Justiz in Rumänien: Korrupte Politiker schreiben sich frei
Wer im Gefängnis ein wissenschaftliches Werk verfasst, der bekommt 30 Tage Haft erlassen. Die Produktion der Häftlinge steigt rasant an.
Derzeit sitzt Voiculescu im Bukarester Hochsicherheitsgefängnis Rahova – und schreibt sich frei. Seit seinem Haftantritt verfasste er zehn wissenschaftliche Werke. Sie tragen Titel wie „Der vierte Weg“ oder „Menschheit – wohin?“. Ihr Inhalt? Halb Unsinn, halb Plagiat. Doch Voiculescu erhält dafür 300 Tage Hafterlass – 30 Tage für jedes Werk. Beim rasanten Tempo seiner Buchproduktion könnte er bald freikommen.
Voiculescu ist nicht der Einzige. In Rumänien schreiben sich viele korrupte Politiker und Unternehmer aus der Haft frei. Möglich macht es eine Gesetzesregelung aus dem Jahr 2013, einer Zeit, als die rumänische Justiz begann, immer konsequenter gegen Korruption vorzugehen. Dank der Regelung erhalten Häftlinge, die wissenschaftlich arbeiten, dreißig Tage Straferlass – pro publiziertem Werk.
Vorher galt die Regelung lediglich pauschal. Doch seit der Änderung von 2013 stieg die Zahl der Knastforscher sprunghaft an. Laut Angaben der Nationalen Gefängnisverwaltung (ANP) erschienen von 2013 bis 2015 411 wissenschaftliche Werke, verfasst von 188 Häftlingen.
Persönliche Ergüsse
Vieles hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Mal sind es persönliche Ergüsse wie das Werk „Freiheitsübungen“ des früheren Regierungschefs Adrian Năstase, verurteilt in einem Korruptionsverfahren im Juni 2012. Mal sind es Fotosammlungen plus Abschriften von Zeitungsartikeln wie das Buch „Steaua und Becali“ des Fußballklubbesitzers und Geschäftsmannes Gigi Becali, der wegen eines betrügerischen Immobiliengeschäfts hinter Gitter musste.
Eigentlich ist wissenschaftliches Arbeiten in rumänischen Gefängnissen mit hohen Hürden versehen. Ein akademischer „Koordinator“ muss den wissenschaftlichen Nutzen des Themas attestieren, ein staatlich akkreditierter Wissenschaftsverlag das Werk publizieren. Kein Problem für Häftlinge mit Vermögen und Beziehungen. Sie können auf die Hilfe von Verlagen zählen, die Gefängniswissenschaft als lukratives Geschäftsmodell entdeckt haben.
Für Autoren wie Becali liefern sie den Text gleich mit. Weil mit der Gesetzesregelung viel Missbrauch getrieben wird, ist die Empörung in Rumänien groß. Das Justizministerium will die Regelung abschaffen. Dem müsste das Parlament zustimmen. Doch das ist unwahrscheinlich. Vielen Abgeordneten droht selbst Gefängnis.
Auch Becali musste den Platz im Parlament 2013 mit einer Zelle tauschen. Doch er hat sich längst freigeschrieben. Als er gefragt wurde, ob er der Autor seiner „wissenschaftlichen“ Werke war, gab er zu, nur kopiert zu haben. Seine Interviewerin raunzte er an: „Wo liegt das Problem?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!