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KMK-Präsident über Abschlussprüfungen"Jeder wünscht sich das Abitur"

Ties Rabe, neuer Präsident der Kultusministerkonferenz, über die Pläne für einheitliche Standards fürs Abi, anspruchsvolle Aufgaben und Grundvertrauen ins Schulsystem.

Verzweifeln sollen Schüler an den neuen Abiturstandards nicht, sagt Ties Rabe. Schwerer soll es nicht werden. Bild: willma... / photocase.com
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Herr Rabe, Sie werden am Montag neuer Chef der als zerstritten bekannten Kultusministerkonferenz. Was wollen Sie dort bewegen?

Ties Rabe: Seit der Pisa-Studie sind alle Kultusminister darin einig, dass wir enger zusammenarbeiten müssen und eine neue Kultur brauchen. Zentrales Thema sind die gemeinsamen Bildungsstandards, mit denen wir präzise beschreiben, was ein Schüler lernen und können soll. Beim Haupt- und Realschulabschluss sind wir da schon recht weit. Jetzt steht das Abitur an.

Planen Sie ein Zentralabitur?

Nein, das ist praktisch kaum möglich. Dafür müssten wir die Ferien bundesweit zusammenlegen. Denn ein Zentralabitur kann man nur an einem Tag schreiben, sonst werden die Aufgaben sofort verraten.

Was planen Sie dann?

Wir werden für Deutsch, Mathematik und Sprachen Standards festlegen und Musteraufgaben entwickeln, die einen klaren Rahmen für das Abitur vorgeben. Vielleicht gibt es sogar einen zentralen Aufgabenpool mit bundesweiten Abituraufgaben, aus dem sich die Länder nach und nach bedienen können.

Bild: dapd
Im Interview: TIES RABE

ist seit März 2011 Schulsenator in Hamburg. Der 51-jährige (SPD) ist gelernter Gymnasiallehrer für Deutsch, Religion und Geschichte. Den Vorsitz der Kultusminister-Konferenz hat er für ein Jahr.

Wie schwer soll ein Abitur sein? Ökonomen sagen, dass ein leichterer Abschluss wie in England oder Frankreich, der von vielen erreicht wird, volkswirtschaftlich sinnvoll sei.

Das ist eine schwierige Frage, zu der es bundesweit zurzeit keine klare Meinung gibt. Viele Menschen wünschen sich ein anspruchsvolles Abitur - aber zugleich wünscht sich fast jeder für sich selbst oder für seine Kinder das Abitur. Sicher kann man sagen, dass die Zahl der Abiturienten derzeit nicht ausreicht, wenn Deutschland auf dem Weltmarkt weiter Spitze sein will.

Also ist es ganz gut, dass manche Länder leichtere Anforderungen haben. Wozu diese Standards?

Damit Eltern und Schüler ein Grundvertrauen in das deutsche Schulsystem haben können und es gerecht und klar zugeht. Egal ob jemand in Sachsen oder Schleswig-Holstein oder Hamburg oder Hessen zur Schule geht - die Leistungsanforderungen müssen gleich sein.

Und wenn infolgedessen die Abi-Quote sinkt?

Das müssen und werden wir verhindern. Die Entwicklung gibt uns Recht: Bundesweit steigt in allen Ländern die Abiturquote. Hamburg liegt jetzt erstmals bei 50 Prozent.

Bis wann soll was passieren?

Wir werden 2013 die Standards für das Abitur abstimmen. Kurz darauf werden die ersten Abiturienten auf dieser Grundlage Abitur machen.

Ein vermintes Gebiet ist die Inklusion behinderter Kinder. Die neuen Empfehlungen der KMK stehen in der Kritik: Sie seien zu unverbindlich, weil separate Sonderschulen weiter erlaubt sind. Darf hier jedes Land machen, was es will?

Die Empfehlungen sind nicht völlig unverbindlich. Es gibt schon einen roten Faden. Im Rahmen dieser Empfehlungen darf jedes Land seinen Weg finden.

Aber es kann passieren, dass ein Kind in Hamburg auf die Regelschule geht und nach einem Umzug nach Bayern auf die Sonderschule muss.

Das ist zurzeit denkbar. Aber wir müssen uns bewusst machen, dass die Förderstrukturen in allen 16 Ländern sehr unterschiedlich waren und noch sind. Allein die Frage "Was ist ein Sonderschüler?" wird sehr unterschiedlich beantwortet.

Hamburg räumt seit 2010 jedem Kind das Recht auf Besuch einer Regelschule ein - ohne Einschränkung. Klappt das?

Wir haben das sehr plötzlich eingeführt. Das war am Anfang nicht genügend unterfüttert. Es gibt deshalb eine Menge Gegenwind. Inzwischen sind die Bedingungen allerdings besser geworden, besser als in allen anderen Ländern.

Könnte es diesen Rechtsanspruch bundesweit geben?

Wenn wir in 20 Jahren das Schulsystem in Deutschland betrachten, wird sich das überwiegend durchgesetzt haben. Aber das Tempo sollte man einzelnen Ländern nicht vorschreiben. Das lehren uns auch die Hamburger Erfahrungen.

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12 Kommentare

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  • G
    Geissen_Petra

    Ich weiss nicht- will wirklich jeder Abitur?

     

    Ich wollte es nicht, ich wollte eine Lehre machen und Geld verdienen. Im Gegensatz zu manchen Sozialpädagogen oder Philosoph war ich seit 22 Jahren, die ich im Berufsleben stehe, auch nicht arbeitslos.

  • O
    orangata

    Im Speckgürtel von Berlin haben wir Übergangsquoten von 70% zum Gymnasium.

    Dies ist jetzt für der Abiturienten nicht unbedingt förderlich, wenn auch der letzte Schüler, der vielleicht ein guter Handwerker geworden wäre, unbedingt zum Abitur geprügelt werden muss.

  • F
    flujo

    "Sicher kann man sagen, dass die Zahl der Abiturienten derzeit nicht ausreicht, wenn Deutschland auf dem Weltmarkt weiter Spitze sein will."

    Achso, es geht bei der Bildung, die Kinder und Jugendliche zu verantwortlichen, kritischen und selbstständig denkenden Individuen machen will - so zumindest das selbsterklärte Ziel - darum, im ´Weltmarkt´ konkurenzfähig zu sein? Bildung als Konkurenzfaktor auf dem ´Weltmarkt´der verrantwortlichen, kritischen und selbstständig denkenden Individuen? Wer die Absurdität diese Statements erkennt, begreift sogleich die Denke, die diese(n) Menschen und seine KULTUS- Ministerkonferenz umtreibt, Stichwort homo oeconomicus.

    Buona notte, Aufklärung

  • GF
    G. Fiege

    Ich kann als neulicher Abiturient "einheitliche[re] Standards" ganz und gar nicht gutheißen. Zentralabitur, die Aufgabe von sinnvoller Vertiefung zugungsten eines Einerlei aus Nicht-Mathematik, Nicht-Physik, Nicht-Geschichte jeweils auf jedermann zugeschnitten und den noch-so-guten Lehrern noch einmal gestutzte "Lehrpläne" - vor allem in der gymnasialen Oberstufe: Schulen werden dem Anspruch Einsichten zu vermitteln nicht mehr gerecht werden können.

  • M
    Martin

    Abitur für alle!

    Was das dann noch wert ist? Egal!

    Das Studium wird ja niveautechnisch auch bereits seit geraumer Zeit angepasst. In Zukunft dann Studiengänge wie "Videorekorderprogrammieren" oder ähnliches.

     

    Was da für Gestalten in der KMK über die Zukunft unserer Gesellschaft entscheiden, unfassbar.

  • DH
    Der Heinz

    Da geht mir doch schon wieder das Messer in der Tasche auf.

    "Dafür müssten wir die Ferien bundesweit zusammenlegen. Denn ein Zentralabitur kann man nur an einem Tag schreiben, sonst werden die Aufgaben sofort verraten."

    - Wo liegt das Problem??

    Wenn ich höre, dass in manchen Bundesländern z.b. in Geschichte der Zeitraum zwischen 1933-1945 komplett ausgeblendet wird, während er in anderen Ländern intensiv behandelt wird und dann beiderlei Abiturienten eventuell ein Geschichts-Studium, am besten noch auf Lehramt, aufnehmen wollen, dann ist ein Zentralabitur obsolet!

    Das gleiche gilt für den Lehrplan in Mathematik.

    Es ist ungerecht, dass sich die Schüler in manchen Bundesländern ihr Abitur bequem schönbasteln können, während andere dafür wirkliche Leistungen erbringen müssen und sie kaum Möglichkeiten zur Abwahl von ungeliebten Fächern haben. (Ich weiß wovon ich rede, denn ich habe auf dem Zweiten Bildungsweg mein Abitur in Sachsen erreicht.)

    Da kommen sie dann an unsere Unis, die bequemlichen 1.x-Durchschnittler und rasseln konsequent durch's Studium, weil sie den Anforderungen nicht gerecht werden und besetzen Studienplätze derer, die eine reelle Chance und den Willen haben, das gewählte Fach zu bestehen.

     

    Diese Kleinstaaterei muss ein Ende haben, schon aus Gründen der Gleichbehandlung und der Gerechtigkeit.

    Mich wundert sowieso, dass dieses Abitursystem überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

  • P
    Pisa

    50% Abiturquote, Billigabitur "ökonomisch" sinnvoll, dazu 08/15-Akademiker für Jobs, die früher gleichwertig von Realschülern mit Ausbildung absolviert wurden. Schöne neue Welt..

  • J
    janela

    Leidtragende eines Billig-Abiturs werden Begabte aus bildungsfernen Familien sein. Denn wenn fast jeder das Abitur hat, setzen Ausbildungsstätten zusätzliche Filter ein, um geeignete Kandidaten auszuwählen. Ein 1,x-Abitur ist nur noch eines von vielen, die Nase vorn haben Bewerber, die ein 1,x-Abitur +Auslandsjahr +Musikinstrument +soziales Engagement +den richtigen Habitus und die Fähigkeit zur Selbstdarstellung mitbringen. Wer sich in einem bildungsfernen Milieu das Abitur hart erkämpfen musste, sieht demgegenüber alt aus.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Einheitliches Zentralabitur für alle

    Buindesweit sollte es ein einheitliches Zentralabitur geben,beziehungsweise eingeführt werden.

    Bildung sollte für alle gelten.

    Bildung,ist das Kapital der Nation und dem entsprechend sollte es auf diesem Berreich keine Sparrunden geben.

    Die wikhekmische Zeit sollte der Vergangenheit angehören,was das Durchlaufen der gymnasialen Schiulzeit betrifft.Finanzielle Mittel was das Durchlaufen auf dem Gymnasium betrifft,sollten kein Hindernis sein,diese schulart zu besuchen.Nicht für die Schule lernen wir,sondern für das Leben,praxis-und lebensorientiert,dies sollte auch auf dem gymnasialen Zweig einen hohen Rang haben.

  • S
    systemix

    Typisch für die Sichtweise in der KMK. Diese Nichtfachleute schwadronieren über das hohe Niveau der Abschlussprüfungen. Nun mag ja für ein schlichtes Gemüt, welches sich in Parteien hochgearbeitet hat, die Reifeprüfung in Deutschland sehr anspruchsvoll sein, aber es ist dann eher der Vergleich zwischen unterdurchschnittlicher Bildung und Durchschnittsbildung. Tatsache ist: die jetzt geltenden Anforderungen in der Reifeprüfung reichen zum erfolgreichen Beginn eines naturwissenschaftlichen oder eines ingenieurwissenschaftlichen Studiums nicht aus. Man befrage im Gegenzug einmal die Fachdidaktiker an den Hochschulen über das Wissen der Erstsemester. Die derzeitigen Abschlussprüfungen befähigen eben nur zu solchen Berufen wie: Juristerei (die prudentia ging schon lange verloren), BWL (mit ständiger Nachhilfe in Mathematik) oder "irgendwas mit Medien". Abitur bedeutet an der Schule Bulimielernen und fördert diese Juristen- und BWLschwemme. Das schlägt sich dann in steigender Anzahl von Abmahnanwälten oder Discountertyrannen mit Bätschelerabschluss nieder.

     

    Die Vorreiterrolle Deutschlands besteht doch nur aus der Tatsache einem toten Pferd eine neue Außenhaut zu geben und es als deutsches Spitzenprodukt zu verkaufen. Denn nicht nur die Deindustrialisierung hat den Bedarf an Akademikern mehr als dezimiert, sondern auch die Kostensenkungsorgie von Betriebs- und Volkswirten hat Entwicklungsabteilungen atomisieren lassen, eine komplette Generation im mittleren Alter wurde in den Vorruhestand geschickt.

     

    Nirgendwo wird mehr gelogen, als in der Bildungspolitik. Durch die erfolgreiche Volksverdummung scheint das aber kaum jemand mehr zu bemerken.

  • TS
    Thomas Sch.

    Das deutsche Schulsystem ist unreformierbar. Zu Viele schrauben an zu vielen Orten an viel zu vielen Schrauben. Und unser typisch deutscher Wille zur maximalen Einzelfallgerechtigkeit steht dem auch noch entgegen. D.h., egal, was verändert werden soll, es gibt sofort jemanden, der klipp und klar beweisen kann, daß gerade das überhaupt nicht geht. Und so mäandert das deutsche Schulsystem mit der Geschwindikeit wandernder Wüstendünen so vor sich hin. In einigen hundert Jahren, wenn die Einheitsschule und das Allgemeinabitur als normaler Schulabschluß über das Land gekommen sein werden wird, dann wird es möglicherweise einen Professor geben, der auf die kommen wird, ob es nicht eine fabelhafte Idee wäre, unterschiedliche Schulen für die unterschiedlich begabten Schüler zu schaffen und ob so das nicht alles viel gerechter wäre: So mit einer Sonderschule für die Lernschwächeren, einer Hauptschule für die durchschnittlich begabten und/oder die einfacheren Berufe, einer Mittelschule für die, die weitergehende Interessen haben, einem Gymnasium für die stark Begabten und solche, die sich auch längerfristig der Bildung hingeben wollen und zuguterletzt vielleicht sogar Bildungsstätten für Überflieger und Hochbegabte. Bin gespannt, was man diesem Professor dereinst antworten wird.

  • D
    drubi

    Es ist sehr trübe zuzusehen, wie unser Förderalismus im Wesentlichen dazu missbraucht wird, einem wenig leistungsorientierten Beamten- und Politikerapparat möglichst viele Futtertröge bereitzustellen. Es ist mal wieder recht auffällig, dass von den Lehrern, den Kultusbehörden und der Wirtschaft die Rede als entscheidende ist. War da nicht noch was ? Wem soll den das Bildungssystem zuvorderst zugute kommen ? Wofür zahlen wir eigentlich Steuern ?

    Ich kann's nicht mehr hören: seit 30 Jahren immer die gleiche Leier: Reformen, Reformen, Reformen, ... und jedesmal wird das System noch dysfunktionaler, zumindest für jene, die es am unmittelbarsten betrifft: Schüler und Eltern.

     

    Zwanzig Jahre um etwas in Ordnung zu bringen, das es eigentlich gar nicht geben dürfte ! Wenn Arbeitnehmer z.B. Ingenieure in der Industrie solche Innovations- und Produktentwicklungszyklen hätten, wären wir längst auf dem wirtschaftlichen Niveau von z.B. Griechenland.