Junge Geflüchtete in Griechenland: Berlin will 70 Menschen aufnehmen
Der Senat will 70 minderjährige Flüchtlinge direkt nach Berlin holen. Doch dafür braucht es die Erlaubnis des Bundesinnenministers.
Eigentlich klingt es ganz einfach: In Athen leben minderjährige Geflüchtete auf der Straße, während es in Berlin freie Plätze in Jugendhilfeeinrichtungen gibt. Der Winter steht bevor, und da die geflüchteten Jugendlichen meist gar nicht in Griechenland bleiben möchten, wäre eine Lösung, dass Berlin und andere Bundesländer sie direkt aufnehmen. Die Bereitschaft dafür ist da: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) bietet nach Rücksprache mit der Senatsverwaltung für Jugend an, 70 geflüchtete Kinder und Jugendliche aufzunehmen.
Auch von den Grünen kommt Unterstützung: Ihre migrationspolitische Sprecherin Bettina Jarasch will auf dem Parteitag am Samstag beantragen, dass 100 Jugendliche direkt aufgenommen werden. Zuvor hatte sich die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial einem entsprechenden Aufruf ihrer Thüringer Kollegin an die Landesinnenminister*innenkonferenz angeschlossen.
Nach Einschätzung von Hilfsorganisationen spitzt sich die Lage für die schätzungsweise 4.100 Minderjährigen, die ohne erwachsene Begleitpersonen in Griechenland leben, weiter zu. Denn im ganzen Land gebe es nur 1.000 altersgerechte Unterkünfte. „Zurzeit räumt die Polizei verschärft besetzte Häuser. Das bringt auch Kinder und Jugendliche in Schwierigkeiten, weil sie dort oft unterkommen konnten“, sagt Anne Brulez, die sich im Berliner Verein „Respekt für Griechenland“ engagiert und regelmäßig nach Griechenland fährt. „Diese Häuser sind natürlich keine angemessene Unterkunft, aber sie hatten dort wenigstens ein Dach über dem Kopf.“
Die Kinder und Jugendlichen würden nun oft abends vor der Tür ihres Netzwerkpartners „Network for Children“ stehen. „Sie haben Hunger und sie frieren. Wir packen und verteilen SOS-Pakete“, sagt Brulez. Ihr Verein ist auf der Suche nach Freiwilligen, die die Arbeit unterstützen. Doch vor Ort in Griechenland seien ihre Handlungsmöglichkeiten begrenzt. Bundesländer können Geflüchtete über besondere Aufnahmeprogramme aufnehmen, wie dies etwa bei den Jesid*innen schon geschehen ist. Dies ist bisher aber nur im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister erlaubt.
Bettina Jarasch, Grüne
Berlin hat daher eine Bundesratsinitiative initiiert, die durchsetzen möchte, dass der Bund solchen Landesaufnahmeprogrammen nicht mehr zustimmen muss. Doch die aktuelle Bereitschaftserklärung von Berlin, Thüringen und auch Niedersachsen liegt noch beim Bundesinnenministerium. Es will das Schreiben prüfen.
Dass Jugendliche aus Griechenland tatsächlich noch diesen Winter nach Berlin kommen, scheint daher nicht besonders wahrscheinlich. „Dass Berlin 70 Jugendliche aufnehmen möchte, ist ein sehr guter erster Schritt – auch wenn ich denke, wir könnten noch mehr leisten“, sagt die Grüne Bettina Jarasch. „Wir erwarten jetzt, dass der Bundesinnenminister das Angebot von Berlin und anderen Bundesländern aufgreift und möglich macht.“
Die Kommunen könnten die Politik der EU laut Jarasch nicht ersetzen. Aber es zeige sich gerade im Rahmen der Solidarity Cities, dass es auf dieser Ebene eine besondere Solidarität gäbe, anders als unter den Mitgliedstaaten der EU. „Ein Landesaufnahmeprogramm zu stricken wäre dann tatsächlich ein längerer Weg“, gibt die Grünen-Politikerin zu, aber die Kapazitäten seien da. Berlin habe inzwischen viele Strukturen aufgebaut, um minderjährige Geflüchtete aufzunehmen und zu begleiten: von Jugendwohnheimplätzen bis zu Netzwerken, in denen ehrenamtliche Vormünder organisiert seien. Denn, so Jarasch: „Hier wären die Jugendlichen in guten Händen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“