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KOMMENTAREWahlkampf mit allen Mitteln

■ Über die Wahrscheinlichkeit eines neuen Krieges gegen den Irak

Ob es in diesem Herbst zu einer Neuauflage des Krieges gegen den Irak kommt, wird davon abhängen, wie viele Prozente US-Präsident George Bush in den Meinungsumfragen hinter seinem Konkurrenten Bill Clinton liegt. Zu einfach, zu platt, zu durchsichtig, um wahr zu sein? Mitnichten. Denn vorsichtshalber, für alle Fälle sozusagen, ist die US-Administration bereits jetzt dabei, den Druck auf Saddam Hussein zu erhöhen, oder, anders gesagt, eine Eskalationskette aufzubauen, die eventuell Ende September in neue Luftangriffe münden kann, falls der alte Herr in Washington seine Felle im Wahlkampf davonschwimmen sieht.

Der Anfang ist bereits gemacht. Ob die Sicherheitszone für die Schiiten im Südirak auf den Abschuß von gegnerischen Flugzeugen hinausläuft oder ob Saddam Hussein in bewährter Manier im letzten Moment einen Rückzieher macht, ist vorerst offen. Klar ist jedoch, daß Bush siebzehn Monate nach den Aufständen gegen Saddam Hussein nicht plötzlich von einer humanitären Anwandlung angesichts der Unterdrückung der schiitischen Bevölkerung übermannt worden ist. Es war von vornherein ein Fehler, im vergangenen Frühjahr nur eine Schutzzone für die Kurden, aber keine für die Schiiten zu errichten. Die Gründe lagen auf der Hand: zum einen die schockierenden Fernsehbilder über die flüchtenden Kurden in der Folge des Golfkrieges, vor allem aber die Befürchtung, der Iran werde bei der Errichtung einer Schutzzone auch im Süden seinen Einfluß auf die irakischen Schiiten stärken und der Irak letztendlich zerfallen. Doch strategische Bedenken werden eben mal kurz über Bord geworfen, wenn es um Wählerstimmen geht. Die vordergründige Argumentation vom notwendigen Schutz der Schiiten wird jedoch vollends obsolet, wenn man sich vor Augen hält, daß das Pentagon selbst im April Saddam Hussein stillschweigend freie Hand für den Einsatz seiner Flugzeuge südlich der Kurdenzone ließ, obwohl dies dem Wortlaut der Waffenstillstandsresolution widerspricht. Saddam Hussein ließ sich das nicht zweimal sagen und setzte seine Kampfflugzeuge prompt im Süden ein.

Um taktische Manöver und halbe Dinge wird es in diesem Herbst nicht gehen, sollten Bush die entscheidenden Prozente fehlen. Die Konflikte und ausgehandelten Kompromisse um die UN-Inspektoren im Irak haben gezeigt, daß Saddam so nicht beizukommen ist. Vom strahlenden Sieger im Golfkrieg ist im Wahlkmapf nicht mehr die Rede; im Gegenteil, Bush wird jetzt vorgehalten, den „Weg“ nicht bis zum Ende, sprich, nach Bagdad gegangen zu sein. Es ist Bushs Stuhl, der wackelt, nicht der Saddams. Sollte es also zu neuerlichen Konflikten, beispielsweise um die Inspektoren, kommen, wird nicht ein Ministerium bombardiert werden, sondern Ziel wird der rekonstruierte Militär- und Sicherheitsapparat und damit die Machtbasis selbst des irakischen Diktators sein. Das läßt sich angesichts der wiederholten Verstöße des Irak gegen die Waffenstillstandsresolution auch gut verkaufen, unter dem Motto: Saddam ist uns lange genug auf der Nase herumgetanzt. Die vermutlich lancierte Veröffentlichung in der New York Times über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff gegen den Irak hat Bush zudem bereits die Möglichkeit gegeben, jedweden Zusammenhang mit dem Wahlkampf zu dementieren. Künftig wird also von neuen Untaten Saddams die Rede sein und nicht vom Kampf um die Stimmen an der Heimatfront.

Ob es im Powerplay zwischen Bagdad und Washington zu einem neuen Krieg kommt, wird sicher auch vom Verhalten der irakischen Führung abhängen. Doch soviel ist klar: Die Einrichtung der Schutzzone zum jetzigen Zeitpunkt ist der erste Hebel, die Macht Saddam Husseins zu unterminieren. Es ist gleichzeitig ein Signal an die irakische Opposition, mit deren Vertretern der damalige US-Außenminister James Baker bezeichnenderweise Ende Juli erstmals offiziell zusammenkam. Ob dem weitere, auch militärische, Schritte folgen werden, wird sich nicht zuletzt an der Popularitätskurve des US-Präsidenten ablesen lassen, der auf dem Felde der Innenpolitik keinen Stich machen kann. Wahlkampf mit allen Mitteln eben, wenn's drauf ankommt. So einfach ist das. Beate Seel

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