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Justizskandal in AfghanistanUrteil ohne Anhörung

Ein afghanischer Journalist muss 20 Jahre ins Gefängnis, weil er angeblich blasphemische Artikel verteilt hat. Die ihn belastenden Aussagen waren erpresst.

In Ketten und ohne Chance: Der afghanische Journalist Sajed Perwis Kambachsch. Bild: dpa

Nur durch Zufall hat der Anwalt des zu 20 Jahren Haft verurteilten Journalistikstudenten Sajed Perwis Kambachsch kürzlich erfahren, dass das Oberste Gericht in Kabul das Strafmaß bereits am 11. Februar bestätigt hat. Mohammed Afasl Nuristani wollte gerade die Verteidigungsschrift einreichen, als das Gericht mitteilte, diese sei nicht mehr nötig. Weder er noch Kambachsch waren vor dem heimlich bestätigten Urteil angehört oder geladen worden.

Der Journalistikstudent aus Masar-i-Scharif, der für die Zeitschrift Jahan-i-Naw (Neue Welt) arbeitete, soll einen angeblich blasphemischen Artikel über Frauen im Islam an Kommilitonen verteilt haben. Dafür wurde er am 26. Oktober 2007 verhaftet und am 22. Januar 2008 in einem Schnellverfahren ohne Rechtsbeistand zum Tode verurteilt.

Das Urteil löste international Entsetzen aus. Doch galt die Überweisung des Verfahrens an ein Berufungsgericht in der Hauptstadt Kabul zunächst als ermutigendes Zeichen. Dort gelten die juristischen Standards als höher. Zwar wandelte das Berufungsgericht am 21. Oktober 2008 die Todes- in eine Haftstrafe um, doch berücksichtigten auch die Kabuler Richter nicht, dass ein Kommilitone seine belastende Aussage zurückzog, weil sie ihm von den Sicherheitskräften abgepresst worden war. Der inzwischen 24-jährige Kambachsch hatte Ähnliches von sich selbst berichtet sowie von Fälschungen seiner Unterschrift.

Kambachsch hatte nach eigenen Worten einen Text von einer iranischen Website aus dem Internet heruntergeladen und damit vom in der afghanischen Verfassung garantierten Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht. Sein Bruder Sajed Jakub Ibrahimi, der als Journalist schon Warlords Korruptionsvorwürfe machte, vermutete im März 2008 im Gespräch mit der taz, dass er mit dem Verfahren gegen seinen Bruder eingeschüchtert werden solle. Ibrahimi, der wie sein Bruder von der Hamburger Stiftung für politische Verfolgte unterstützt wird, lebt inzwischen im Untergrund.

Menschenrechtler reagierten empört auf das geheim gehaltene Urteil. Sie sind enttäuscht, dass Präsident Hamid Karsai nicht seinen Einfluss für ein faires Verfahren nutzte. Sie vermuten, dass er im Wahlkampf Konfrontationen mit Konservativen aus dem Weg geht.

Reagiert hat Karsai immerhin auf den jüngsten Zwischenfall im Land: Er verurteilte den Mord an dem jungen Journalisten Jawed Ahmad, der am Dienstag in Kandahar erschossen wurde.

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1 Kommentar

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  • M
    Marti

    Mindestens so skandalös wie das ganze Verfahren um Kambachsch, ist die Tatsache, dass nach klssischem islamischen Recht auf eine Vielzahl von "Verbrechen gegen den Islam" die Todesstrafe steht.

     

    Das geht soweit, dass jeder, der etwas für erlaubt erklärt, was nach klassischem islamischen Recht eindeutig verboten ist und jeder, der etas für verboten erklärt, was nach klassischem islamischen Recht eindeutig erlaubt ist, als Murtadd (vom Islam abgefaller) gilt, und damit bekanntlich sein Leben verwirkt hat.

     

    Dass das natürlich fast immer und überall nicht so heiß gegessen wie gekocht wurde, macht die ganze Sache auch nicht wirklich besser, denn es öffnet, wie man am Verfahren Kambachsch sieht, der Willkur Tür und Tor.

     

    Leider ist eine offenen Diskussion um die Abgründe der Scharia immer weniger möglich, da jeder, der dies thematisiert, sofort das Etikett "islamophob", "rassistisch", "rechts" etc. aufgedrückt bekommt.