: Kabuls Ex-Premier erschossen?
Der afghanische Islamist und Warlord Hekmatjar soll tot sein. Die Gegner der Taliban müssen eine weitere Schlüsselstellung an der Grenze zu Tadschikistan räumen ■ Von Thomas Ruttig
Berlin (taz) – Über das Schicksal des einst mächtigsten Kriegsherrn Afghanistans herrscht Rätselraten. Gulbuddin Hekmatjar, in den 80er Jahren Chef der stärksten afghanischen Mudschaheddin- Fraktion, sei tot, meldeten gestern Agenturen in Kabul unter Berufunf auf die Taliban. Drei bewaffnete Männer hätten ihn in der Nordostprovinz Tochar erschossen. Kurz darauf meldete der iranische Rundfunk, Hekmatjar sei am Leben. Berichte über seinen Tod bezeichnete er als „Lügen“.
Pakistanische Zeitungen hatten bereits am Sonntag gemeldet, der Radikalislamist sei von Kämpfern des Warlords Ahmad Schah Massud festgenommen worden. Zuvor hatte am Sonntag Asisullah Schafak, Sprecher der schiitischen Wahdat-Partei, Hekmatjar indirekt beschuldigt, für den Fall der Stadt Masar-e Scharif, dem Regierungssitz der Taliban-Gegner, verantwortlich zu sein. „In Masar schafften es die Taliban nur mit Hilfe einiger Verräter, in die Stadt einzudringen“, sagte er.
Tatsächlich hatten einige Hekmatjar-Unterführer in der Stadt Balkh, 40 Kilometer östlich von Masar, beim Anrücken der Taliban mit fliegenden Fahnen die Seite gewechselt. Balkh, mit überwiegend paschtunischer Bevölkerung eine Hochburg Hekmatjars Islamischer Partei, war auch einer der drei Ausgangspunkte der Taliban-Offensive gegen Masar-e Scharif.
Nominell waren Hekmatjar und Massud im Rahmen der „Vereinigten Islamischen Front zur Rettung Afghanistans“ verbündet. Unter Massuds politischem Chef, „Interimspräsident“ Burhanuddin Rabbani, war Hekmatjar 1996 sogar Premier. Aber das dauerte nur wenige Wochen, dann eroberten die Taliban Kabul. Auch damals waren es Hekmatjar-Anhänger, die ihnen die Verteidigungslinien öffneten.
Schon zuvor verband Hekmatjar und Massud eine tiefe persönliche Feindschaft. Während der sowjetischen Besatzung kämpften beide häufiger gegeneinander als gegen den gemeinsamen Feind. Nach dem Abzug der Sowjets 1989 und dem Sturz des von ihnen installierten Präsidenten Nadschibullah im Jahr 1992 lieferten sie sich einen Wettlauf um die Einnahme Kabuls. Massud siegte, aber nur durch die Hilfe des übergelaufenen Generals Dostum, der heute ebenfalls zur Anti-Taliban- Allianz gehört.
Massuds Triumph kommt in seiner bisher bittersten Stunde: Unabhängigen Quellen zufolge sollen die Taliban-Gegner gestern auch ihr Ausweichhauptquartier Talokan in der Provinz Tochar aufgegeben haben. Damit droht ihnen der Verlust der Nachschublinien über das Nachbarland Tadschikistan. Gestern rückten die Taliban weiter in Richtung tadschikische Grenze vor. Schon am Sonntag mußte Massud nördlich von Kabul eine Rebellion einiger seiner Kommandeure unterdrücken, die eine Verständigung mit den Taliban verlangten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen