Kampf gegen Mietenexplosion: Tschüs, schöne Aussicht

In Leipzig Connewitz regt sich Protest gegen steigende Mieten und Gentrifizierung. Die Entwicklung ist exemplarisch auch für viele andere Städte.

Ein Graffiti an einer Hauswand: Mieten runter Fäuste hoch

Klare Botschaft: Graffiti im linken Leipziger Stadtteil Connewitz Foto: Brigitta Kowsky

LEIPZIG taz | „Niemand hat die Absicht, Luxuswohnungen zu errichten“ steht in lila-goldenen Lettern über dem Zaun vor einer Baubrache im Leipziger Süden. Akti­vis­t*innen haben mit Bänken und Liegestühlen die Straße besetzt. Kinder üben sich im Torwandschießen, eine Hüpfburg steht mitten auf der Straße. Es ist eine Nachbarschaftsvernetzung, die hier kurzerhand zum Protest einlädt.

Das Netzwerk nennt sich „Ciao Bella Vista“, Tschüs, schöne Aussicht. In Anlehnung an das geplante „La Vida – Bella Vista“, das neueste Bauprojekt im Leipziger Süden. Immer mehr Neubauten sind in den vergangenen Jahren im Stadtteil Connewitz entstanden, nun ist ein weiteres Quartier geplant.

Der Bauboom ist offensichtlich: Aktuell sind etwa 330 Neubauwohnungen für das Viertel geplant. Mit „Bella Vista“ kommen weitere 111 Wohnungen dazu. Connewitz, bekannt als „Antifa-Area“ Leipzigs, als Ort alternativer Kultur und Kiez der linkspolitischen Szene, wandelt sich.

„Die Neubauten werden das Viertel verändern“, sagt Juliane Nagel, Stadträtin der Linken. Nicht allein kulturell, sondern vor allem im Hinblick auf die sozioökonomische Struktur.Nach Eintreffen der Polizei hat sie heute spontan eine Kundgebung angemeldet.

Die Neubauten heben die Preise im gesamten Viertel

Es sind die Anwohner*innen selbst, die aktiv werden. Junge Familien, ältere Menschen, Akti­vis­t*innen. Man plaudert, spielt, trinkt Tee.„Es gibt genügend kollektive Kräfte, sich Räume zu nehmen, wenn die Stadt weiter privatisiert“, sagt Martin Hinterseer, der Sprecher des Netzwerks.

Die Neubauten heben die Preise für das gesamte Viertel, viele Leipziger*innen können sich die Miete nicht mehr leisten. Damit werden genau diejenigen verdrängt, die das Viertel seit Jahrzehnten prägen.

Die Situation in Leipzig ist exemplarisch für Entwicklungen in ganz Deutschland und eine Debatte, die nicht zuletzt durch den Berliner Mieten­deckel wieder aktuell ist. „Wir erwarten nicht von der Stadt, dass sie uns Wohnungen hinstellt“, sagt Hinter­seer. „Sondern dass sie aufhört, privaten Investoren öffentliche Räume zu verkaufen.“

In den vergangenen Wochen hat es mehrfach auf Baustellen in Leipzig gebrannt, zuletzt auch in Connewitz. Die Polizei nahm mehrere Personen fest, sprach von Angriffen auf Beamte und Feuerwehrleute, was die Feuerwehr jedoch dementierte. Nichtsdestotrotz sah sich das sächsische Innenministerium alarmiert und kündigte an, das „weitere Vorgehen gegen den Linksextremismus“ zu besprechen. Ein Zusammenhang zwischen den Bränden sieht die Polizei bisher nicht, auch ob die Anschläge überhaupt politisch motiviert waren, ist noch unklar.

„Das ist ein Zeichen dafür, dass soziale Probleme als Sicherheitsprobleme diskutiert werden“, sagt Hinterseer. Sein Netzwerk kritisiert auch, dass die Stadt für den Leopoldpark nicht rechtzeitig einen Bebauungsplan erlassen hat, durch den es möglich gewesen wäre, an der Gestaltung des Geländes mitzuwirken.

Die Aktivist*innen fordern, die Debatte über Mieten­deckel und Enteignungen auch in Leipzig zu führen. Es ist zu erwarten, dass Investoren zunehmend ihre Fühler auch nach Leipzig ausstrecken. Ob Angebot und Nachfrage sich ausgleichen, wird sich zeigen müssen. Bislang stehen viele Wohnungen in den glänzenden Neubauten noch leer.

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