KOMMENTAR ACTA: Nach dem Kampf ist vor dem Kampf
Ein Urheberrecht, das der digitalen Informationsgesellschaft dient, muss den technischen Wandel akzeptieren. Und nicht Menschen permanent drangsalieren.
D er Protest der europäischen Zivilgesellschaft gegen das internationale Antipiraterieabkommen ACTA stimmt hoffnungsvoll. Die Großdemonstrationen vom Wochenende sind ein starkes Signal einer noch immer politisch unterschätzten, überwiegend jungen Internetgeneration, die sich entschlossen und massenhaft gegen den Ausverkauf der Bewegungsfreiheit im Internet wehrt. ACTA ist ja nicht irgendein Handelsabkommen.
Der Vertrag soll die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen, Bürgerrechte einzuschränken, um einer überkommenen monopolistischen Rechteindustrie auf lange Sicht Profite zu sichern. Mit der europaweiten Solidarität im Rücken könnte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nun ernsthaft versuchen, ACTA zu stoppen.
Das Scheitern von ACTA wäre allerdings nur ein Etappensieg. Die Kritiker sollten sich daher nicht zu früh freuen. Längst laufen auf internationaler Ebene neue Geheimverhandlungen für ACTA-Nachfolger: "Trans-Pacific-Partnership" (TPP) heißt einer der bösen ACTA-Zwillinge, den die USA derzeit mit neun pazifischen Staaten vorbereiten.
ist Autor der taz.
Ein geleakter TPP-Entwurf liest sich wie ein "Wünsch dir was" der Rechteindustrie. Er geht noch über die Grausamkeiten gegen Internetnutzer und Provider hinaus, die bei ACTA geplant, aber letztlich nicht durchsetzbar waren. TPP könnte so zur Blaupause für ein globales "ACTA plus" werden.
Den Geist zurück in die Flasche zwängen
Ob ACTA, TPP oder der in den USA kürzlich gescheiterte "Stop Online Piracy Act" (SOPA): All diese Initiativen sind letztlich Teil eines seit 20 Jahren anhaltenden Ringens von Pharma-, Industrie- und Medienkonzernen darum, den digitalen Geist des Computerzeitalters durch repressive Maßnahmen zurück in die Flasche zu zwängen.
Ein zukunftsfähiges Urheberrecht, das der digitalen Informationsgesellschaft dient, muss endlich den technischen Wandel akzeptieren. Anstatt Menschen permanent zu drangsalieren, wird dieses neue Urheberrecht den freien Informationsfluss aller Medien fördern.
Es wird nicht mehr dubiose "Rechteinhaber", sondern nur noch die tatsächlichen Schöpfer der Werke durch globale pauschale Abgaben entlohnen. Mit jedem Tag, den sich die BürgerInnen gegen ACTA und seine Nachfolger wehren, nähern wir uns diesem Zeitalter der befreiten Information.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“