Kämpfe in Nordysrien: Türkei und Kurden fordern Abzug
Die Türkei möchte Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge nach Syrien zurückbringen. Doch die dürften sich kaum der syrischen Armee anvertrauen wollen.
Ein Teilabzug aus Ras al-Ain begann am Samstag. Medizinische Fahrzeuge durften 30 Verwundete und vier Leichen aus einem Krankenhaus holen. Chalil sagte, die Räumung der Stadt solle am Sonntag abgeschlossen werden.
Es ist das erste Mal, dass die syrisch-kurdischen Kämpfer öffentlich einen Rückzug aus der Grenzregion bestätigt haben. Das Vorgehen sei mit den USA abgesprochen, sagte Chalil und ergänzte, seine Truppen würden sich aus einem 120 Kilometer langen und rund 30 Kilometer breiten Gebiet zwischen Ras al-Ajn und Tell Ajbad entfernen – aber nur wenn die Türkei der Bedingung folge. Die Größe des Gebietes haben auch US-Regierungsbeamte bestätigt.
Erdogan verlangt jedoch den Abzug der Kurden aus einem mehr als 440 Kilometer langen Grenzstreifen vom Euphrat bis zur irakischen Grenze. Anderenfalls werde die Türkei ihre Offensive nach dem Ende der vereinbarten Kampfpause am Dienstag wieder aufnehmen. Sein Sprecher Kalin bestätigte zwar, dass die Kampfpause für das kleinere Gebiet gelte, die Türkei beanspruche aber das größere. Chalil dagegen sagte, die Kurden fühlten sich nur der US-Interpretation des Waffenstillstands verpflichtet, nicht aber der türkischen Lesart.
„Wir werden keine Flüchtlinge zwingen“
Die Türkei hat den Rückzug syrischer Regierungstruppen aus der Nähe der Grenze verlangt. In der Gegend sollten sich weder kurdische Kämpfer noch syrische Soldaten aufhalten, sagte der türkische Präsidentensprecher Ibrahim Kalin der Nachrichtenagentur AP am Samstag. Die Türkei wolle dort zwei Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge ansiedeln und diese wollten nicht in Gebiete zurückkehren, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden, vor der sei einst geflüchtet seien.
Kalin sagte, die Anwesenheit syrischer Truppen sei eine der Fragen, die die Türkei mit Russland besprechen wolle, der Schutzmacht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. „Wir werden keine Flüchtlinge zwingen, irgendwohin zu gehen, wo sie nicht hinwollen“, sagte Kalin. Die Menschen sollten sich sicher fühlen. In die bisher von seinem Land kontrollierten Gebiete in Syrien sind nur sehr wenige der 3,6 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge zurückgekehrt, die vor dem Bürgerkrieg in der Türkei Zuflucht gesucht haben.
Nach der Rückzugsankündigung der USA für ihre Soldaten in Nordsyrien hatten die Türkei und ihre Verbündeten Mitte Oktober eine Offensive gegen kurdische Kämpfer in der Region begonnen. Die Kurden, die jahrelang an der Seite der USA gegen die Terrormiliz Islamischer Staat gekämpft hatten, baten daraufhin die syrische Armee um Schutz gegen den Vormarsch. Daraufhin rückten syrische Truppen in das Gebiet vor, unter anderem nach Kobane und Manbidsch.
Die USA, die die Krise durch ihren Rückzug eingeleitet hatten, vereinbarten schließlich mit der Türkei eine Kampfpause, während der sich kurdische Kräfte aus einer von der Regierung in Ankara beanspruchten Sicherheitszone in Nordsyrien zurückziehen sollen. Trotzdem gab es weiter Kämpfe, vor allem um die Stadt Ras al-Ain.
US-Truppen sollen IS von Westirak aus bekämpfen
Die bisher in Nordsyrien stationierten US-Truppen sollen indes nach Westirak verlegt werden. Dies teilte Pentagonchef Mark Esper am Samstag vor Reportern mit, die ihn auf eine Nahostreise begleiteten. Demnach soll das US-Militär weiter Operationen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat ausführen, um deren Wiedererstarken zu verhindern. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass die US-Truppen vom Irak aus zu Anti-Terror-Einsätzen in Syrien aufbrechen. Entsprechende Details würden aber noch ausgearbeitet.
Erstmals legte der Verteidigungsminister konkret dar, wohin die US-Truppen nach dem Rückzugsbefehl aus Syrien gehen und wie der Anti-IS-Kampf aussehen könnte. Esper ergänzte, er habe den Plan, mehr als 700 Soldaten in den Westen Iraks zu verlegen, bereits mit seinem irakischen Amtskollegen abgesprochen.
Zwischen 200 und 300 US-Soldaten sollen im südsyrischen Stützpunkt in Al-Tanf verbleiben. Die restlichen Truppen sollen dabei helfen, den Irak zu verteidigen und gegen den IS vorzugehen, sagte Esper. Doch seien noch Änderungen am aktuellen Plan möglich. Über die weiteren Schritte bei der Anti-IS-Mission wolle er kommende Woche bei einem Nato-Treffen mit Verbündeten beraten. Mit internationalen Partnern solle im Laufe der Zeit auch erörtert werden, ob US-Sondereinheiten unilaterale Militäreinsätze gegen den IS in Syrien ausführen könnten, sagte Esper.
Derzeit haben die USA mehr als 5.000 Soldaten im Irak – gemäß einer bilateralen Einigung. Im Jahr 2011 hatten die USA nach dem Ende der Kampfhandlungen ihre Truppen aus dem Land abgezogen. Doch zeigte das US-Militär dort wieder Präsenz, nachdem die IS-Miliz 2014 große Teile des Iraks einnahm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch