Julian Schnabel über den Film "Mirwa: "Es ist ihre Wahrheit, nicht meine"
Julian Schnabel hat die Geschichte seiner Lebensgefährtin verfilmt, der Palästinenserin Rula Jebreal. "Miral" nutzt die Mittel des Mainstreamkinos, um sich starkzumachen.
taz: Herr Schnabel, wie würden Sie den Konflikt im Nahen Osten einem Marsmännchen erklären?
Julian Schnabel: Da gäbe es natürlich sehr unterschiedliche Versionen. Eine würde vielleicht wie "Romeo und Julia" klingen. Zwei Völker, die zusammen in Frieden und Respekt leben wollen, es aber nicht können, weil ihre Tradition, ihr Glaube, ihre Geschichte, ihre Familien es nicht zulassen.
Diese Version ist vielen bestimmt viel zu einfach. Was aber an ihr stimmt, ist der Umstand, dass nicht nur die Israelis und die Palästinenser an dem Konflikt schuld sind, sondern komplizierte äußere Umstände. Egal, welche Fassung man wählt, kein Experte der Welt könnte eine Antwort in mundgerechten Häppchen für einen Ahnungslosen aufbereiten.
Julian Schnabel, geb 1951 in New York, Umzug der Familie nach Texas, als Schnabel 13 ist. In den Siebzigern hält er sich in New-York mit Fast-Food-Jobs über Wasser, wenige Jahre später ist er der berühmteste Vertreter des Neoexpressionismus. Ein Malerfürst und und Shootingstar, dessen Scherbenbilder astronomische Summen einbrigen.
Ist "Miral" nicht selbst so ein Versuch, mit massenwirksamen, emotionalen Mitteln eine so komplexe Angelegenheit wie die Geschichte der Israelis und Palästinenser in einer sehr vereinfachten Erzählung unterzubringen?
Bei "Miral" ging es mir vor allem um eines: der autobiografischen Stimme aus Rulas (Rula Jebreal, Journalistin und Schnabels Lebensgefährtin, bg) Buch Bilder zu geben, ihr im Film möglichst detailgenau und präzise zu folgen. Es ist ihre Wahrheit, nicht meine oder unsere. Und mit dieser Wahrheit wollte ich so akkurat und behutsam wie möglich umgehen. Das Verallgemeinern und Vereinfachen, um eine Geschichte zu erzählen, ist eine Sache. Die Freundlichkeit, die Geduld der Leute in Palästina, die mich in ihr Haus und in ihr Leben gelassen haben, ist eine andere. Eine, auf die ich gar nicht vorbereitet war, die mich zutiefst bewegt hat, die die Arbeit an "Miral" erst möglich gemacht und emotional sicher gefärbt hat.
Ist Ihre Verfilmung in erster Linie ein Geschenk an Ihre Freundin Rula Jebreal, die Verfasserin des Buches, oder wollten Sie Ihr Publikum vor allem über Palästina aufklären?
Ich wollte tatsächlich genau dies. Aufklären, Vorurteile und auch Ängste abbauen, zeigen, wie die Menschen dort leben. In "Miral" gibt es den Vater, der in die Moschee geht und trotzdem ein frei denkender Mann ist. Er ist ein friedliebender Mensch und alles andere als ein Fanatiker. Er gibt seine Tochter ins Dar-Al-Tifl-Institut, das 1948 von der Philanthropin Hind Husseini für palästinensische Waisenkinder in Ostjerusalem gegründet wurde.
Miral soll eine weltliche und umfassende Bildung bekommt. Er versteckt seine Tochter nicht unter einem Schleier und zwingt ihr nicht das Leben einer devoten Muslimin auf. Dann gibt es den PLO-Kämpfer, der sich in der Zeit der Intifada in das wunderschöne Mädchen verliebt und sich in dem Moment für sein eigenes Leben und gegen die Ideologie entscheidet. Seine eigenen Leute lassen diesen Individualismus nicht zu und bringen ihn um. In all diesen Figuren werden verschiedenste Optionen und Facetten dessen sichtbar, was alles zur Realität in Palästina gehört.
Die israelische Seite taucht entweder als gigantische Baggerschaufel auf, als unbelehrbare, wütende Siedlergruppe, als kaltherzige Militärs oder als Polizeistreife. So viele Facetten gibt es auf dieser Seite nicht.
Ich folge den Erinnerung eines palästinensischen Mädchens. Doch bei aller Werktreue gab es allerdings eine Entscheidung, die ich treffen musste. Ich musste mir die Frage stellen, bleibe ich ganz bei der Heldin Miral oder zeige ich den Kontext, also das, was ihr Leben und ihre Entscheidungen beeinflusst hat. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Deswegen kommt all das vor von der Gründung Israels 1948 über den Sechstagekrieg 1967 bis hin zum Osloer Abkommen von 1993.
Aber all die historische Zäsuren werden stets aus dem Blickwinkel machtloser palästinensischer Frauen erlebt …
… aus Rulas Blickwinkel! Sie ist nun mal die Heldin. Ich wollte von ihrem Schmerz und ihrer Traurigkeit erzählen. Das war der Anfang von allem, und ich wusste von Beginn an, dass das nicht einfach werden würde bei so einem schwierigen, emotionsbeladenen Thema. Aber dahin wollte ich das Publikum mitnehmen.
Und Sie wollten offenbar ein sehr großes Publikum dorthin mitnehmen und deswegen haben Sie sich von der Ästhetik bis zur Erzählweise für ein absolutes Mainstreamkino entschieden?
Ganz genau, ich wollte dieses Mal wirklich viele, viele Menschen in der Welt erreichen. Deswegen ist auch die Filmsprache Englisch.
Haben Sie sich aus demselben Grund auch für die Besetzung von Freida Pinto als Miral entschieden und damit für einen Hauch von Bollywood?
Nein, wenn Sie erst Rula sehen und dann Freida, dann wissen Sie einfach, dass es keine andere Besetzung geben kann. Sie sind wie Schwestern. Wissen Sie, was seltsam ist? Als ich Rula das erste Mal sah, hielt ich sie interessanterweise für eine Inderin.
Haben Sie sich nie erzählerisch oder künstlerisch eingeschränkt gefühlt bei der Verfilmung des Buches Ihrer Freundin?
Nein, nie. Im Gegenteil, Rula hat vor Ort alles möglich gemacht. Sie war oft erste Regieassistenz und Übersetzerin in einem. Sie spricht nicht nur Englisch, Italienisch und Französisch, sondern auch Hebräisch und Arabisch. Sie hat die Leute angeleitet. Sie hat die Drehorte möglich gemacht. Ohne sie hätten wir keinen Fuß in die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem bekommen. Rula ist vielen Menschen dort sehr verbunden, ihnen gegenüber hat "Miral" eine große Verantwortung und ist zu einem respektvollen Umgang mit der Geschichte Palästinas verpflichtet.
Sie selbst wuchsen in einer jüdischen Familie in Brooklyn auf. Wie wichtig war der jüdische Glaube für Sie?
Ich bin nicht religiös. Ich hatte zwar eine Bar-Mizwa, das war es dann auch schon. Aber meine Mutter war sehr engagiert in der jüdischen Gemeinde. Sie sammelte Gelder für Krankenhäuser und Kinderheime und Pflanzungen in Israel. Wenn es in Israel einen Anschlag gab, war das ein Anschlag auf uns. Wenn es dort friedlich zuging, war das auch gut für uns. Jerusalem war nicht auf einem anderen Planeten.
Ist "Miral" die Gelegenheit, einmal die Seite zu wechseln?
Ich habe einfach gelernt, dass Palästinenser Menschen sind, die wir nicht zu fürchten oder zu bekämpfen brauchen. Die Konflikte zwischen den Völker dort sollten ganz normale Nachbarschaftsstreitigkeiten sein und nicht mehr. Es gibt mehr Vernünftige als Wahnsinnige dort. Man muss die Fanatiker auf beiden Seiten loswerden!
Wenn Sie ein Thema intensiv beschäftigt, ab welchem Punkt wissen Sie, okay, das wird ein Bild, oder das wird ein Film?
Im Fall von "Miral" kann es, glaube ich, kein Gemälde geben, das so einen Konflikt ausdrücken oder beinhalten könnte. 1987 war ich einmal in der Wüste mit Israelis und Arabern und wollte Beduinenzelte malen. Mit viel Beige und viel Braun und viel Schatten. Es gelang mir aber nichts Rechtes. Später fand ich einen leeren hölzernen Rahmen. Das war bezeichnenderweise das Bild auf meiner Netzhaut, mit dem ich aus dieser Region zurückkehrte. In meinem Gehirn gibt es zwei völlig voneinander getrennte Sektionen. Eine für den Film und eine für die Malerei.
Wie koexistieren oder kooperieren die beiden Abteilungen?
Die eine will Geschichten erzählen, sich an ein großes Publikum wenden, die andere sucht die Abschirmung im Rätsel. Beim Malen bin ich niemandem verpflichtet, nur meiner eigenen inneren Vorstellung, meinem eigenen Impuls. Beim Filmen muss ich andere überzeugen, muss die Idee den Weg vom Hirn zum Drehbuch und über die Realität am Set ins Filmbild schaffen. Aber es gibt auch Momente, in denen der Maler Schnabel dem Filmregisseur Schnabel den Weg weist.
Was passiert dann?
Das ist wie ein kleiner Blitz, ein plötzliches Bild.
Welches Bild hatten Sie zuerst vor Augen, als Sie mit "Miral" begannen?
Komischerweise das vom Beerdigungsauto. Ich dachte, das ist keine schwarze Limousine, das muss ein gelber Volvo sein. Ich weiß auch nicht, warum. Da muss wohl der Zufall seine Finger im Spiel gehabt haben.
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