KURSEINBRÜCHE AM NEUEN MARKT SORGEN FÜR ERHÖHTE NERVOSITÄT: Geld ist Leben
In Griechenland hat die Regierung ein Problem, und das kurz vor der Wahl. Kleinanleger demonstrierten kürzlich vor dem Parlament und forderten Kredithilfen, tröstende Worte oder sonst irgendwas. Denn die Aktienkurse fielen und fielen. Die sozialdemokratische Regierung versuchte indessen, staatliche Institutionen und Großanleger irgendwie zu motivieren, Aktien zu kaufen, auf dass die Kurse sich wieder fangen mögen. So weit geht die politische Intervention in Deutschland nicht, aber das Beispiel Griechenlands zeigt: Mit der Euphorie über die Freiheit des Marktes ist Schluss, wenn die Kurse fallen. Dann erinnert man sich plötzlich wieder der Politik: Tut doch was!
In Deutschland ist das noch nicht nötig. Aber die Kurseinbrüche am Neuen Markt ließen gestern ahnen, welche Dramaturgie aufkommen wird, wenn es noch weiter abwärts geht mit den Aktienkursen: „Angstschweiß an der Börse. Die schönen Gewinne – alle bald futsch?“, sorgte sich die Bild-Zeitung und präsentierte flugs ein paar junge Menschen, die jetzt doch sehr ernüchtert sind von der bösen Börse. Kommt schon bald ein Crash oder sind das nur „crashartige Korrekturen?“, fragte sich ein Händler. „Wenn die Angst und Panik noch größer wird, werden die Anleger mit den schwachen Nerven ausgeschüttelt“, meinte ein zweiter. „Panik“ – dieses Gefühl bekommen Menschen normalerweise erst, wenn sie in Lebensgefahr sind. Dass mit diesen Worten auf dem Aktienmarkt so schnell operiert wird, zeigt, wie wenig die Öffentlichkeit mit dem Geschehen umgehen kann. Geld löst stärkere Gefühle aus als alles andere. Verluste überraschen wie eine Naturkatastrophe.
Dabei sind die jüngsten Kursverluste nur die logische Folge der vorhergegangenen hohen Gewinne. Vor allen Dingen die institutionellen Anleger, also Investmentfondsmanager, dürften durch den Verkauf der hoch bewerteten Aktien am Neuen Markt gute Gewinne mitgenommen haben. Doch wenn die Kaufeuphorie der vergangenen Wochen abflaut, heißt dies nicht, dass jetzt der tiefe Absturz kommt. Eine Hysterie der Kleinanleger hätte ohnehin nur begrenzte Folgen: Private Haushalte besitzen nur 15 Prozent der Aktien in Deutschland. Schwerer wiegt immer das Kalkül der Großanleger wie Unternehmen, Banken und Versicherungen. Doch wer verkauft, muss immer auch irgendwohin mit dem Geld – und es gibt derzeit wenig Alternativen zum Investment an der Börse.
Die Kurseinbrüche sind kein Einbruch des Irrationalen, sondern gehören gewissermaßen zur neuen Volksbildung, Thema: „Wie funktioniert die Börse?“ Freuen darf sich, wer für diese Weiterbildung bisher nichts bezahlen musste.
BARBARA DRIBBUSCH
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