Kampf gegen Kinderpornografie: Computer gegen Computer
Als Reaktion auf den Fall Edathy fordert Justizminister Maas härtere Strafen. Die Ermittler wären schon über bessere Software froh.
Es klingt nach einem Wettrennen, bei dem Sieger und Verlierer bereits vor dem Start feststehen. Früher, berichtet Oberstaatsanwalt Rainer Franosch, hätten seine Fahnder bei Hausdurchsuchungen oft nur einen einzigen Computer beschlagnahmt. Heute kämen sie gut und gern mal mit 20 Festplatten à 500 Gigabyte zurück: „Diese Leute sind Sammler“, sagt er. „Die schmeißen nichts weg.“
Franosch, ein schmaler, schneidiger Typ, arbeitet bei der hessischen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, Außenstelle Gießen. Die Fahnder dort zählen deutschlandweit zu den Kapazitäten in Sachen Kinderpornografie. Doch Franoschs Bericht handelt auch von Überforderung und Scheitern. Die Datenmengen, erläutert der Ermittler, seien „explosionsartig“ gestiegen – und damit auch die Zeit, die für die Auswertung der Technik nötig sei. Zumal viele Kinderporno-Käufer heute ihre Festplatten verschlüsselten. „Für uns Fahnder ist das ein riesiges Problem“, sagt Franosch. „Bei zahlreichen Durchsuchungen können wir mit den Rechnern nichts mehr anfangen.“ Der Verdächtige bekommt seine Bildersammlung ungeöffnet zurück. Strafverfolgung unmöglich.
Ein Mittwochabend im April, die Grünen im Bundestag haben zum Expertengespräch über Kinderpornografie geladen. Es sind Rechtswissenschaftler gekommen, Therapeuten, Ermittler. Gemeinsam suchen sie nach Antworten auf die Frage, was sich ändern müsste nach der Affäre um den SPD-Politiker Sebastian Edathy. Auf Gesetzesebene hat Justizminister Heiko Maas bereits eine Antwort gefunden: Letzte Woche stellte der SPD-Mann einen Gesetzesentwurf vor, der das unerlaubte Fotografieren nackter Kinder unter Strafe stellt – solche „Posing“-Bilder, wie sie auch Edathy im Internet bestellt hatte, sind bisher legal.
Klar ist: Die Chancen, als Konsument von Missbrauchsbildern in Deutschland unbehelligt zu bleiben, sind hoch. Das zeigt eine aktuelle Befragung der Patienten des Präventionsnetzwerks Dunkelfeld. Das von der Berliner Charité initiierte Projekt betreibt an acht Standorten Einrichtungen namens „Kein Täter werden“. Dort werden pädophile Männer dabei unterstützt, ihre sexuellen Fantasien nicht auszuleben. Die Antworten der Patienten lassen ahnen, wie groß das Dunkelfeld sein muss: 73 Prozent der Männer, die von dem Präventionsprojekt ein Therapieangebot bekamen, hatten bereits Missbrauchsbilder genutzt. 89 Prozent von ihnen blieben dabei nach eigenen Angaben unentdeckt.
Klaus Beier, Initiator des Präventionsprojektes Dunkelfeld, sagt: „Meine Kollegen und ich sind besorgt über den Umfang und die Art der Abbildungen mit Kindern, die im Netz kursieren.“ Aufgabe des Mediziners ist nicht die Strafverfolgung, sondern die Prävention. Aber bei der Arbeit mit Patienten erlebt Beier, welche Sogwirkung Kinderpornografie entwickeln kann – die Suche nach immer stärkerem Material entwickelt sich zu einer Sucht. Um gesellschaftlichen Schaden abzuwenden, müsse man Material schneller auffinden und aus dem Verkehr ziehen.
Bundeskriminalamt ist überfordert
Beier fordert seit Jahren eine bessere Software für die Strafverfolgungsbehörden – bislang ohne Erfolg: „In Politik und Öffentlichkeit wird das Thema Kinderpornografie mit spitzen Fingern angefasst – so richtig mag sich damit niemand beschäftigen“, sagt er. Das sei aber dringend nötig. Die Bundes- und Landeskriminalämter seien mit der Bekämpfung von Missbrauchsbildern im Internet überfordert, warnt der Mediziner. Ihnen fehle Personal – und die Technik, um verdächtiges Bildmaterial zuverlässig aus den riesigen Datenströmen herausfiltern zu können.
Tatsächlich schaffen es die Ermittler nicht mehr, das beschlagnahmte Material alleine zu durchforsten. Regelmäßig würden Bildersammlungen an private Sachverständige zur Begutachtung gegeben, berichtet Oberstaatsanwalt Franosch. Er wertet dies als unproblematisch. Skeptisch sieht er aber den Einsatz der bisher vorhandenen Computersoftware. Denn die hat Schwächen.
Das BKA benutzt die Software „Perkeo“ – ein textbasiertes System, das auf der Grundlage bestimmter, „hashs“ genannter Schlüsselbegriffe die Bilder durchforstet und automatisch mit bereits bekannten Missbrauchsabbildungen abgleicht. Ein Problem: Neue, bisher unbekannte Bilder erkennt diese Software nicht. Wenn jemand sein eigenes Kind missbrauche und die Aufnahmen abspeichere, falle er bei dieser Software durchs Raster, warnt Oberstaatsanwalt Franosch. „Mich erfüllt das mit Sorge.“ Außerdem müssen stets auch noch Fachleute das Material sichten – eine Praxis, die nach Beiers Ansicht schon allein der psychischen Belastung wegen so weit wie möglich reduziert werden müsste.
Kein Geld für neue Ermittlungstechnik
„Zur raschen Auffindung verdächtigen Materials bedarf es einer Software, die eine computergestützte Inhaltsanalyse liefern kann“, fordert Beier. Ideal wäre eine selbst lernende Bilderkennungssoftware, wie sie jetzt schon von großen Internetplattformen wie YouTube benutzt wird. Ein solches „content moderated system“ kann über große Datenmengen laufen und Darstellungen nackter menschlicher Körper herausfiltern.
Solche Programme gibt es schon – man müsste sie nur an die Erkennung kindlicher Körper anpassen. Und szenetypische Reize, wie etwa Kinderbeine in einem Latexanzug, mit einspeisen. Ein selbst lernendes System könnte unter fachkundiger Anleitung stetig mehr Inhalte erkennen. Das Fachwissen dafür würden die Charité-Mediziner den Behörden zur Verfügung stellen.
Wie die Entwicklung einer solchen Software funktionieren könnte, hat Beier in der Zusammenarbeit mit Informatikern der Universität Potsdam bereits im Rahmen eines Forschungsprojekts erprobt und die Ergebnisse vor drei Jahren dem BKA und Interpol vorgestellt. „Die Resonanz war durchweg positiv – leider sei aber kein Geld da“, erinnert sich Beier an die Reaktion der Behörden. Den Kalkulationen seiner Forschergruppe nach würde die Anpassung der Software rund 2,5 Millionen Euro kosten. Eigentlich wenig Geld für eine so wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Doch erst letzte Woche scheiterten Europaparlamentarier daran, die Fahnder des neuen europäischen European Cybercrime Centre (EC3) mit 2 Millionen Euro für die Entwicklung einer neuen Bilderkennungssoftware auszustatten. Der größte Widerstand dagegen kam aus Deutschland.
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