Kampf gegen Union Busting in Bremen: Sich zu wehren, lohnt sich doch
15.000 Euro Schmerzensgeld muss die Residenz-Gruppe an ihre Betriebsratsvorsitzende zahlen: Seit Jahren schikaniert sie sie mit Kündigungsversuchen.
Auch mit Privatklagen aufgrund von übler Nachrede hatte man sie überzogen. Und schließlich gab es Angriffe auf persönlicher Ebene, Beleidigungen und Unterstellungen, die bis in ihren Familienbereich ragen.
Die zuständigen Gerichte in Bremen und Nienburg haben bisher in den verschiedenen Verfahren immer wieder für Meyer entschieden: Die genannten Kündigungsgründe sind nichtig, die Gehaltskürzungen unrechtmäßig. Anfang des Jahres ist Meyer selbst in den Angriff übergegangen und hat Klage wegen Mobbings gegen ihren Arbeitgeber erhoben. Schon in der ersten Instanz im Februar hatte sie Recht bekommen, mit dem Urteil der zweiten Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Bremen ist die Entscheidung nun rechtskräftig.
Die Arbeitgeberseite hatte vor allem ein Gegenargument: Alles, was Meyer als Mobbing beklage, seien nur gerechtfertigte Maßnahmen des Arbeitgebers angesichts des Fehlverhaltens von Meyer. Bei der Begründung dieses Fehlverhaltens allerdings wird es dünn: Gehalt wurde ihr gekürzt mit dem Vorwurf, sie habe Arbeitszeitbetrug begangen – das Gericht aber hat in anderen Verfahren festgestellt, dass Meyer bei den beanstandeten Terminen gearbeitet hat.
Lappalie führte zu Kündigungsversuch
Und zur Begründung der Kündigung gegen die Betriebsratsvorsitzende wird ein alter Fall von 2020 wieder aufgewärmt. Damals habe Meyer einen „Prozessbetrug“ begangen: Konkret geht es in dem gesamten Vorwurf darum, dass ein anderes Betriebsratsmitglied im Protokoll als „unentschuldigt fehlend“ eingetragen wurde, obwohl sie nur Urlaub hatte. Frau Meyer, so der Arbeitgeber, hätte das wissen müssen – sie hätte also betrogen und das Protokoll wissentlich falsch geführt.
Unabhängig davon, ob ein solcher Protokollfehler eine Kündigung rechtfertigt, hat das Gericht längst festgestellt, dass von einer bewussten Täuschung gar nicht die Rede sein könne – dass Meyer vom Urlaub gewusst habe, sei reine Spekulation. Zweimal bereits hat das Gericht so entschieden „Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass das Beschlussverfahren fehlerhaft gewesen wäre“, sagte am Mittwoch Stephen Böggemann, Richter am Landesarbeitsgericht.
Franz-Michael Koch, der Anwalt der Residenzgruppe, versuchte im Verfahren am Mittwochvormittag dennoch immer wieder, den alten Vorwurf aufzuwärmen. Richter Böggemann wirkte zunehmend genervt. „Der Fall ist rechtskräftig entschieden“, erklärte er ein ums andere Mal. Und: „Wir haben unsere Zweifel, dass diese Kündigungsandrohungen weiter eine vernünftige, abwägende Reaktion des Arbeitgebers sind.“
Und der Richter äußerte sich noch deutlicher in Richtung Arbeitgeber: „Alles, was Sie machen, zielt aber auf die Existenzangst der Klägerin“, so Böggemann zum angeklagten Geschäftsführer Sebastian Hollatz und dessen Anwalt.
Prozesse als Strategie gegen Betriebsräte
Eine Frage stand im Raum, und Richter Böggemann stellte sie: Wie soll es weitergehen? „Unser Verfahren hier steht ja Pars pro Toto für ihren gesamten Streit“, so Böggemann. Tatsächlich laufen bis heute weitere Verfahren zwischen den beiden Parteien – einige von ihnen gegen Meyer persönlich, andere fechten etwa die letzten Betriebsratswahlen an.
Betriebsräte und ihre Mitglieder mit Prozessen zu überziehen, ist eine beliebte Strategie des „Union Busting“, also des systematischen Zerstörens von Gewerkschaften und Betriebsräten durch Arbeitgeber. Die Hans-Böckler-Stiftung hat das Phänomen 2020 in einer Studie analysiert. Angepeilt wird mit den Prozessen demnach nicht nur ein juristischer Erfolg vor Gericht, sondern auch ein Angriff auf die Psyche der Mitglieder des Betriebsrats selbst: Die Vielzahl an Prozessen zermürbt und schreckt ab.
Böggemann versuchte in der Verhandlung zwischendurch trotzdem, den Konflikt auf eine persönliche Ebene herunterzubrechen. „Sie können nicht miteinander, das ist klar“, sagte er. Der Richter stellte seine Sympathie für ein Güteverfahren heraus – und fragte moralisch: „Geht es Ihnen, Frau Meyer, nur um das Geld, oder darum, dass man wieder zusammenarbeiten kann?“
Nicole Meyer musste die Frage nicht mehr beantworten: Hollatz als Geschäftsführer machte selbst klar, dass er sich nicht auf ein Güteverfahren einlassen wird. „Ich lehne eine Mediation ab“, so Hollatz. „Ich bin immer freundlich, immer professionell geblieben. Deshalb braucht es keine Mediation“, begründete er.
Betriebsratsvorsitzende darf über Zustände sprechen
Im Folgenden versuchte der Geschäftsführer noch, die Mobbingklage zumindest von seiner Person wegzuführen: Er habe nur als Vertreter seines Unternehmens gehandelt, so die Argumentation. Kündigungen, Gehaltskürzungen und auch die Schriftsätze ans Gericht mitsamt persönlichen Beleidigungen tragen allerdings seine Unterschrift. Er sei jeweils rechtlich beraten worden, verteidigte sich Hollatz. Eine Argumentation, die Richter Böggemann nicht gelten lässt. „Sie sind ein erwachsener Mann. Sie wissen doch, was es bedeutet, wenn Sie etwas unterschreiben.“
Mit den 15.000 Euro Schmerzensgeld für Meyer wird gleichzeitig ein Gegenantrag des Arbeitgebers abgelehnt: Der hatte etwas über 50.000 Euro von Meyer eingefordert, unter anderem wegen „Rufmords“. Für die Zukunft hatte man zudem einige Unterlassungsanträge eingereicht: Frau Meyer, so einer davon, dürfe nicht mehr öffentlich behaupten, sie würde zermürbt – ansonsten müsse sie jeweils 10.000 Euro zahlen. Der Antrag ist abgelehnt: Die Betriebsratsvorsitzende darf offen darüber sprechen, wie ihr Arbeitgeber mit ihr umgegangen ist.
Bei der Schädigung seines Rufs braucht das Unternehmen ohnehin wenig Unterstützung. Die Residenz Gruppe gehört zum französischen Orpea-Konzern; durch das Buch „Les fossoyeurs“ (Die Totengräber) des Enthüllungsjournalisten Victor Castanet über Orpea wurden katastrophale Zustände in der Pflege der Orpeaheime offenbar – der Skandal hat den Börsenwert von Orpea innerhalb kürzester Zeit um 3,3 Milliarden Euro (auf danach noch 2,5 Milliarden) abstürzen lassen. Bis heute hat sich die Aktie nicht erholt und erzielt nur noch etwa ein Sechstel des ursprünglichen Preises.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen