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Juristischer Kunstgriff hebelt Proteste aus

■ Umstrittener Magistratsbeschluß soll „im Lichte des geltenden Rechts“ wirken / Nur noch schwacher Protest vor dem Roten Rathaus / Ex-DDR-Generalstaatsanwalt Günter Wendland arbeitet beim Innenstadtrat / Kontroverse um Eingangskontrollen am Rathaustor

Berlin (Ost). Der umstrittene Magistratsbeschluß zur Überprüfung leitender Mitarbeiter im Roten Rathaus ist gestern während der Fragestunde des Ostberliner Stadtparlamentes verhandelt worden. Der Stadtrat für Inneres, Thomas Krüger (SPD), verteidigte erneut die Anweisung der Stadtregierung, den beruflichen Werdegang von 192 leitenden Mitarbeitern des Magistrats zu überprüfen. Zur Zeit würden die Stadträte persönliche Gespräche mit den Betroffenen führen. Ihm sei nicht bekannt, daß auch nur in einem Fall eine Kündigung ausgesprochen worden ist. Der taz wurde bekannt, daß nur in zehn Fällen eine Kündigung erwogen wird. Die Gespräche würden noch bis Ende Juni fortgesetzt, sagte Krüger. Auf die Frage, ob der Magistratsbeschluß mit der mittlerweile legendären Nummer 27/90 nun auf rechtsstaatlichem Wege durchgesetzt werde, antwortete er, daß er „im Lichte des jeweils geltenden Rechts“ realisiert werden soll.

Krüger bestätigte auf Anfrage des Abgeordneten Fischbeck (Bündnis 90), daß in seiner Behörde leitende Angestellte säßen, die früher „hohe Funktionsträger des alten Machtapparates“ gewesen seien. Sie seien im April und im Mai vom alten Magistrat eingestellt worden. Krüger wollte keine Namen nennen, bestätigte aber, daß es sich um frühere stellvertretende Bezirksbürgermeister und Sekretäre von SED -Kreisleitungen handele, die auch enge Kontakte zur Stasi hatten. Wie die taz erfuhr, arbeitet auch der frühere Generalstaatsanwalt der DDR, Günter Wendland, in Krügers Abteilung. Vom Magistratsbeschluß ist der oberste Ankläger des alten Regimes aber nicht betroffen, da er nicht mehr in leitender Stellung tätig ist. Wendland verdient zur Zeit etwa 1.800 Mark.

Die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung wurde über Lautsprecher vor der Eingangstür des Rathauses übertragen. Dort verfolgten rund 200 GegnerInnen des Magistratsbeschlusses, darunter viele Mitglieder der PDS, und zeitweilig einige hundert Passanten den Schlagabtausch im Parlament. Durch die Präzisierung des Beschlusses - ein juristischer Kunstgriff - wird der Magistratsbeschluß erheblich relativiert - was der Fraktion der PDS und den Demonstranten bisher offensichtlich noch nicht klargeworden ist. Denn die Formulierung „im Lichte des geltenden Rechts“ ist als Generalklausel zu verstehen und besagt, daß Kündigungen nur auf Grundlage des gültigen Arbeitsrechtes ausgesprochen werden können.

Trotz der Präzisierung des Beschlusses forderten gestern Vertreter von Gewerkschaften, darunter auch die ÖTV, vor den Toren des Rathauses erneut die vollständige Rücknahme des Beschlusses. Auf Transparenten der Demonstranten hieß es unter anderem „Glückwunsch zum Magistratsbeschluß - gez. Stalin“ oder „Gegen Aktion Besen in unseren Bibliotheken“. Die Taschen von Besuchern der Stadtverordnetenversammlung wurden gestern von Pförtnern durchsucht. Bärbel Bohley (Bündnis 90) kritisierte die Eingangskontrollen und erklärte, daß sie ein gläsernes Rathaus wolle und nicht bereit sei, „dieses Theater mitzumachen“. Weil gestern noch keine Abgeordnetenausweise vorlagen, wurden auch die ParlamentarierInnen am Eingang durchsucht. Zumindest diese Praxis soll eingestellt werden, die Stadtverordnetenvorsteherin Bergmann entschuldigte sich dafür.

ccm

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