Justiz in der Türkei: Kommt Deniz Yücel frei?
Der türkische Premier Yildirim deutet an, dass sich im Fall des deutsch-türkischen Journalisten etwas bewegen könnte. Heute trifft er Kanzlerin Merkel.
Der deutsche Noch-Außenminister Siegmar Gabriel bestätigte, dass es bei den Gesprächen hinter den Kulissen in den letzten „Tagen und Wochen“ Bewegung gegeben habe. „Ich bin relativ optimistisch, dass wir jetzt bald zu einem Gerichtsverfahren kommen werden“, sagte er vor zwei Tagen bei einem Auftritt in Belgrad.
Deniz Yücel saß am Mittwoch dieser Woche genau ein Jahr in Untersuchungshaft. Bislang gibt es noch keine offizielle Anklage gegen ihn und auch von einem bevorstehenden Gerichtstermin ist offiziell noch nichts bekannt.
Da der eigentliche Machthaber in der Türkei, Präsident Recep Tayyip Erdogan, schon vor Monaten gesagt hatte, es werde keine Freilassung von Deniz Yücel geben, solange kein türkisches Gericht über den Fall geurteilt habe, scheint es nun tatsächlich auf einen baldigen Prozess zuzulaufen.
Last loswerden
Für die türkische Regierung ist die Haft von Deniz Yücel zu einer Last geworden, die man nun gerne loswerden will. Niemand in der Türkei hatte damit gerechnet, dass es in Deutschland eine so große Solidarität mit Deniz geben würde, dass auch die Bundesregierung darauf reagieren musste.
Merkel sorgte in Brüssel dafür, dass im Moment weder über eine Ausweitung der Zollunion gesprochen wird, noch über den seit langem diskutierten Wegfall der Visapflicht für türkische Staatsbürger in der EU. Beides würde Ankara gerne durchsetzen, doch dafür – das hat man nun auch in der türkischen Regierung verstanden – muss Deniz Yücel zuerst freigelassen werden.
Kommt es zum Prozess, spricht allerdings wenig dafür, dass Deniz freigesprochen wird. In ähnlichen Fällen, in denen türkische Journalisten wegen „Terrorpropaganda“ angeklagt sind, fordert die Staatsanwaltschaft in der Regel Haftstrafen von mehr als zehn Jahren.
Deniz ist frei
Allerdings könnte das Gericht in einem ersten Schritt die Aufhebung der Untersuchungshaft anordnen. Auch dann gibt es allerdings zwei Varianten. Mesale Tolu, die andere deutsche Journalistin, die wegen Terrorpropaganda angeklagt ist, wurde im Dezember zwar aus der U-Haft entlassen, darf allerdings nicht ausreisen. Sie muss sich jede Woche bei der Polizei melden und zum nächsten Verhandlungstermin wieder persönlich erscheinen.
Ausreise aus der Türkei
Anders der Menschenrechtler Peter Steudtner. Er wurde nach mehreren Monaten Haft zum Auftakt seines Prozesses nach dem ersten Verhandlungstag aus der U-Haft entlassen und durfte aus der Türkei ausreisen. Der Prozess gegen ihn geht zwar weiter, er kann ihn sich aber von Deutschland aus anschauen.
Bis vor wenigen Wochen hatten die Anwälte von Deniz Yücel noch die Hoffnung, ihr Mandant könne mit Hilfe einer Verfassungsbeschwerde aus der U-Haft entlassen werden. In einer ersten Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts seit dem Putschversuch 2016, bei der zwei türkische Journalisten geklagt hatten, gab das Gericht schon vor einigen Wochen der Beschwerde zwar zunächst statt, doch das für die Haft zuständige Gericht weigerte sich, die beiden zu entlassen.
Das Verfassungsgerichtsurteil wurde ignoriert, weshalb dieser Weg auch für Deniz Yücel nicht mehr sehr erfolgversprechend ist. Dasselbe gilt für eine Haftbeschwerde von Yücel, die bei dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg anhängig ist.
Selbst wenn Straßburg zu Gunsten von Deniz entscheidet, wäre es fraglich, ob diese Entscheidung von den türkischen Behörden umgesetzt werden würde.
Bleibt also nur der versprochene „faire Gerichtsprozess“ in der Türkei. Sollte die türkische Regierung den „Fall Deniz Yücel“ tatsächlich aus der Welt schaffen wollen, müsste das Gericht zum Auftakt des Prozesses Deniz ohne Auflagen aus der U-Haft entlassen, so dass er nach Deutschland ausreisen kann. Ob er dann später verurteilt wird, kann ihm egal sein, solange er nicht mehr in die Türkei reist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt