: Kälte-Experimente
Nu Wave von Format, reizvoller Retrofuturismus: „Jeans Team“ am Mittwoch in der Tanzhalle
Der Club, die Band, das Label und der Chartserfolg. Was nach einem ausgeklügelten Masterplan von Grabräubern klingt, startet 1996 ganz unterirdisch: in einem Keller im Hinterhof, der Galerie berlintokyo in der Berliner Rosenthalerstraße, wo man zum unvorhersehbaren Verschwenden der Jugend einlädt. Dort liegt die Keimzelle für eine neue Welle von Bands wie Commercial Breakup oder auch den Puppetmastaz. Auch Jeans Team sind in der Galerie berlintokyo zu Hause: Die Ladenbetreiber sind Musiker, und wenn der eigentliche DJ nach Hause gegangen ist, legen sie umso quietschvergnügter Platten aus den 80ern auf. Überschüsse aus dem Getränkeverkauf fließen in eigene Platten auf dem Label Nadel Eins, dessen Logo den Fernsehturm am Alexanderplatz mit einem Smiley-Gesicht vereint.
Ähnliche Brücken schlägt auch der Jeans Team-Sound: Zwischen Rotterdam-Gabbatechno mit Spielzeuginstrumenten und Mofarocker-Akkorden auf Umhängekeyboards, zwischen kinky Disco und Exi-Schick aus dem eisengrauen Westberlin. „Wir sind die Jungs vom Waffenladen.“ Die Stimmen überschlagen sich, und auch sonst ist die Musik überdreht, sarkastisch, ekstatisch. Wie man es ansonsten vielleicht von Italopopstars erwarten würde, klauen sich Jeans Team wunderbar offensichtliche Hooklines zusammen. Natürlich grinsen sie beim Spielen auf der Bühne, natürlich war ihre Musik Nu Wave, bevor alle anderen schlau auf Nu Wave machten.
Inzwischen ist nicht nur die Bundesregierung nach Berlin gezogen, auch das Jeans Team hat das Label gewechselt. Die Galerie berlintokyo lebt in Fotobänden über „temporary spaces“ weiter und das 80s-Revival boomt im sechsten Jahr. Der Jeans Team-Sound ist druckvoll und kalkuliert geworden, aus der durchgeknallten Anfangsenergie wurde ein Format, das die Leute abholt und sogar radiokompatibel ist. „Keine Melodien“, eine Auskopplung aus dem ersten Album, platzierte sich sogar in den englischen Club-Charts. Für Ende September ist nun mit Gold und Silber (Kitty-Yo) eine EP mit Remixen und unveröffentlichten Songs angekündigt.
Von seinem nervösen Reiz hat der Retrofuturismus des Jeans Teams indes nichts eingebüßt. Die neuen Remixe klingen vielmehr, als wären am eigenen Leib erfolgreiche Experimente in Kälte durchgeführt worden. Vielleicht war das ja nötig, damit sich das Kellergefühl von früher wieder einstellt. Julian Weber
Mittwoch, 21.30 Uhr, Tanzhalle
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