Justiz in Tunesien: Vergewaltigungsopfer als Täterin
Eine Tunesierin wurde von Polizisten erst vergewaltigt, dann angeklagt. Die Justiz könnte die Ermittlungen gegen das Opfer bald einstellen.
„In meinem Land vergewaltigt mich die Polizei und die Justiz klagt mich an“, steht auf einem Plakat, das eine junge Frau hochhält. „Wir sind empört wie das Opfer zum Täter gemacht wird“, sagt eine Demonstrantin. Eine Andere: „Wir sind zutiefst enttäuscht und traurig. Die alten Geister der Unterdrückung sind wieder da.“
Mit hunderten anderer Frauen, Männern, Alten und Jungen demonstrieren sie vor dem Justizpalast in Tunis. Nach Ende des zweistündigen Ermittlungsverfahrens am Dienstag äußerte sich einer der Rechtsanwälte der 27 jährigen beschuldigten Frau, Mohammed Ben Meftah, optimistisch: Er hält die Einstellung des Verfahrens für möglich. Auch die zweite Anwältin der Frau, Emna Zahrouni, hält es für wahrscheinlich, „dass die Anklage nicht aufrecht erhalten wird.“
Und eine weitere Anwältin, Monia Bousselmi, stellt fest: „Ich habe den Richter auf seine historische Verantwortung hingewiesen. Die Welt, die Medien und die Jugend Tunesiens erwartet seine Entscheidung, die von ausschlaggebender Bedeutung für den Aufbau eines Rechtsstaates ist.“ Die endgültige Entscheidung über eine Einstellung des Verfahrens soll in den nächsten Tagen fallen.
Erregung öffentlichen Ärgernisses
Mit nackten Brüsten haben Frauenrechtlerinnen der Gruppe Femen im Pariser Louvre gegen den Umgang mit einer mutmaßlich vergewaltigten Frau in Tunesien protestiert. Vor der Venus von Milo skandierten die Aktivistinnen am Mittwoch Parolen wie „Zur Frau sein verdammt“ oder „Vergewaltigung ist ein Verbrechen“.
Die aus der Ukraine stammende Gruppe Femen hatte im September ein Zentrum in Paris eröffnet. Sie demonstriert häufig mit nackten Oberkörpern für Frauenrechte. Im Louvre riefen sie Frauen „im Namen der Venus“ zum weltweiten Protest auf. (dpa)
Die Verhandlung gegen die junge Studentin führte zu eine Welle der Empörung, Unterstützung und Solidarität. Anklagepunkt: Unsittliches Verhalten und Erregen öffentlichen Ärgernisses. Der Vorwurf: Die junge Frau habe im Auto eine „unmoralischen Position“ eingenommen. Drei Zivilpolizisten hatten die Studentin, die mit ihrem Verlobten am Abend des 3. Septembers im Auto saß, angesprochen und als „unsittlich“ beschimpft und bedroht. Sie verlangten von dem Paar Schweigegeld und vergewaltigen die Frau schließlich dreimal.
Doch die Studentin hatte den Mut sich zu wehren und zeigte ihrerseits die Polizisten wegen Vergewaltigung an. Dies wird in einem zweiten Prozess verhandelt. Die junge Frau sprach öffentlich im Fernsehen über das Verbrechen und den brutalen Ubergriff.
„ Ich bin der jungen Frau sehr dankbar. Es ist das erste Mal, dass eine Frau öffentlich über Vergewaltigung durch Sicherheitskräfte spricht. Und ich kenne durch meine Arbeit in einer Frauenorganisiton sehr viele solcher Fälle“, sagt die Vorsitzende der Frauenorganisation AFTURD, Radhia Belhaj Zekri. „Ich bewundere den Mut der Frau. Und dies zu einer Zeit, wo mit den Islamisten an der Macht die Rechte der Frauen bedroht sind,“ sagt der Filmemacher Ibrahim Letaief auf der Demonstration „Niemand von den regierenden Islamisten hat sich gegen dieses Verbrechen ausgesprochen“, beklagt der Blogger Hamadi Kaloutcha.
Sache der unabhängigen Justiz
Einzig die Frauenministerin Sihem Badi, Mitglied des sakularen CPR (Congrès pour la République), bezog zunächst Stellung. „Wenn wir diesen Akt der Gewalt nicht entsprechend verurteilen, dann brauchen wir eine zweite Revolution in den Köpfen“, sagte sie in einem Interview.
Der Sprecher des Innministeriums, Khaled Tarrouche, sagte lediglich, die Anklageerhebung gegen das Opfer sei Sache der unabhängigen Justiz, und Vergewaltigungen durch die Polizei seien „Einzeltaten“, die weder organisiert noch allgemein vorkämen. „Polizisten sind vor allem auch Bürger, und wenn sie Fehler machen, wird das Gesetz angewendet.“
Eine Unterschriftensammlung im Parlament, von weiblichen Oppositionsabgeordneten initiiert, wurde auch von zwei Frauen der islamischen Ennadha unterzeichnet. Doch alle politisch verantwortlichen Männer schwiegen lange. Erst heute hat sich der Premierminster von der islamischen Ennadha, Hamadi Jebali, bei seinem Besuch in Belgien von dem Verbrechen distanziert. „Es gibt keine Rechtfertigung für diesen barbarischen Akt.“ Aber er fügt trotzdem hinzu, dass möglicherweise auch ein Sittlichkeitsvergehen seitens der Frau vorläge.
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