Junge Klimaaktivisten geben zu Protokoll: „Läuft auf Öko-Diktatur hinaus!“
Drei junge Menschen aus dem Klimacamp geben Auskunft über ihre Hoffnungen und Ängste, und darüber, dass die Zukunft alles andere als bequem wird.
Protokoll Eins: Hoffnung im Pessimismus
„Der Klimastreik am Freitag wird richtig groß, Greta kommt ja auch. Ich hoffe, das hilft auch was für die Wahl am Sonntag, denn die ist schon sehr entscheidend. Natürlich hoffe ich sehr, dass die Mehrheit für grüne oder soziale Parteien stimmt – also für solche, die sich fürs Klima engagieren. Aber es stimmt, dass die Politik insgesamt zu lahm agiert, was Klimapolitik angeht. Mein Freund ist in der Politik, und er sagt, man muss langsam an die Dinge herangehen, um die Bevölkerung schrittweise zu überzeugen. Sonst richtet sich am Ende die Bevölkerung gegen jene Parteien, die etwas fürs Klima tun wollen. Aber ich weiß nicht, was der gute Weg ist.
Darum mache ich mir ganz schön viel Sorgen, bin fast schon pessimistisch, was die Zukunft angeht. Es sieht nicht gut aus. Ich hoffe natürlich, dass sich etwas ändert, die Kohlekonzerne aufhören zu graben und die Leute sich umstellen in ihrer Ernährung und der Art und Weise, ihr Auto zu nutzen. Aber das wird sehr schwierig werden. Dennoch hoffe ich: Es ist ja unser Planet.“
Streiktag #AllefürsKlima Seit fast drei Jahren streiken SchülerInnen freitags fürs Klima, seither ist aus der Jugendbewegung eine breite Allianz geworden: Es gibt Architects-, Christians-, Filmmakers-, Health-, Lawyers-, Museums-, Omas-, Teachers-, Vegans- und mehr For-Future-Gruppen. Für Freitag rufen die Fridays und ein breites Bündnis zum achten Globalen Klimastreik: Greta Thunberg hat sich angesagt, 20.000 Teilnehmende sind angemeldet zur Großkundgebung auf der Reichstagswiese (12–16 Uhr). Diesmal geht es nicht nur um die die Pariser Klimaziele: „Wenn wir erneut die Straßen füllen, machen wir gemeinsam Klima zum zentralen Thema der Wahl – und stimmen am 26. September für konsequenten Klimaschutz“, heißt es im Aufruf.
Klimacamp Zur Einstimmung lohnt ein Besuch im Klimacamp am Kanzleramt. Am Donnerstag (17 Uhr) kommt Luisa Neubauer vorbei, am Freitag gibt es Party – und am Sonntag Public-Wahl-Viewing! (sum)
Josephine Helfricht, 22 Jahre, aus Berlin, studiert Illustration und ist derzeit aktiv bei Extinction Rebellion.
Protokoll Zwei: Angst vor der Dystopie
„Es heißt jetzt immer, das sei eine Klimawahl, aber ich denke, dass das häufig als Vermarktung der Wahl genutzt wird. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass die Wahl irgendwas ändern wird und eine andere Regierung mehr macht, um die Klimaziele zu erreichen. Das hoffe ich sehr stark, denn ich sehe einfach keinen anderen Weg. Wenn es nicht klappt, sind wir ziemlich aufgeflogen. Dann werde ich und die Generation nach mir irgendwann in einer Dystopie leben, wo ziemliches Chaos herrschen wird – beim Klima und auch in der Gesellschaft. Aber was können wir tun?
Manche finden schon jetzt, dass wir Jungen zu radikal sind. Klar gibt es welche, die radikal bereit sind, Grenzen zu überschreiten, um weitere Bewegungen zu erzwingen. Aber so sind nicht alle, jeder muss da seinen Weg finden. Bei manchen entsteht auch sehr viel Stress dadurch, dass sie individuell Kritik an sich selber üben, sie gehen zu sehr in die kleinen Dinge. Deswegen hoffe ich, dass die Politik jetzt etwas ändert, denn es reicht nicht, wenn jeder für sich etwas ändert. Solange noch Kohlekraftwerke laufen, macht es keinen Unterschied, wenn keiner mehr Fleisch isst.“
Joshua Nijenaof, 18, aus Kleve, ist seit dem Abitur im Frühjahr mit dem Rad auf „Klima-Europa-Reise“. Nach der Station beim Klimacamp will er in von RWE bedrohten Wäldern aktiv werden.
Protokoll Drei: Das wird sehr unbequem
„Ich hoffe, dass durch eine neue Regierung zumindest mal die Erkenntnis ankommt im Parlament, in was für einer prekären Lage wir uns befinden. Dass dann diese Krise auch als Krise wahrgenommen und nicht einfach abgetan wird. Weshalb man bisher ja auch nicht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen handelt und das Pariser Klimaabkommen zwar ratifiziert, aber nicht umsetzt. Man sagt ja, die nächste Regierung sei die letzte, die Deutschland noch auf den 1,5-Grad-Pfad des Pariser Klimaabkommens bringen kann. Ich bin da nicht sehr optimistisch. Natürlich kann sie die Ziele angehen, aber keines der Wahlprogramme der Parteien schlägt genug Maßnahmen vor, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.
Trotzdem erhoffe mir von der nächsten Regierung ein hohes Aktionspotenzial und mehr Präsenz für das Thema. Wenn das nicht passiert, müssen nicht nur die jungen Leute noch viel radikaler werden, wir brauchen eine kritische Masse, damit die Politik endlich reagiert. Ansonsten wird es in ein paar Jahren so unbequem werden, dass wir zu viel drastischeren Maßnahmen gezwungen werden, um unser Überleben und unsere Versorgung zu garantieren. So oder so läuft es auf eine Öko-Diktatur hinaus.
Anastasia von Kossak, 19, aus einem Dorf in Rheinland-Pfalz, reist ebenfalls seit dem Abitur im März durch Europa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?