem Hanf-Shop droht die Schließung. Sie argumentieren anders als viele Hanf-Aktivisten, nämlich strafrechtstheoretisch, und sagen, dass das Strafrecht hier gar nicht zur Anwendung kommen dürfte. Inwiefern?

Das Strafrecht soll Rechtsgüter schützen, insbesondere die Grundrechte der Menschen: Freiheit, Eigentum, Gesundheit und Gleichheit beispielsweise. Zu den Verfassungsprinzipien, aus denen es sich legitimiert, gehört als herausragendes das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Wenn man vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit ausgeht, muss geklärt werden, ob das Strafrecht geeignet ist, seine Schutzfunktion zu erfüllen und das soziale Problem irgendwie zu mindern oder zu eliminieren. Das Strafrecht muss außerdem erforderlich sein, das heißt, es darf keine anderen, weniger eingreifenden Mittel geben, um des Problems Herr zu werden. Und die Strafe muss in Bezug auf den Schaden proportional sein. Schließlich ist sie das härteste Mittel überhaupt, mit dem der Staat gegen seine Bürger vorgehen kann. Deshalb müsste man Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität hier besonders skrupulös prüfen. Das ist beim Betäubungsmittelgesetz nie geschehen.

Was spricht gegen die Anwendung des Strafrechts in der Drogenprohibition?

Die Frage ist: Erfüllt das Strafrecht hier den Zweck, für den es gedacht ist, nämlich den Schutz des Grundrechts auf Gesundheit. Das Drogenstrafrecht hat aber nicht verhindern können, dass Drogen in immer größerem Maß verfügbar sind. Die Prohibition erzeugt erst den Schwarzmarkt mit horrenden Profiten, welcher zu die Bürger schädigender Beschaffungskriminalität und zur Untergrabung staatlicher Autorität führt. Sie dürfen nicht vergessen: Die Strafe richtet größeren Schaden an als der Konsum, der bestraft wird, sie ist ein Stigma, und das hat Folgewirkungen. Wir haben jährlich Hunderttausende junge Menschen, die wegen Cannabis-Besitzes strafverfolgt werden. Deren Lebensweg wird durch diese Kriminalisierung stark beeinträchtigt. Das Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit wird hier durch die Anwendung des Strafrechts verletzt.

70, ist emeritierter Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bremen sowie Leiter des Bremer Instituts für Drogenforschung. Er ist außerdem als Psychotherapeut tätig. Das Expertennetzwerk Schildower Kreis, dessen Sprecher er ist, hat 2013 eine Petition an den Bundestag gesandt, in der die Einrichtung einer Kommission zur Überprüfung der Strafbarkeit von Cannabis-Konsum gefordert wird. Die Abwehr gegen wissenschaftliche Aufklärung über die "gesellschaftliche Drogenphobie" sei eine "kollektive Neurose", schreibt Böllinger in einem Aufsatz, der auf der Homepage des Schildower Kreises abrufbar ist. Zu seinen Veröffentlichungen als Herausgeber gehören unter anderem "Drogenpraxis, Drogenrecht, Drogenpolitik: Handbuch für Drogenbenutzer, Eltern, Drogenberater, Ärzte und Juristen" (Fachhochschulverlag, 2002) und "Gefährliche Menschenbilder: Biowissenschaften, Gesellschaft und Kriminalität" (Nomos Verlag, 2010).

Wie schätzen Sie dann das Präventionspotenzial der jetzigen Gesetzeslage ein?

Das Präventionspotenzial geht gegen null. Wichtig wäre Aufklärung, nicht Strafe.

Wenn Sie Aufklärung als Lösung vorschlagen, heißt das, dass Sie Kiffen als problematisch sehen?

Als potenziell problematisch, ja. Jugendschutz ist ein wichtiges Thema. Sobald Sie etwa merken, dass ein psychotischer Jugendlicher Cannabis zur Selbstmedikation nutzt, ist der vielversprechendere Weg die therapeutische Intervention.

Mit dem Ende der Strafandrohung könnten diese problematischen Aspekte aus der Wahrnehmung verschwinden. Wäre das nicht in Hinsicht auf jüngere Konsumenten zumindest bedenklich?

Provozierend würde ich sagen: Selbst wenn Cannabis total gefährlich wäre, wäre das Strafrecht nicht das richtige Mittel. Das gilt erst recht, als Cannabis hinsichtlich der Gefährdung unter den Drogen eine eher geringe Rolle spielt. Es ist also schon sehr fraglich, ob der Staat hier überhaupt eingreifen muss, oder ob Cannabis-Konsum nicht einfach zu anderen risikoreichen Vergnügen zu rechnen wäre wie beispielsweise Drachenfliegen oder Rauchen.

Aber wenn auf die Entkriminalisierung, die Sie fordern, die Legalisierung folgt, wie neuerdings in Colorado, Washington und Uruguay – würde es dann in vielen Familien nicht schwieriger, den Kindern zu vermitteln, dass Kiffen durchaus auch heikel sein kann?

Das ist die Theorie des falschen Signals. Wenn in einer Gesellschaft aber klar über die Risiken aufgeklärt wird, dann wird mit Sicherheit der Konsum positiv beeinflusst. Die Leute werden vernünftiger damit umgehen, das würde sich neu sortieren. Neugier auf das Verbotene und Trotz würden als Motive wegfallen. Und man könnte in den Familien offener über das Thema sprechen, wie man ja heute auch schon – hoffentlich – übers Alkoholtrinken und übers Rauchen spricht.

Apropos: Dass Verbote und Einschränkungen den Konsum verringern, zeigt doch gerade die Raucher-Debatte. Seit den europaweiten Anti-Nikotin-Kampagnen ist die Zahl der Raucher eindeutig gesunken.

Keine Frage. Da haben Verbote und eine intensive gesundheitliche Aufklärung gewirkt. Der entscheidende Unterschied ist, dass das Rauchverbot kein strafrechtliches Verbot ist, da geht es um Verwaltungsgesetze und im schlimmsten Fall um Bußgelder. Dadurch wird das Freiheitsprinzip nicht verletzt.

Würde nach einer Freigabe der Konsum nicht tatsächlich steigen? Für viele Ältere wird der einzige Grund sein, nicht öfter zum Joint zu greifen, dass sie keine Lust haben, auf der Straße zu kaufen.

Das ist nicht auszuschließen. Dagegen spricht, dass in Holland die Konsumentenquote nicht höher ist als in Deutschland, und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Es gibt bei fast jeder Droge die gleiche Normalverteilung: Es gibt Menschen, die sie gar nicht nutzen, es gibt welche, die benutzen sie exzessiv und schädigen sich damit, und es gibt einen Mittelbau, der diese Droge in völlig unproblematischer Weise konsumiert. Abschrecken lassen sich nur die, die es eh nicht tun würden.

Wie lässt sich denn erklären, dass ausgerechnet die Entkriminalisierung und die Legalisierung von Cannabis so hart umkämpft sind?

Es gibt eine verhärtete Auffassung in der deutschen Politik, die man so zusammenfassen kann: Wir wollen das einfach nicht. Punkt. Ohne Begründung. Der Konsum von Cannabis ist noch immer mit bestimmten Bildern verbunden. Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1994, nach dem der Besitz kleinerer Mengen Cannabis straffrei bleiben sollte, wurde ausdrücklich behauptet, Cannabis sei „kulturfremd“. Das war tatsächlich eines der Argumente. Vom rassistischen Unterton einmal abgesehen lässt das außer acht, dass Cannabis in Deutschland seit jeher eine geläufige Droge war, interessanterweise vor allem in Bayern, da wurde schon im Mittelalter Hanf geraucht.

Gerade wenn die Wirkungslosigkeit des Strafrechts derart eindeutig ist, wie Sie sagen, wäre diese Hartnäckigkeit damit aber noch nicht erklärt.

Das Drogenverbot ist schon nützlich. Es ermöglicht dem Staat eine Kontrolle der Innenwelt der Bürger: Blutuntersuchungen, Urinkontrollen et cetera. Bevor der Terrorismus kam, war das Drogenproblem ein wunderbarer Hebel, mit dem man bestimmte Strafverfolgungstechniken immens intensivieren konnte. Das hat die Aufrüstung der Polizei unheimlich gefördert. Trotzdem bleibt es rätselhaft. Die Strafverfolgung kostet jährlich sechs bis zehn Milliarden. Umgekehrt könnte man, wenn man von einem Steuersatz ähnlich wie bei Zigaretten ausgeht, nach einer Legalisierung mit einigen Hundert Millionen Steuereinnahmen rechnen. Zurzeit aber gehen 90 Prozent der Gesamtkosten in die Strafverfolgung und zehn Prozent in Therapie und Harm Reduction. Ein groteskes Missverhältnis.

Wenn Sie inoffiziell mit Abgeordneten links der CDU/CSU sprechen, finden Sie überhaupt noch überzeugte Vertreter des Verbots?

Kaum. Die meisten wissen, dass es nicht sinnvoll ist. Die SPD hat schlicht Angst, von der CDU vorgeführt zu werden. Das ist schade. Man kann das Drogenproblem nicht völlig eliminieren, aber man könnte die Wahrscheinlichkeit senken, dass aus dem Konsum Probleme entstehen.

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