piwik no script img

Kafka-Tagung in LibliceDer arme Franz K.

Ein Sozialismus, der sich um Kafka kümmerte, muss einer mit menschlichem Antlitz gewesen sein. Eine Kafka-Tagung in Tschechien mit Klaus Theweleit und Alexej Kusák.

Der Schriftsteller Franz Kafka in der Altstadt von Prag. (Aufnahme um 1920) Bild: dpa

Schloss Liblice heißt ein beeindruckendes Barockanwesen in Tschechien, etwa 40 Autominuten entfernt von Prag. Es gibt eine grandiose Auffahrt, eine überwältigende Marmorhalle und herrisch blickende Adlige auf riesigen Ölgemälden in den Gästezimmern. Eine neureich wirkende gläserne Wendeltreppe gibt es inzwischen auch. Die stammt von der gründlichen Renovierung des Gebäudes, kürzlich durchgeführt mit Mitteln der EU. Außerdem wurde ein neuer Tagungsraum unterm Dach eingebaut. Denn Schloss Liblice ist jetzt Tagungszentrum; und wenn der Barockgarten erst einmal fertig sein wird, wird das alles sehr schön werden.

Von dem sozialistischen Firnis, der diesen Ort umgeben haben mag, als er gleichzeitig Literatur-, Staats- und Dissidenzgeschichte schrieb, ist also nichts mehr zu sehen. An diesem so historischen wie abgelegenen Ort fand 1963 eine Tagung über den Schriftsteller Franz Kafka statt, die legendär geworden ist. Manche sagen, dass damals auf diesem Schloss wichtige intellektuelle Grundsteine für die Ereignisse gelegt worden sind, die fünf Jahre später unter dem Begriff Prager Frühling in die Geschichte eingehen sollten. Denn ein Sozialismus, der sich um Kafka kümmert, muss wohl einer mit menschlichem Antlitz sein.

Nun, am vergangenen Wochenende, wurde hier wieder getagt, über die erste Kafka-Tagung und darüber hinaus über Kafka und die Macht überhaupt. Wie vehement das Werk des armen Franz K. mit Macht und Gegenmacht aufgeladen war und wie kompliziert es ist, es wieder davon zu befreien, das wurde in diesen drei versunkenen Tagen im herbstlichen Böhmen am Nebelmeer sehr deutlich. Was die Heldengeschichte der ersten Liblice-Tagung zwar nicht zerstörte, aber relativierte - und erklärbar machte. Die Tatsache, dass DDR-Regimegewaltige nach 1968 mit Liblice etwa den Einmarsch der Sowjetunion in der CSSR legitimierten, kann man knapp zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall ja auch einmal in ihrem medialen Effekt begreifen. So viel Hilfe aus Ostdeutschland half sehr bei nachträglichen Legendenbildungen der tschechischen Kafka-Konferenz in Dissidentenkreisen. Klaus Gysi, damals Kulturminister der DDR, fragte dann auch noch, welches Erbe dem Sozialismus gemäß sei: "Faust oder Gregor Samsa?" Selbstverständlich meinte er: Faust. Aus sich heraus, ohne so viel Anerkennung durch ihre Gegner und ohne die auch sogleich einsetzende mediale Unterstützung von Westmedien (Zeit, Spiegel) hätte sie niemals so große Wirkung entfaltet.

Klaus Theweleit war es, der dann auf der aktuellen Liblice-Konferenz ausdrücklich dafür plädierte, Liblice 63 mit all den damaligen Implikationen ganz vergessen zu machen. Das "Verbrechertum" (Theweleit), dass Politik überhaupt Künstlern vorschreiben wollte, was sie zu tun und zu lassen haben, wollte er ganz hinter sich haben.

Es kam anders. Liblice 2008 war dann doch eher eine Aufarbeitung von Liblice 1963 als eine aktuelle Konferenz über Kafka. Das lag nicht nur daran, dass sich tschechische Zeitzeugen gegenseitig der Lüge bezichtigten, was die Gespräche in den Pausen und das Klima der Konferenz ziemlich prägte. Es lag auch daran, dass die vorgestellten neueren Ansätze zu Kafka - Theweleit las sein "Josefine"-Kapitel aus dem "Buch der Könige" von 1988 vor, Roland Reuss erläuterte unter Zuhilfenahme der Sprechakttheorie, wie konsequent Kafka in seiner Prosa Machtworte ausstellt - kaum mit den historischen Teilen vermittelt war. Organisiert wurde die Tagung vom Institut für Textkritik, Heidelberg, und vom Institut für Zeitgeschichte, Prag. Eine Zweiteilung, die sich in den Vorträgen wiederfand; deutsche und tschechische Perspektiven standen ebenso nebeneinander wie literaturwissenschaftliche und historische. Aber allmählich ergab sich aus diesen Einzelansätzen doch eine Art Gespräch über die großen Blöcke hinweg - vor allem anhand der Figur des Josef K.

Zuerst erklärte Alexej Kusák, 79-jähriger Veteran der 63er-Debatte, seine damalige Identifikation mit der Hauptfigur aus dem "Process"-Roman - die beklemmende Alltagsatmosphäre unter dem kommunistischen Regime -habe gewirkt, als habe sich die Wirklichkeit Kafka angenähert. Michael Rohrwasser, Literaturprofessor in Wien, erweiterte diese Perspektive entschieden. Das Bild der Verhaftung im Morgengrauen, ohne dass man "etwas Böses getan" habe, sei in vielen Romanen der Dreißiger- bis Fünfzigerjahre zu einer Chiffre geworden, um Erfahrungen in totalitären Regimen, speziell auch im Stalinismus, ansprechen zu können. Worauf Roland Reuß, Motor der Kafka-Ausgabe im Stroemfeld-Verlag, anmerkte, das alles verdanke sich ja wohl einer naiven Fehlinterpretation des "Processes"; tatsächlich würde dieser Josef K. ja gar nicht unschuldig ins unübersichtliche Räderwerk von Exekutive und Gerichten geraten, vielmehr tue er selbst kräftig bei seiner Verstrickung ins System mit.

Dieses Gegeneinander von Identifikation und Fehlinterpretationsvorwurf blieb aber nicht so stehen. Ganz zum Schluss der Tagung konnte der Zeithistoriker Jürgen Danyel das damalige Eintreten für Kafka mit einer diffenrenzierten Sicht auf den Roman verknüpfen: Vielen Initiatoren der 63er-Konferenz, Danyel nannte den Namen des Germanisten Eduard Goldstücker, sei es mit der Rehabilitierung Kafkas im Sozialismus gerade auch darum gegangen, sich selbst zu rehabilitieren. Sie hatten zuvor etwa in stalinistischen Schauprozessen mitgemacht - Mittäter und Opfer in einem. Wie Josef K.! So en passent und elegant zugleich wie Jürgen Danyel hat wohl bislang kaum jemand dissidentische Heldengeschichten dekonstruiert.

So bleibt ein positives Ergebnis. Josef K. hat seine sozialistischen Verächter überlebt. Er wird auch seine dissidentischen Verehrer hinter sich lassen. Aber man muss weiter daran arbeiten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!