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KRUZIFIXE INS KLASSENZIMMER – IN ITALIEN REGIERT DIE DOPPELMORALWenn’s passt, wird das Kreuz säkular

Nun sollen also wieder Kreuze ihren Einzug halten in die Klassenzimmer der staatlichen Schulen Italiens. Darauf haben die Kleinen ein Recht, meint Unterrichtsministerin Letizia Moratti. Nicht auf das Kreuz als konfessionelles Symbol – Gott bewahre. Schließlich gibt es auch in Italien die Trennung von Kirche und Staat. Aber das Kreuz als Kultursymbol, das kann man den Kids doch nicht versagen. Kann die Ministerin denn was für 2.000 Jahre Christentum oder für den simplen Fakt, dass die Italiener nun mal fast durch die Bank katholisch getauft sind?

Die Kirche schaut großzügig hinweg über die feinsinnigen Unterscheidungen zwischen Kultur und Konfession. Schließlich weiß sie, was sie an Berlusconis Rechtsregierung hat: Förderung der katholischen Privatschulen, komplette Übernahme der Religionslehrer in den Staatsdienst und jüngst erst die Verteilung einer Aids-Aufklärungs-Broschüre an den Oberschulen, die Keuschheit statt Kondome predigt. So dürfen sich die Kardinäle über ein vom Staat konzediertes Monopol für Moralfragen freuen – und lassen fünfe grade sein. Dass von Berlusconi über Bossi und Fini zu Parlamentspräsident Casini alle Chefs der Rechten „in Sünde“ leben, mit Zweit- oder Drittfrau, stört den Vatikan ebenso wenig wie die Tatsache, dass Berlusconis TV-Programme eher Frivolität predigen als Frömmigkeit. Manchmal wird aber auch beides im Doppelpack geboten: Erst gibt’s die Show mit den ziemlich nackten Mädels, dann folgt der Erbauungsfilm über Franz von Assisi. Dem Klerus ist das wurscht – ihm reicht die Meinungsführerschaft im Sündenbabel. Und dass in Berlusconis Reich der konservativ-pragmatischen Bigotterie etwa die Homoehe einfach kein Thema ist.

Und warum soll nicht auch in Europa gehen, was schon zu Hause nicht zusammenpasst und trotzdem prima funktioniert? Die christlichen Werte will Berlusconi in der neuen europäischen Verfassung als Grundlage der Union festgeschrieben sehen – und dann wünscht er sich die Türkei so schnell wie möglich in der EU. Gewiss, ein Freundschaftsdienst für die USA – vielleicht aber auch ein bisschen mehr. Italiens Ministerpräsident erklärt, Erdogans Partei sei doch eigentlich so wie Italiens stolze Christdemokratie, als deren Erbe Berlusconi sich betrachtet. Die habe die frommen Massen politisch vertreten, dabei aber immer brav auf die Trennung von Kirche und Staat geachtet. So kann glatt auch die Türkei europäisch werden: Sie brauchte nur das Kultursymbol Kreuz in alle Klassenzimmer zu hängen, ganz säkular natürlich.

MICHAEL BRAUN

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