Jürgen Trittin zurück in der Politik: "Werder ist wichtiger als Westerwelle"

Warum Rot-Rot-Grün in NRW unrealistisch ist, welche Erfahrungen der Linken fehlen und wie Merkel Kohls Erbe verschleudert. Jürgen Trittins erstes taz-Interview nach seiner Krankheit.

Jürgen Trittin am 23.3. vor der Sitzung der grünen Bundestagsfraktion. Bild: dpa

taz: Herr Trittin, nach achtwöchiger Zwangspause wegen Ihres Herzinfarkts kehren Sie in die Politik zurück. Hat sich Ihr Blick auf den Berliner Betrieb verändert?

Jürgen Trittin: Aus dem 17. Stock der Berliner Charité oder aus der Distanz einer oberbayerischen Herzklinik schaut man anders auf die Dinge. Da fiel mir auf: Da war zu wenig Werder Bremen beschäftigt und zu viel Guido Westerwelle.

Die Niederungen der Steuerreform finden Sie jetzt nicht mehr ganz so wichtig?

55, ist Kovorsitzender der Grünen-Fraktion im Bundestag. Von 1998 bis 2005 war er Bundesumweltminister. Ende Januar erlitt Trittin einen Herzinfarkt, der erst nach mehreren Tagen als solcher diagnostiziert wurde. Nach einer Rehabilitation in Bayern und Berlin kehrte der Hobbyläufer Anfang dieser Woche zur politischen Arbeit zurück.

Die schnelle Reaktion und die Aufregung gehören zum politischen Geschäft. Generell müssen die Grünen in dieser Lage aber einen langen Ball spielen. Bei allem handwerklichen Pfusch von Schwarz-Gelb - diese Koalition wird bis 2013 zusammenhalten. Da gibt es definierte Stationen, aber es bleibt ein langer Lauf.

Eine wichtige Station steht Ihnen bald in Nordrhein-Westfalen bevor. Freuen Sie sich darauf, bald mit Herrn Rüttgers zu regieren?

Ob die Grünen in Nordrhein-Westfalen wieder mitregieren, ist die zweite Frage. Die erste Frage ist: Schaffen wir es, Schwarz-Gelb zu verhindern? Ich warne davor, zu glauben, dieses Rennen sei schon gelaufen. Womöglich erleben wir am Ende auch eine große Koalition.

Sind Sie sauer auf Herrn Rüttgers, der mit seiner Sponsoring-Affäre womöglich Schwarz-Grün vermasselt?

Sinkende Umfragewerte für Jürgen Rüttgers freuen uns. Er hat noch ganz andere Sachen vermasselt. Obwohl ein Oberverwaltungsgericht den Bau eines Kohlekraftwerks in Datteln gestoppt hat, hält er daran fest. Dafür streicht er kurzerhand den Klimaschutz aus der Landesraumordnung. Das ist kein Koalitionsangebot an die Grünen, sondern eine Kampfansage.

Eine grundsätzliche Ablehnung von Schwarz-Grün klingt anders.

Die Grünen in Nordrhein-Westfalen wollen Rot-Grün, haben aber entschieden, außer einer Koalition mit der FDP und einer Tolerierung nichts auszuschließen. Priorität ist für uns Rot-Grün. Dafür sieht es heute besser aus als noch vor acht Wochen.

Womit steht und fällt eine Regierungsbeteiligung der Grünen in NRW?

Zu unserer ambitionierten Klimapolitik gehört es, die Rolle rückwärts beim Ausbau der regenerativen Energien zu beenden. Es darf keine weitere Verstopfung der Stromnetze durch neue Grundlastkraftwerke geben. Und wir wollen, dass mehr Menschen Zugang zu besserer Bildung bekommen. In Hamburg lernen wir gerade, wie schwer es ist, ein Schulsystem zu überwinden, das auf früher Aussonderung beruht.

Die Neigung Ihrer Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen, mit der Linken zu regieren, scheint nicht sonderlich ausgeprägt zu sein.

Wir Grünen sehen die Dinge unaufgeregt: Ein Bundesland zu regieren, in dem rund hundert Kommunen unter einer Art Zwangsverwaltung stehen, weil sie ihre Schulden nicht mehr bändigen können, ist nicht gerade angenehm. Da muss eine Regierung auch schmerzhafte, unpopuläre Beschlüsse fassen. Kann und will das die Linke?

Und da haben Sie bei der Linkspartei Zweifel?

Daran hat die Linkspartei selbst Zweifel. Nach dem Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms will sich die Linkspartei nicht an Regierungen beteiligen, die Personalabbau betreiben. Dabei ist in Berlin unter Rot-Rot massenhaft Personal abgebaut worden. Die Linke-Sozialsenatorin hat öffentliche Aufgaben auf skandalöse Organisationen wie die Treberhilfe übertragen. Wo die Linke regiert, zeigt sie: Ein grundsätzliches Nein zu Stellenabbau ist nicht durchzuhalten. Da hat die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen die sehr schmerzhafte Annäherung an die Wirklichkeit noch vor sich.

Einige CDU-Politiker fordern, den Atomausstieg um weitere 28 Jahre zu verschieben. Kehrt damit das alte Lagerdenken zurück?

Wer den Atomkonsens aufhebt und statt 32 Jahren Restlaufzeit 40 bis 60 Jahre fordert, der trägt extrem zur Polarisierung in dieser Gesellschaft bei. Wir sind darauf eingestellt.

Wenn sich Umweltminister Norbert Röttgen in der Atomfrage durchsetzt, bekommen die Grünen dann ein Problem, weil man sie gar nicht mehr braucht?

Wieso? Herr Röttgen ist ein Befürworter der Atomkraft. Er hat zwar eingesehen, dass man damit keine Wahlen gewinnen kann, das hindert ihn aber nicht daran, den Interessen der Atomindustrie zum Durchbruch zu verhelfen. Er hat einen bezahlten Lobbyisten zum obersten Atomaufseher gemacht. Er hat den Weiterbau des Endlagers Gorleben angeordnet, er will es noch dazu in private Hände geben. Sie sehen: Es bleibt viel zu tun für uns Grüne.

Wer jetzt offen nach 60 Jahren Laufzeit ruft, ist taktisch dumm?

Es gibt dumpfe Befürworter der Atomkraft und Leute, die sie scheibchenweise durchsetzen wollen. Herr Röttgen gehört in die zweite Kategorie, sein Fraktionschef Volker Kauder in die erste.

Wenn Schwarz-Gelb die Mehrheit in Nordrhein-Westfalen verliert, werden die Grünen im Bundesrat mitregieren. Was werden Sie aus dieser neuen Macht machen?

Auch wenn es uns Bundespolitikern nicht gefällt: Wie eine Regierung - auch eine mit grüner Beteiligung - im Bundesrat abstimmt, hängt ausschließlich von den Interessen des jeweiligen Landes ab. Der Bundesrat ist ein höchst unideologisches Gremium. So etwas wie das Gesetz zur Wachstumsbeschleunigung, das die CDU-Länder aus Parteisolidarität durchgewunken haben, wird sich so schnell nicht wiederholen.

Das heißt, Steuersenkungen sind auch mit einer schwarz-gelben Bundesratsmehrheit nicht durchzusetzen?

Nicht, wenn sie die Einnahmen der Länder weiter schmälern. Natürlich könnte der Bund die Schulden übernehmen, dann gerät er aber in Konflikt mit Schuldenbremse und Stabilitätspakt. Der aktuelle Koalitionsstreit ist deshalb nur ein Vorgeplänkel. Am Ende wird die Steuersenkung nicht kommen.

Die Kopfpauschale ebenso wenig?

Mit uns nicht. Aber: Die Kopfpauschale kann für die CDU das bedeuten, was Hartz IV für die SPD bedeutet hat: von einer 40-Prozent-Partei auf 20 Prozent abzustürzen. Mehrheiten hat die CDU nur noch in Altersgruppen über 65 Jahren. Diesen Leuten zu sagen, sie sollen auf jetzt 8 noch weitere 29 Euro zusätzlich zahlen, das ist ein Programm, um die Kernwählerschaft der CDU zu zerstören. Und 29 Euro sind erst der Anfang.

Sind die Grünen eine bürgerliche Partei?

Ich kenne im Bundestag nur bürgerliche Parteien, einschließlich der Linken. Das Beispiel der FDP zeigt allerdings, dass dieses Etikett nicht immer mit bürgerlichen Umgangsformen verbunden sein muss. Wer seine Klientel versorgt, nur weil er die Wahl gewonnen hat, hat kein Gefühl für bürgerlichen Anstand.

Das heißt, Sie wären ein besserer Außenminister als Guido Westerwelle?

Jeder Grüne würde diesen Posten besser ausfüllen als der jetzige Amtsinhaber. Mich treibt nicht nur um, wie Guido Westerwelle seine Delegationen bestückt. Dramatischer ist: In der Europapolitik lässt er Angela Merkel machen, was sie will. Zum ersten Mal nimmt eine deutsche Kanzlerin eine zutiefst uneuropäische Position ein, und das aus rein wahltaktischen Gründen.

Sie meinen, Bundeskanzlerin Angela Merkel soll Griechenland mit deutschen Steuergeldern helfen?

Nicht mit Steuergeldern, aber zum Beispiel mit europäischen Anleihen zu günstigen Konditionen, die man an Griechenland weiterreicht. Es geht nicht, das Land in dieser Lage alleinzulassen. Oder die Kreditbedingungen sogar durch Spekulationen zu verschlechtern, man wolle die Griechen aus der Eurozone werfen. Aus dieser Verantwortung hat sich Frau Merkel gestohlen. Sie verhält sich zur griechischen Krise so wie Oskar Lafontaine seinerzeit zur deutschen Einheit. Das ist unverantwortlich.

Haben die Griechen etwa nicht über ihre Verhältnisse gelebt?

Schon, aber wer hat denn davon profitiert? Wir Deutschen mit unserer Exportwirtschaft. Deshalb haben wir ein massives Interesse, diese Länder wieder auf einen vernünftigen wirtschaftlichen Weg zu bringen. Merkel agiert deshalb nicht nur uneuropäisch, sondern auch gegen deutsche Interessen. Und das nur aus Angst, bei der NRW-Wahl bei rechten Eurogegnern zu verlieren.

Nächste Woche wird Helmut Kohl 80 Jahre alt. Verschleudert Merkel dessen Erbe?

Kohl hat die konstruktive Rolle Deutschlands in Europa niemals zur Disposition gestellt, auch im Taumel der deutschen Einheit nicht. Aus innerer Überzeugung. Aber auch, weil er wusste: Das ist im deutschen Interesse. Diese Grundweisheit tritt Merkel im Fall Griechenlands mit Füßen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.