Kabinett beschließt Armutsbericht: Armutszeugnis für den Arbeitsminister
Das Kabinett nickt die endgültige Version des Armutsberichts ab. 13 bis 18 Prozent der Deutschen leben in Armut - je nach Statistik. Arbeitsminister Scholz muss seine optimistische Lesart dabei korrigieren.
Das Kabinett hat am Mittwoch den Armutsbericht beschlossen. Auf die Frage, wie viele Menschen in Deutschland arm sind, gibt er viele Antworten. Die dramatischste basiert auf dem sozioökonomischen Panel (SOEP), einer Statistik des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Im Jahr 2005 lebten demnach 18 Prozent der Deutschen in Armut, also fast jeder fünfte. 1998 waren es nur 12 Prozent. Eine andere Statistik, die europaweit vergleichbare EU-Silc, verzeichnete 2005 nur 13 Prozent armutsgefährdete Deutsche.
Um diese Zahlen - und das politisch brisante Gefälle zwischen ihnen - hat es in den letzten Wochen ein beispielloses Gezerre gegeben. Den Anfang machte Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD). Er stellte im Mai eine erste Version des Armutsberichts vor, den er nicht mit den anderen Ministern abgestimmt hatte - wohl auch, um die Interpretation der Zahlen vorzugeben. Denn er stellte die Statistik EU-Silc in den Vordergrund, die die Armutslage schöner zeichnet.
Die mit den anderen Ministern und Verbänden abgestimmte Variante berichtigt diese Kommunikationsstrategie auf dem Papier. Die Ergebnisse werden nicht mehr so bunt gemischt wie in der alten Version. Gleichzeitig sind in einem Kasten nun die Statistiken, ihre Datengrundlagen und ihre Ergebnisse aufgelistet. Warum sich die Zahlen so gravierend unterscheiden und welche der Realität am nächsten kommen, weiß man im Ministerium nicht. "Das hat uns noch niemand plausibel erklären können", heißt es dort lapidar.
Der Opposition reichen die Korrekturen nicht: Nach wie vor lese sich der Bericht "wie ein misslungener Versuch, die Versäumnisse der Regierung in der Armutsbekämpfung schön zu verpacken", sagte Markus Kurth, der sozialpolitische Sprecher der Grünen. Auch Wissenschaftler haben weiterhin Zweifel. So ist etwa in einer Tabelle zur EU-Silc-Statistik zu lesen, dass sich Armut zwischen 1998 (12 Prozent der Deutschen) und 2005 (13 Prozent) kaum verändert hat - doch in der Reihung mischt der Bericht zwei Studien. "Das erweckt den Eindruck, es hätte sich nichts getan", so Statistikforscher Markus Grabka vom DIW.
Selbst wenn nicht klar ist, wie genau die Zahlen die Situation jeweils beschreiben - viele Ergebnisse sind alarmierend. So nahm etwa die Ungleichverteilung zu. Während der Anteil höherer Einkommen wuchs, sanken die Anteile niedriger Einkommensgruppen. Gleichzeitig wächst der Niedriglohnsektor: 2005 blieben die Verdienste von mehr als einem Drittel der Beschäftigten unterhalb der Niedriglohnschwelle, Anfang der 90er-Jahre war das nur bei etwas mehr als einem Viertel der Fall.
Für Grabka ist ein anderes Phänomen entscheidend: "In den vergangenen Jahren sind die Chancen, aus Armut in andere Einkommensschichten aufzusteigen, gesunken." Nur jedem achten Geringverdiener gelang zwischen 1999 und 2005 der Sprung über die Niedriglohnschwelle, belegt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Im Ministerium interpretiert man den Bericht gelassen. "Die Kernaussagen bleiben erhalten." Eine war Scholz besonders wichtig: Ohne staatliche Transferleistungen wie Arbeitslosen- oder Kindergeld läge das Armutsrisiko in der EU-Silc-Statistik doppelt so hoch. "Der Sozialstaat wirkt", findet der Minister.
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