Kampagne gegen vermeintliche Hamas-Freunde: Israel legt Krankenhaus lahm
Um die Hamas zu schwächen, zerstört die israelische Armee Krankenhäuser, räumt Tresore aus und legt Listen von NGOs an. Wo ist die Grenze?
Mit ihrem Vorgehen gegen Kliniken in Nablus trifft die israelische Armee die Bevölkerung. Nur etwa 55 Prozent der Palästinenser im Westjordanland sind krankenversichert, so das palästinensische Statistikbüro. Rund 13 Prozent, zumeist Flüchtlinge, werden durch die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency) medizinisch versorgt. Auch aus Mangel an staatlichen Gesundheitseinrichtungen wird ein Großteil der Untersuchungen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) übernommen. Bislang standen den Palästinensern in Nablus acht zum Teil durch Spenden finanzierte, zum Teil sich selbst tragende Kliniken zur Verfügung. Die nichtstaatlichen Einrichtungen sind wegen ihrer deutlich niedrigeren Behandlungskosten vor allem für die nicht versicherte Bevölkerung attraktiv. Zudem sind sie technisch oft wesentlich besser ausgerüstet als die staatlichen Hospitäler.
An der Pforte zur Islamischen Al-Tadamon-Poliklinik hängt ein zerrissenes Bild von Ismail Hanije, dem Chef der Hamas im Gazastreifen. Das Bild von dem Expremierminister stamme noch aus der Wahlkampfzeit, erklärt Klinikchef Dr. Hafez Sader. "Wir haben mit der Hamas nichts am Hut". Er streitet jede Verbindung zu den Islamisten ab.
Der lebhafte 77-Jährige selbst gehört augenscheinlich nicht zu ihnen: Er trägt weder einen Bart, noch hat er Probleme, einer Frau die Hand zu schütteln. Trotzdem zogen vergangene Woche israelische Soldaten durch die Behandlungsräume. Sie konfiszierten Computer, Kopier- und Faxgeräte, warfen Schränke, Tische und Stühle aus dem Fenster, brachen den Tresor auf und ließen 2.000 Dinar (ca. 2.300 Euro) sowie die Patientenakten mitgehen.
Das Problem: Die Poliklinik stand auf einer Liste von Israels Verteidigungsminister Ehud Barak (Arbeitspartei). Alle darauf geführten 36 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind für ungesetzlich erklärt worden. Die offizielle Begründung dafür lautet: Sie stehen der Hamas nahe. Israel ist besorgt, dass sich nach einem Truppenrückzug aus dem Westjordanland das Modell Gazastreifen wiederholen könnte. Dort hatte die Hamas nach Auseinandersetzungen mit der Fatah die Kontrolle übernommen.
Die israelische Armee will die Islamisten schwächen, solange die Soldaten noch in der Stadt sind. "Die Hamas instrumentalisiert ihre zivile Infrastruktur, um in der Bevölkerung Unterstützung für ihre terroristischen Aktivitäten zu gewinnen", heißt es in einer Presseerklärung, die das Außenministerium dazu veröffentlicht hat.
Für Doktor Sader handelt es sich bei der Aktion gegen sein Krankenhaus um ein Missverständnis. Er versteht nicht, wie es dazu kommen konnte. "Unsere Klinik besteht seit 1985, also lange bevor die Hamas überhaupt gegründet wurde." Finanziert werden das Haus und die Gehälter aus Spenden. "Fromme Muslime geben 2,5 Prozent ihrer Einnahmen als Almosen für die Armen ab", erklärt Sader. Mit dieser Unterstützung kann er die Behandlungen fast umsonst anbieten. Eine Zahnuntersuchung kostet ganze zwei Schekel, das entspricht 40 Cent.
"Mit großzügiger Unterstützung der französischen Regierung" und der Arabischen Stiftung für soziale und wirtschaftliche Entwicklung", so steht auf einem Schild, das offenbar zur Gründung der Klinik aufgehängt wurde. Laut ihrer Website hat auch diese Stiftung weder etwas mit Politik noch mit Religion zu tun. Die technischen Geräte für Augenuntersuchungen im unteren Stockwerk konnten mit der Spende von Nasik Hariri errichtet werden, der Witwe des ermordeten libanesischen Regierungschefs.
Zu den Opfern der jüngsten Kampagne Israels gegen vermeintlich Hamas-nahe Einrichtungen gehört auch eine Schule, der Soldaten sechs Busse abnahmen, ein erst vor wenigen Jahren eröffnetes Einkaufszentrum und der Verband der palästinensischen Frauenkomitees in Nablus, einer PLO-Institution, die sich um die Gleichberechtigung der Frauen kümmert. Das ist nicht gerade ein Problem, das ganz oben auf der Agenda der Islamisten steht.
"Hiermit gebe ich, Kommandant der Israelischen Armeetruppen in Judäa und Samaria, die Konfiszierung des Einkaufszentrums Nablus bekannt", so die Mitteilung der Armee. Darin werden die Ladenbesitzer aufgefordert, bis zum 15. August ihre Geschäfte zu räumen. Nach diesem Termin "wird die gesamte noch im Gebäude befindliche Ausstattung vom militärischen Kommandanten konfisziert werden". Das Betreten des Gebäudekomplexes ist ab Mitte nächsten Monats verboten. Wer sich widersetzt, riskiert eine "fünfjährige Haftzeit".
Die Drohung mit Strafmaßnahmen des israelischen Militärs spornt vorläufig noch niemanden dazu an, die Kisten zu packen. In dem modernen Einkaufszentrum brummen dezent die Klimaanlagen und pusten angenehme Kühle auf die "Window-Shopper". Würde statt der arabischen Musik Amy Winehouse aus den Lautsprechern kommen, könnte man denken, man sei in Europa. Das Angebot der rund achtzig Läden reicht von Aquarien und Vögeln in gepflegten Käfigen über Schuhmode und Fotoausrüstungen bis hin zu Badebekleidung, inklusive enger Tops, Sommerhüte, Pumphosen und Miniröcke für die Damen.
In der oberen Etage sind die beiden letzten Läden, für die sich kein Mieter finden ließ, schon mit Eisenstangen verbarrikadiert. Said Abu Ruaid will nicht glauben, dass dieses Schicksal in weniger als vier Wochen auch seinem Geschäft blühen soll. Der junge Mann Mitte 20 hat die Boutique für Herrenmoden zusammen mit seinem Bruder und einem Freund erstanden. 60.000 jordanische Dinar (gut 70.000 Euro), ein kleines Vermögen, mussten die drei aufbringen, um den kaum 12 Quadratmeter großen Raum ihr Eigen nennen zu können.
Der schicke Laden, in dem Said Jeanshosen aller Marken verkauft und in dem sogar die Lautsprecher auf die Farbe des Fußbodens abgestimmt sind, passt zu dem gepflegten jungen Mann. Said trägt dünne, schwarze Lederhosen und ein eng anliegendes Marken-T-Shirt. Ein stylischer Typ. "Wir verdienen ja kaum genug, um selbst davon zu leben." So weist er den Verdacht von sich, den Islamisten Geld zu spenden. "Die Hamas kriegt von uns nichts", schüttelt er den Kopf.
Über 90 Prozent der Verkaufsräume, so schätzt Said, sind inzwischen in privater Hand. Der Rest wird vermietet. Nach Auskunft der Stadtverwaltung wird das Zentrum von einer Aktiengesellschaft mit rund 4000 Teilhabern geleitet. Was die israelische Armee zum Räumungsbefehl motiviert haben könnte, ist, so die Vermutung im Rathaus, dass der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft in Verbindung zur Hamas steht und derzeit in israelischer Haft sitzt.
Die offizielle Begründung des Armeesprechers ist eher allgemein gehalten, Da heißt es: "Die Organisationen, gegen die sich die Aktion richtet, wurden für illegal erklärt aufgrund ihrer finanziellen Hilfe für die terroristische Infrastruktur, für die Familien von Selbstmordattentätern und Inhaftierter."
Jassid Chader, ehemals "Koordinator" zwischen der weltweit für die Hamas Spenden akquirierenden "Charity Coalition" ("Wohlfahrtskoalition") und den palästinensischen NGOs, gibt zu, dass die soziale Betätigung Teil des Widerstandes ist. "Der Kampf wird nicht nur mit dem Gewehr in der Hand geführt, sondern auch durch die Verbesserung der Lebensumstände, damit die Palästinenser in ihrem Land bleiben."
In der Bundesrepublik hatte der Aachener Verein Al-Aksa für die Hamas Gelder rekrutiert, bis der frühere Innenminister Otto Schily die Organisation vor sechs Jahren verbieten ließ. Schily argumentierte, dass der Verein die Hamas unterstützt, indem er "unverdächtig erscheinende Hilfseinrichtungen" finanziere. Dazu gehöre ein Kindergarten, wo Waisenkinder von Selbstmordattentätern an Waffen ausgebildet würden.
Mit dem Verbot des Vereins Al-Aksa und der in den USA tätigen Hamas-nahen Holy-Land-Stiftung schrumpfte die Spendenakquirierung im westlichen Ausland dramatisch. Als vor gut einem Jahr der unabhängige ehemalige Finanzminister Salam Fayyad die Amtsgeschäfte im Premierministerium übernahm, wurden zudem über einhundert Hamas-Einrichtungen im Westjordanland geschlossen. "Die Autonomiebehörde kontrolliert seither die Gelder des Charity Committee", sagt Chader. Er traut der Fatah-Führung kaum zu, mit der sozialen Not der Palästinenser fertig zu werden. Dazu sei die Führung "zu korrupt".
Das Vorgehen gegen die NGOs irritiert den frommen Muslim nicht. "Die islamische Bewegung ist auf dem Vormarsch", sagt er. "Wer die Hamas unterstützen will, weiß, wie er ihr Geld zukommen lassen kann." Gerade die Schließung der Institute werde die Popularität der Hamas noch steigen lassen. "Die Leute glauben, dass Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde in der Sache kooperieren."
Dieser Verdacht mag nahe liegen, wo tatsächlich Organisationen der Hamas geschlossen werden. In Nablus jedoch gehören PLO-eigene Gruppen zu den Opfern. Dennoch macht sich das jüngste militärische Vorgehen nicht gut für das Image der moderaten palästinensischen Führung. Innerhalb einer Woche reiste eine ganze Ministerriege von Ramallah nach Nablus, um Solidarität zu demonstrieren. Die Palästinensische Autonomiebehörde beeilte sich damit, Kompensation anzukündigen. Der junge Herrenausstatter Said hofft, dass ihm gar nicht erst Schaden entstehen wird. "Wir werden die Räumung mit gewaltlosem Protest verhindern", sagt er. "Wenn die Soldaten uns weghaben wollen, dann müssen sie uns raustragen."
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