Kai Weber über Vorwürfe gegen Bamf: „Sorgen sind durchaus berechtigt“
Zu Unrecht werde im Falle der suspendierten Bremer Bamf-Chefin von Bestechung geredet, kritisiert Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
taz: Herr Weber, der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert, dass im mutmaßlichen Korruptionsfall bei der Außenstelle Bremen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wesentliche Aspekte unerwähnt bleiben – welche sind das?
Kai Weber:Zunächst einmal: Wir wissen, dass es Verfahren gab, die in Bremen nicht hätten durchgeführt werden müssen und auch, dass es in Bremen durchschnittlich eine höhere Schutzquote gab als in anderen Bamf-Dependancen. Aber das allein rechtfertigt nicht den Vorwurf eines Bestechungsskandals, zumal es bislang keinerlei Belege dafür gibt, dass sich hier tatsächlich irgendjemand hat bestechen lassen.
Sie sprechen von Anerkennungsverfahren, die Bremen nicht hätte durchführen müssen – durfte das Bamf in Bremen sie denn durchführen?
Wir müssen uns ja in den Zeitraum zurückversetzen, um den es hier geht, nämlich zwischen 2015 und 2017. In dieser Zeit war das Bamf strukturell überfordert, kam nicht hinterher mit der Registrierung von Asylsuchenden, und zwischen den einzelnen Bamf-Dependancen wurden Flüchtlinge teilweise im großen Stil in Bussen hin- und hergeschoben.
57, ist Diplom-Pädagoge und seit 1990 Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrats mit Sitz in Hannover.
Dass Geflüchtete mit Bussen aus Niedersachsen und NRW nach Bremen transportiert wurden, war also nicht außergewöhnlich?
Nein. Es war eher die Regel als die Ausnahme. Flüchtlinge wurden beispielsweise aus Niedersachsen nach Mecklenburg-Vorpommern gebracht. Insofern ist die Tatsache, dass Bremen Asylverfahren von Flüchtlingen bearbeitet hat, die in Niedersachsen registriert waren, für sich genommen kein Hinweis auf ein – wie auch immer geartetes – rechtswidriges Handeln. Die weiteren Hinweise sind uns natürlich auch nicht unbekannt geblieben, zum Beispiel, dass es keine zeitnahe Erfassung und keinen zeitnahen Abgleich der Daten gegeben hat. Das sind natürlich formale Unregelmäßigkeiten gewesen, die auf ein mögliches Fehlverhalten hinwiesen, aber das war’s dann auch.
Sind Dinge wie ein verzögerter Datenabgleich auch in anderen Bamf-Außenstellen vorgekommen?
Es ist ja vielfach beklagt worden, dass eine erkennungsdienstliche Erfassung der Betroffenen oft gar nicht sofort möglich war. Die Betroffenen wurden als Asylsuchende registriert und wurden dann später noch mal gebeten, zum Bamf zu kommen, um den eigentlichen Asylantrag zu stellen. Und erst bei diesem zweiten Termin wurden die formalen Auflagen erfüllt, die gesetzlich vorgeschrieben waren. Das heißt: Das Bamf kam überall nicht hinterher mit der formalen Erledigung dessen, was eigentlich in seinen Aufgabenbereich gehört hätte.
Wären die Asylanträge abgelehnt worden, wenn sie formal korrekt behandelt worden wären?
Die Bundesamts-Zentrale in Nürnberg hat ja damals vorgegeben, diesen Personenkreis, also die Jesiden, bevorzugt zu behandeln und in der Regel anzuerkennen vor dem Hintergrund der massiven Verfolgung durch den IS, der Überfälle auf kurdische Dörfer, der Massenvergewaltigung, der Verschleppung von Frauen und der Versklavung von Menschen. Das war jedenfalls 2015 so. In den Folgejahren hat man das etwas abgewandelt. Aber religiöse Minderheiten blieben privilegierte Flüchtlingsgruppen. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass diese Personen grundsätzlich anerkannt wurden. Wenn es überhaupt Fragen gab, dann zu dem Personenkreis der sogenannten Dublin-Flüchtlinge, also solcher Menschen, die eigentlich in einem anderen Land ihren Asylantrag hätten stellen sollen oder jene, die in einem Drittstaat schon anerkannt waren, dort aber nicht leben konnten.
Dazu gehörte auch die Familie aus Lehrte, deren Fall schließlich die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen haben soll…
Genau. Diese Familie ist in Bulgarien anerkannt worden, nach der Anerkennung aber – wie viele andere auch – wegen fehlender Möglichkeiten, in Bulgarien überleben zu können, weiter nach Westen geflohen. Und hier gibt es bis heute einen noch nicht abgeschlossenen Rechtsstreit um die Frage, ob eine menschenwürdige Existenz für anerkannte Flüchtlinge in Bulgarien überhaupt möglich ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen Anfang dieses Jahres eine Entscheidung getroffen hat, die inhaltlich die Linie des Bamf in Bremen bestätigt: Es hat nämlich festgestellt, dass Bulgarien keine menschenwürdigen Lebensumstände für anerkannte Flüchtlinge bietet. Insofern hat man in Bremen zu Recht Schutz vor einer Abschiebung gewährt.
Also müssen sich die in Bremen lebenden Jesiden auch künftig keine Sorgen um ihren Status machen?
Doch, die Sorgen sind durchaus berechtigt. Das Bundesinnenministerium hat ja schon angekündigt, dass man die Entscheidungen, die in Bremen gefällt worden sind, alle überprüfen wolle. Aber was hier auch berücksichtigt werden muss, ist die Verschärfung der Entscheidungspraxis des Bamf in den letzten zwei, drei Jahren für verschiedene Herkunftsländer.
Wie sieht diese Verschärfung aus?
Während die Jesiden 2015 in der Regel anerkannt wurden, hat man 2016 schon die Frage gestellt: Gab es einen direkten Gebietskontakt mit den mordenden Truppen des IS oder sind die Leute geflohen, bevor der IS da war – und letztere Gruppe erhielt dann keinen Flüchtlingsstatus mehr. 2017 hat man die Entscheidungspraxis nochmal zum Negativen korrigiert und gesagt: Jetzt, wo der IS weitestgehend vertrieben ist, gibt es im Irak auch keine Verfolgung der Jesiden mehr. Es ist also zu befürchten, dass es ein massives Infragestellen des aktuellen Aufenthaltsstatus geben wird.
Auch, wenn die Anerkennung 2015 rechtlich zulässig erfolgt ist?
Das ist zu befürchten, denn das Bamf hat in großem Stile Widerrufsakten angelegt. Das heißt, es werden Hunderttausend positive Asylentscheidungen in den nächsten Monaten überprüft. Diese vorgezogenen Prüfungen wurden begründet mit dem Skandal um die Asylanerkennung des Rechtsradikalen Franco A., der sich als Syrer ausgegeben hatte. Das hat also nichts mit dem Bremer Fall zu tun. Das Gesetz sieht ohnehin vor, dass nach drei Jahren geprüft werden soll, ob die Voraussetzungen für eine Asylgewährung noch bestehen.
Und wenn nicht, müssen die Menschen ausreisen?
Wir rechnen aufgrund der unsicheren Lage im Irak nicht damit, dass diese Menschen dann rechtlos werden, aber zumindest besteht die Gefahr, dass man einigen von ihnen den Flüchtlingsstatus wieder abspricht und nur noch subsidiären Schutz gewährt.
Die in Bremen lebenden Jesiden werden aber aufgrund der Vorwürfe gegen das hiesige Bamf sicher als erste überprüft…
Höchstwahrscheinlich. Aber ich sehe auf Grundlage der uns bekannten Fälle, die in Bremen entschieden worden sind, nicht, dass sie inhaltlich grundlegend abweichen von den Leitsätzen und Vorgaben der Bamf-Zentrale. Ich sehe nicht, dass es in Bremen formale Fehler in der Entscheidungspraxis gab, die einen Widerruf in großem Stile rechtfertigen würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana