Kämpfe um Erdöl in Nigeria: Die Tränen des Krokodils

Luftangriffe läuten eine Großoffensive gegen Ölrebellen im Niger-Delta im Süden des Landes ein. Die Ziele liegen aber nicht im Ölgebiet.

Ein Mann geht auf einem Rohr

Pipeline bei Lagos Foto: reuters

BERLIN taz | Zum vierten Tag hintereinander haben Nigerias Streitkräfte am Montag ihre Großoffensive gegen Rebellen in den Ölgebieten des Landes fortgesetzt. Wenn die Meldungen über die Militäroperation stimmen, die verschiedentlich als „Crocodile Smile“ und „Crocodile Tears“ bezeichnet wird – das Lächeln beziehungsweise die Tränen des Krokodils –, handelt es sich um die größten Angriffe auf die Basen der Aufständischen des Niger-Deltas seit vielen Jahren.

Schon am Freitagabend, nach dem ersten Tag der am Donnerstag bei Sonnenuntergang begonnen Raketenangriffe auf mutmaßliche Rebellencamps, meldete Nigerias Verteidigungssprecher General Rabe Abubakar 114 Tote. Medien berichteten von weiteren 100 Toten bei einem Luftangriff am Samstag. Seit Sonntag sind angeblich auch Bodentruppen im Einsatz.

Bewaffnete Gruppen kämpfen seit rund zwanzig Jahren im Niger-Delta, wo Nigerias Erdöl gefördert wird, aber lange Zeit nichts für die Bevölkerung getan wurde. Die einst größte Rebellengruppe MEND (Bewegung für die Emanzipation des Niger-Deltas) wurde dieses Jahr von den radikaleren „Niger Delta Avengers“ (Rächer des Niger-Deltas) abgelöst – eine junge Generation von Kämpfern, die MEND vorwirft, vor allem persönliche Vorteile in Form von Amnestieprogrammen gesucht zu haben. Die „Rächer“ wollen Nigerias Ölförderung komplett lahmlegen. Eine lokale Gruppe namens Adaka Boro Avengers stellte für den 1. August sogar eine Unabhängigkeitserklärung in Aussicht.

Die haben sie angesichts der Militäroffensive wieder abgesagt. Anders als früher spielt sich die Offensive vorerst außerhalb der Ölgebiete im engeren Sinne ab. Die Ziele der Luftangriffe liegen im Südwesten Nigerias – in den dicht besiedelten Bundesstaaten Lagos und Ogun mit Lagos als größter Stadt Afrikas. Die Luftangriffe vom Samstag zielten auf Stellungen bei Arepo am Nordrand von Lagos. Zur Begründung heißt es, die­ ­Ölrebellen hätten hier Rückzugsbasen, beispielsweise an der Lagune von Lagos, und würden über diesen Landesteil den ­Weiterverkauf gestohlenen und geschmuggelten Öls betreiben.

Fließende Grenzen

Die Angriffe des Militärs zielen also vorrangig auf die Geschäfte der Rebellen, nicht auf ihre Heimat. Die Grenzen zwischen Rebellion und Mafia sind im Süden Nigerias fließend: Von Aufständischen angezapfte Pipe­lines und auf eigene Rechnung betriebene illegale Ölquellen, entführte Öltanker und gekaufte Zwischenhändler sorgen für ein undurchsichtiges und sehr lukratives Geschäft, durch das dem Staat jedes Jahr Milliardeneinnahmen entgehen.

Erst wenn der Sumpf der Unterstützerkreise und Depots der Ölrebellen durch Luftangriffe, Bodenoffensiven und Verhaftungen trockengelegt ist, sollen Spezialeinheiten erneut in das Delta selbst vorrücken, das mit seinen Tausenden Flussarmen, riesigen Mangrovenwäldern und aufsässigen Bevölkerungen ein ideales Guerillaterrain darstellt. „Operation Awatse“ heißt der gesamte Feldzug, nach dem Wort der nordnigerianischen Haussa-Sprache für „Auseinandertreiben“.

Dieses mehrdimensionale Vorgehen ähnelt dem, mit dem Nigerias Präsident Muhammadu Buhari bereits im Nordosten des Landes die Islamistenarmee Boko Haram geschwächt hat. Buhari hatte 2015 mit dem Versprechen eines effektiven Kampfes gegen Boko Haram die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Er löste damals Goodluck Jonathan ab, Nigerias erster Präsident aus dem Niger-Delta, der in seinen sechs Jahren an der Macht erstmals den Bundesstaaten der Ölgebiete nennenswerte Anteile an den Öleinnahmen überlassen und ehemalige Ölrebellen in die Politik eingebunden hatte.

Im Niger-Delta wurde Jonathans Wahlniederlage nie akzeptiert, und die neue Generation von Ölrebellen hat auch damit etwas zu tun. Gerüchten zufolge unterstützen Jonathan-treue Offiziere, die mit Buharis Kampf gegen Korruption im Militär unzufrieden seien, heimlich die „Avengers“, um durch das Schüren von Unsicherheit in den Ölgebieten Buhari zu schwächen und den Vorwand für einen Putsch zu schaffen.

Buhari muss nun aufpassen, dass die „Operation Awatse“ nicht wie eine Strafaktion nordnigerianischer Generäle gegen den Süden aussieht. Die Bevölkerungen im Südwesten Nigerias haben wenig Verständnis dafür, von Luftangriffen getroffen zu werden. Ihr Unmut darüber könnte sich gegen Zugezogene aus dem Niger-Delta richten, denen man vorwirft, Kriminalität und Krieg einzuschleppen. Entsprechende Drohungen lokaler Milizen kursieren angeblich bereits. Berichten zufolge befinden sich Angehörige der Ijaw-Ethnie, der größten Volksgruppe des Niger-Deltas, aus Lagos auf der Flucht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.