Kältebus für Obdachlose: Nächster Halt: Bahnhofsbank
Pünktlich zum Wintereinbruch geht der Kältebus auf Tour: Er bringt Menschen ohne Dach überm Kopf in Notunterkünfte. Der Fahrer war früher selbst obdachlos.
Bis vor sieben Jahren war er selbst obdachlos, drogenabhängig und verbrachte die meiste Zeit am Kottbusser Tor. Artur Drage ist 46 Jahre alt, kommt aus Polen und kann sich gut an die Zeit erinnern, als er dankbar war, wenn der Kältebus vorbeikam und ihn in eine Notunterkunft brachte. "Am Anfang ist man misstrauisch, man muss erst Vertrauen zu denen gewinnen, die da kommen", sagt er. Die Obdachlosen untereinander stünden oft nur in Nutzbeziehungen zueinander. "Nur wenn es kalt und dunkel ist, ist man lieber zu zweit. Ansonsten hängt man nicht aufeinander rum", sagt er. Drage schaffte den Absprung mit dem Straßenprojekt Challenge, dort machte er eine Therapie und Entzug. "Mit Gottes Hilfe bin ich da raus gekommen." Seit gestern steuert Drage selber den Kältebus, der pünktlich zum Temperatursturz am Wochenende seine Arbeit aufnahm.
Der Kältebus ist Teil der Berliner Kältehilfe, einem seit 20 Jahren bestehenden Engagement der beiden Kirchen, von Wohlfahrtsverbänden und Senat für Obdachlose in den Wintermonaten. In über 70 Einrichtungen wie Notübernachtungen, Nachtcafés und Suppenküchen finden Obdachlose in Berlin Hilfe, erklärt Christiane Lehmacher-Dubberke, die Sprecherin der Diakonie Berlin-Brandenburg.
Nicht immer bringt der Kältebus die Menschen in Notunterkünfte, manchmal geht es nur darum, ein heißes Getränk vorbeizubringen und zu reden. Und das so oft und so regelmäßig wie möglich. "Manche kommen erst im dritten Winter mit in die Unterkünfte", sagt Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission. Der Weg zu Vertrauen sei lang und es sei wichtig, den Menschen zu zeigen, dass man sie nicht vergisst und sich um sie sorgt. "Wir machen sozusagen viele warme Nadelstiche."
Ziel ist, den Kältebus überflüssig zu machen und die Menschen ins soziale Hilfesystem zu vermitteln. "Wir zeigen ihnen, ihr könnt da weg kommen, wenn ihr wollt." Aber es geht im Winter auch ums Überleben: Eingeführt wurde der Kältebus von der Diakonie und der Caritas, nachdem im Winter 1994 ein Obdachloser in Berlin auf der Straße erfroren war. In diesem Jahr fährt auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) erstmals mit einem eigenen Kältebus durch Berlin. Das soll das Angebot von Diakonie und Caritas ergänzen. Der DRK-Bus fährt täglich von 18 Uhr bis Mittnacht S- und U-Bahnhöfe, Stadtparks und Bauruinen an.
Nach Schätzungen des Deutschen Roten Kreuzes leben zwischen 3.000 und 4.000 Menschen in Berlin auf der Straße. In diesem Winter stehen zwischen 300 und 400 Übernachtungsplätze täglich zur Verfügung. "Im vergangenen Jahr hatten wir 18.000 Gäste in 151 Tagen", sagt Thomas Winistädt, der Leiter der Notübernachtungen in Mitte. In der Unterkunft am Hauptbahnhof zum Beispiel gebe es acht Zimmer - eins speziell für Kranke, eins für Menschen mit Tieren und eins für Frauen. Die Notunterkünfte seien zu 100 Prozent ausgelastet. "Das ist ein Zeichen dafür, dass das Angebot nicht ausreicht", so Winistädt. Die Kirche könne und wolle niemanden abweisen und die Nachfrage steige zwar nicht dramatisch, aber stetig.
Vor allem für Frauen müsste es mehr Angebote geben. "Frauen ohne eigene Wohnung sind besonders häufig Gewalt ausgesetzt", sagt Pfarrer Peter Storck von der Kirche Heilig Kreuz-Passion in Kreuzberg. Außerdem würde von Frauen, die sich bei Bekannten eine Unterkunft suchen, schnell eine Gegenleistung erwartet. "Der Bedarf an Hilfe hier ist viel größer als das, was wir haben", so Storck. Das gilt auch für Angebote, die nicht nur Wohnungslose ansprechen. Besonders viele Menschen kämen zu den Hilfestellen, an denen Essen ausgeteilt wird: "Es sieht so aus, als dass viele Menschen, die von Hartz IV leben, damit nicht hinkommen", so der Pfarrer.
Ein weiteres Problem für Obdachlose ist die gesundheitliche Versorgung: "80 Prozent der Wohnungslosen sind akut krank", sagt Gabriela Hockert von der Caritas. Das reiche von einfachen Erkältungen über Läuse bis zu Hautkrankheiten wie Krätze. Die Caritas bietet eigens für Obdachlose eine ärztliche Versorgung am Bahnhof Zoo. Für Menschen ohne Papiere sei ärztliche Versorgung oftmals noch schwieriger. Hier bieten die Malteser einen speziellen ärztlichen Dienst an. "Immer mehr Menschen insbesondere aus osteuropäischen Staaten nehmen unsere Hilfsangebote in Anspruch", so Diakonie-Sprecherin Lehmbacher-Dubberke.
Der Pole Artur Drage ist bereit für den Winter und die nächtlichen Touren mit dem Kältebus: "Ich werde sicher viele meiner alten Bekannten treffen."
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