Jurist über „Agenten“-Gesetz: „Kopie aus dem russischen Gesetz“
Georgien ist wegen des „ausländische Agenten“-Gesetzes vorerst kein EU-Beitrittskandidat mehr. Rechtsexperte Baramidze sieht gefährliche Entwicklungen.
taz: Herr Baramidze, am 2. August tritt das Transparenzgesetz in Georgien vollständig in Kraft. Wie wird Ihre Arbeit als Programmleiter für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit bei der Organisation Transparency International Georgien dadurch eingeschränkt?
Sandro Baramidze: Jede NGO, die mehr als 20 Prozent ihres Jahresbudgets aus dem Ausland erhält, muss sich als Organisation registrieren lassen, die die Interessen einer ausländischen Macht verfolgt. Transparency International und 130 weitere georgische NGOs werden sich weigern, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen. Wir halten das für Stigmatisierung. Das Justizministerium wird diese Registrierung dann ohne unser Einverständnis vornehmen. Dafür und auch für die von uns verlangte Finanzierungserklärung, die wir nicht vorlegen werden, wird das Ministerium uns dann zwei Bußgeldbescheide ausstellen. Wir werden das Geld zwar auf unserem Konto zur Verfügung stellen müssen, hoffen aber, dass das georgische Volk bei der Parlamentswahl am 26. Oktober entscheiden wird, dass diese Regierung nicht länger an der Macht sein sollte.
war zwischen 2013 und 2018 stellvertretender Justizminister in Georgien und Anwalt von Bidzina Iwanischwili, dem Gründer und Vorsitzenden der Partei „Georgischer Traum“. Baramidze ist Rechtsexperte und heute Programmleiter für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit bei der Organisation Transparency International Georgien (TIG).
Werden das georgische Parlament und georgische Parteien von ausländischen Organisationen, Wohlfahrtsverbänden oder in Form anderer ausländischer Mittel finanziert?
Nein. Während NGOs, zivilgesellschaftliche Organisationen oder Medien Mittel aus dem Ausland erhalten können, ist dies politischen Parteien nicht gestattet. Aber wenn wir schon über Transparenz reden: Die Finanzierung der seit 2012 regierenden Partei Georgischer Traum allerdings war schon immer undurchsichtig. Über viele Jahre kam es vor, dass die Partei über 90 Prozent mehr Mittel aufbrachte als jede andere Partei. Dazu kommt, dass Spenden von Unternehmen in diesem Land eigentlich verboten sind. Es passiert aber trotzdem, und zwar in großem Stil.
Wie kann das sein?
Die Firmenspenden werden über Drittpersonen transferiert. Das ist Strategie und Teil des korrupten Systems.
Die Präsidentin Salome Surabischwili legte ein Veto gegen das Transparenzgesetz ein. Sie wurde aber von der Regierungspartei überstimmt. Was will der Georgische Traum mit diesem Gesetz bewirken?
Das Ziel von Georgischer Traum ist es, die NGOs und unabhängige Medien auszuschalten. Wahrscheinlich betrifft das nicht die sogenannten GONGOS, also die NGOs, die mit der Regierung verbunden sind. Das sind keine ausländischen Agenten, sondern Agenten des Georgischen Traums. Wenn diese Partei an der Macht bleibt, wenn jeden Monat weitere Geldstrafen anfallen, bis wir uns das irgendwann nicht mehr leisten können. Das bedeutet, dass wir entweder in Konkurs gehen, was schließlich zur Liquidation führt, oder wir beginnen den Liquidationsprozess ohne Konkurs aus eigener Kraft. Mit anderen Worten, wenn der Georgische Traum an der Macht bleibt, werden sie unsere Handlungsräume so stark einschränken, dass uns nichts anderes übrigbleibt, als unsere Organisation zu schließen.
Im Jahr 2023 hat der Georgische Traum einen fast identischen Gesetzentwurf vorgelegt. Damals wurde das Projekt nach Protesten zurückgezogen. Warum haben sie es jetzt umgesetzt?
Die Regierung erklärte am 3. April 2024, dass die meisten georgischen Bürger*innen von ausländischen Mächten desinformiert wurden. Der Georgische Traum erklärte, dass man das Gesetz verabschieden würde, egal wie groß der Protest dagegen sein sollte. Viele Georgier*innen, auch ich und viele meiner Kollegen*innen aus dem zivilen Sektor, glauben, dass das dieses Gesetz eine direkte Forderung Russlands war.
Stimmt es, dass die Menschen vom Ausland desinformiert wurden?
Nein, das ist Propaganda. Die Menschen wissen sehr wohl, was vor sich geht, deshalb protestieren sie ja auch.
Nun ist der Beitrittsprozess Georgiens von der EU wegen dieses Gesetzes auf Eis gelegt worden. War das das Ziel?
Die Regierung wusste genau, dass der EU-Beitrittsprozess ins Stocken geraten würde, sobald das Transparenzgesetz verabschiedet würde. Und genau das erleben wir in diesen Tagen. Der Europäische Rat fordert die georgischen Behörden auf, den derzeitigen Kurs umzukehren, der de facto zu einem Stillstand des Beitrittsprozesses geführt hat. Die Sabotage des europäischen Prozesses war also das Hauptziel dieses Gesetzes. Nach den Wahlen im kommenden Oktober könnten sich die Dinge jedoch schnell ändern. Wenn die proeuropäischen politischen Kräfte die Wahlen gewinnen, eine neue Regierung gebildet und die europäische Agenda Georgiens wieder vorangetrieben wird. Wenn dies der Fall ist, bin ich sicher, dass es bei den Beitrittsverhandlungen keinen weiteren Stillstand geben wird.
Kritiker*innen befürchten, dass mit ähnlichen Taktiken wie im Kreml gegen die Opposition, die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien vorgegangen wird. Wie schätzen Sie das ein?
Dieses Gesetz ist ein Copy-Paste-Gesetz aus dem russischen Gesetz von Putin.
Warum ahmt der Georgische Traum russische Gesetze nach?
Um an der Macht zu bleiben, kritische Medien auszuschalten, seine autokratischen Kräfte um sich herum zu konsolidieren und wahrscheinlich in erster Linie, um die Anweisungen Putins umzusetzen, dass Georgien zu Russland gehören muss, dass es in die Einflusssphäre Russlands zurückkehren muss, und dass es keine europäischen, euro-atlantischen Prozesse mehr geben soll.
Sie haben Bidzina Iwanischwili, den Gründer von Georgischer Traum, als Anwalt vertreten. Warum?
Ich war unter anderem stellvertretender Justizminister in der ersten Regierung, an der der Georgische Traum ab 2012 beteiligt war. Ihr Programm war damals gut, der Beitritt zu EU und Nato und die dafür notwendigen Reformen wurden angegangen. Aber später begann man diese Agenda zu ändern. Als mir das klar wurde, bin ich zurückgetreten. Iwanischwili und der Georgische Traum sind heute komplett antiwestlich, prorussisch, antidemokratisch und antiliberal und autokratisch. Ich weiß nicht, wie weit Iwanischwili geht, aber wenn er an der Macht bleibt, wird aus diesem Land eine Diktatur.
Welche Interessen stecken hinter seinem Handeln?
Iwanischwili ist ein russischer Oligarch. Als er kam, sagte er, dass er kein Vermögen mehr in Russland und kein Interesse an Russland habe. Er sagte, dass eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland nach dem August-Krieg 2008 notwendig sei, das schien ein pragmatischer Ansatz zu sein. Aber jetzt stellt sich die Frage, auf welcher Seite des neuen Eisernen Vorhangs, der sich aufbaut, Georgien stehen wird. Iwanischwili steht auf der russischen Seite.
Was hat zu dieser Richtungsänderung beigetragen?
Der Georgische Traum sabotiert mit seiner Rhetorik den euro-atlantischen Weg Georgiens, macht unsere guten Freunde zu Feinden und versucht, unseren größten Feind, Russland, als unseren Freund darzustellen. Wie Churchill einmal sagte: Wenn man einem Krokodil die Hand reicht und hofft, dass das Krokodil einen davor bewahrt, einen ganz aufzufressen, dann irrt man sich gewaltig. Wenn wir alle unsere Freunde, die EU, verlieren, wenn wir nicht mehr auf ihre diplomatische, finanzielle oder sonstige Unterstützung gegen Russland zählen können, wenn wir allein gegen diesen wilden russischen Bären kämpfen müssen, wie können wir dann überleben? Wer soll uns vor der nächsten russischen Invasion schützen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund