Jugend macht Musik: „Das eiert noch total“

In Bremen erarbeiten sich 90 junge Sinfoniker aus 13 Ländern in nur einer Woche ein äußerst anspruchsvolles Programm – mit Schostakowitsch statt Beethoven.

90 junge Sinfoniker aus 13 Ländern musizieren gemeinsam. Bild: dpa

BREMEN taz | Der Probensaal der Bremer Philharmoniker ist schon am Vormittag von Licht durchflutet, ein Raum mit hervorragender Akustik, man hört jedes kleinste Geräusch. Normalerweise bereiten hier gestandene Profis ihre Konzerte vor.

Heute allerdings sind die Musiker, die sich, teilweise noch nicht ganz wach, auf ihren Plätzen einfinden und routiniert Celli, Violinen und Bratschen auspacken, um einiges jünger: Seit 15 Jahren kommen alljährlich Jugendliche aus der ganzen Welt nach Bremen, um für knapp zwei Wochen als „Internationales Jugendsinfonieorchester“ – kurz IYSO – gemeinsam zu musizieren und zwei Konzerte in der Stadt und im Umland zu spielen. Knapp 90 Jugendliche aus einem Dutzend Ländern sind in diesem Jahr in der Stadt, die meisten zwischen 13 und 17 Jahren.

Eine so große Gruppe zusammenzuhalten ist nicht immer leicht. Katharina Wienke, bis vor zwei Jahren selbst Musikerin im IYSO und heute eine der Organisatoren, kommt abgehetzt in den Raum. Die MusikerInnen sind in Bremer Gastfamilien untergebracht, gestern hätte eine Mutter aus Polen angerufen, sagt sie. Der Sohn hatte sich in der Stadt verlaufen, den musste man erstmal wiederfinden.

Andere Probleme wiegen schwerer. Drei Musiker, die aus Syrien anreisen sollten, fehlen. Sie haben kurzfristig kein Visum mehr bekommen. Eine weitere Musikerin, die Cellistin Hadil Mirkhan aus Damaskus, hat 2013 nach einem Gastspiel in Deutschland einen Asylantrag gestellt und lebt jetzt in einem Bremer Flüchtlingswohnheim.

Wenn man in diesen Tagen Gäste aus Konfliktherden wie Ägypten und eben Syrien einlädt, wäre eine „Ode an die Freude“ im Konzertprogramm da wohl eher fehl am Platze. Deshalb hat Martin Lentz, Dirigent und Leiter des Jugendsinfonieorchesters Bremen-Mitte, Schostakowitschs 10. Symphonie, das Violakonzert von William Walton und Einojuhani Rautavaaras „Cantus Arcticus, Konzert für Vögel und Orchester, op. 61“ ausgewählt.

Gemeinsam ist den Stücken eine melancholische Schwere und, im Falle der Schostakowitsch-Symphonie, eine Beklemmung, die angesichts der Weltlage angemessen scheint. Gerade die Wahl Schostakowitschs zeigt, dass hier jemand seinen Leuten unbesehen einiges zutraut. Das Programm ist auch deswegen ungewöhnlich für ein Jugendklassik-Konzert, weil die Musik moderner anmutet als die Stücke, die man normalerweise bei solchen Anlässen zu hören bekommt.

Dass es gewagt ist, mit jungen MusikerInnen, die sich zum ersten Mal treffen und oft verschiedene Sprachen sprechen, innerhalb so kurzer Zeit derart komplexes Material einzustudieren, ist Martin Lentz bewusst. „Ich hab das immer so gehalten“, sagt er. „Diese Klassikradio-Programme im Jugendbereich haben mich nie interessiert.“ Aber es sei schon immer wieder ein Risiko, „schließlich weiß man nie, wer da kommt“.

Dass da nicht von Anfang an alles glatt geht, wundert nicht. „Einige von unseren Musikern haben noch nie Schostakowitsch gespielt. Die erste Probe am Samstag war die Chaosprobe, da lernte man sich dann erst einmal kennen“, erzählt Lentz lachend.

Und die Musiker? Torstein Kleveland zum Beispiel spielt zum ersten Mal mit einem so großen Orchester zusammen. Für den 17-jährigen Cellisten aus dem norwegischen Lillehammer ist das Konzert „eine besondere Herausforderung“. Die Kommunikation untereinander wiederum sei überhaupt kein Problem, das laufe schon über die Musik selbst ganz wunderbar.

Schon routinierter wirkt die Hornistin Sara Morgante Piano aus dem italienischen Udine, die mit ihren 22 Jahren zu den ältesten Mitgliedern des Internationalen Jugendsinfonieorchesters zählt. Aber auch sie betont den hohen Anspruch des Dirigenten Lentz: „Manchmal verlangt er etwas, das schwer zu leisten ist“, sagt sie. Die Atmosphäre und das Miteinander seien aber so gut, dass davon auch die Musik profitiere. Und ein Orchester, das einfach nur routiniert seine Arbeit mache, würde auch nicht gut klingen, findet sie.

Man merkt, dass die Beteiligten mehr aus dem Projekt ziehen, als nur eine gelungene Konzertvorbereitung. Denn dass Musik verbindet und die Vorahnung einer glücklichen Kooperation zwischen Menschen bedeuten kann, klingt wie ein Klischee, beschreibt aber eine reale soziale Erfahrung. Denn die zweite Gesamtprobe vier Tage vor dem ersten Konzert zeigt, die Sache funktioniert: Ein Haufen Musiker spielt sich warm, es entsteht ein wüst dissonanter Klangwirrwarr – der sich fast magisch in einen einzigen klaren Ton auflöst, als der Dirigent ans Pult tritt.

Die schwierige Dynamik der Streichersätze Schostakowitschs bekommen die Celli und der Kontrabass anfangs aber nur schwer in den Griff. Immer wieder unterbricht Lentz freundlich, aber bestimmt, manchmal auf Deutsch, manchmal auf Englisch: „Die Töne sind ja kein Problem für euch, aber das eiert noch total, der Rhythmus stimmt nicht.“

Die Musiker auf das richtige Tempo einzuschwören und ihnen ein Gespür für den richtigen Ausdruck zu vermitteln, ist nicht leicht: „Hier, das ist eine Stimmung von Angst, da müsst ihr nicht hetzen“, sagt er zum Beispiel. Nach etwa einer Stunde sind aber plötzlich alle beieinander: Die stakkatohaften Schläge kommen präzise, und die Musiker bekommen ein Gespür für die Wut, die aus der 10. Schostakowitsch-Sinfonie spricht. Da entsteht in kürzester Zeit etwas, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Und das eigentliche Kunstwerk ist das Orchester selbst.

Konzerte: 1. 11., 19.30 Uhr, Bruchhausen-Vilsen, Schulzentrum
2. 11., 20 Uhr, Bremen, Glocke
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